FDP kürt Spitzenkandidaten Brüderle jagt den roten Roboter
10.03.2013, 14:13 Uhr
Für eine ausgefallene Pose steht Brüderle immer gern zur Verfügung.
(Foto: dpa)
Er setzt ein paar typische Brüderle-Akzente. Doch der FDP-Fraktionschef ist nicht mehr der Alte. Beim Bundesparteitag der Liberalen hält er eine erstaunlich stille, nachdenkliche Rede. Statt mit seinem üblichen Kalauermarathon versucht er zu punkten, indem er sich als Schutzwall gegen angebliche linke Umtriebe geriert - und als Bollwerk gegen den "Säusel-Liberalismus".
Auf den ersten Blick hat sich Rainer Brüderle nicht verändert. Ein wenig behäbig watschelt der Fraktionsvorsitzende der FDP ans Podium. Seine Augen zu kleinen Schlitzen geschrumpft, wirft er seinen müde wirkenden Blick auf die mehr als 600 Delegierten vor sich. Zu erwarten ist von dem gemütlichen, aber bekanntlich nur scheinbar müden Pfälzer nun wieder eine mit Schenkelklopfern gespickte Rede voller allzu oft gehörter Redewendungen. Doch es kommt anders. Beim Parteitag der Liberalen in Berlin präsentiert sich ein neuer Brüderle, ein stillerer, nachdenklicherer.
Mit einem Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steigt Brüderle ein, greift den Begriff des "Pursuit of Happiness", dem "Streben nach Glück", auf. "Das Streben nach Glück kann nicht verordnet werden", sagt er. "Das Streben nach Glück bedarf der Freiheit." Und dann beginnt er, seine Vorstellung von Freiheit zu deklinieren.
Brüderle erinnert daran, wann in der deutschen Geschichte Liberale dazu beigetragen haben, dass die Bundesrepublik heute mit den Vorreitern in Sachen Demokratie, den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien, in einer Reihe steht. Er nennt Walter Scheels Ostpolitik und Hans-Dietrich Genschers Verdienste für die Wiedervereinigung.
Doch Kern seiner Rede ist nicht der Lobgesang auf die großen Namen der Liberalen. Brüderle inszeniert sich in einer bisher ungekannten Ausführlichkeit als Bollwerk gegen jegliche Form der linken Politik.
"Wohlstandsvernichtungswaffen" entschärfen
"Uns hat der Himmel geschickt", sagt Brüderle und erinnert daran, dass die FDP bei die kriselnden Unternehmen Opel, Karstadt und Schlecker dem Marktliberalismus treu geblieben ist und sich gegen staatliche Eingriffe gestellt hat.
Den politischen Gegner, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, verkauft er den Delegierten als "Sprachroboter" der Linken, der "Wohlstandsvernichtungswaffen" wie die Vermögenssteuer zückt. Und dieser Roboter folgt laut dem Fraktionschef einem Programmcode, der bei jedem weiteren Fettnäpfchen, in das er tritt, wie seine Vortragshonorare und die Äußerungen zum Kanzlergehalt, den Linken weitere Zugeständnisse einräumt.
Der 67-Jährige spricht vom "Mao-Zuschlag" des Grünen Jürgen Trittin und meint damit die Vermögensabgabe. "Für mich ist klar, da wird doch das Bündnis mit der Linkspartei vorbereitet", sagt er. "Mit dem umprogrammierten Steinbrück, im Westen Trittin und im Osten Gregor Gysi – damit kann man keinen Staat machen."
Generation Silberlocke soll arbeiten
Brüderle selbst pocht dagegen auf die Tarifautonomie, auf lockerere Regeln beim Ausstieg aus dem Berufsleben. "Die Generation Silberlocke mit iPad träumt nicht von Müßiggang", sagt Brüderle und pocht darauf, das Gebot der Geldwertstabilität im Grundgesetz zu verankern.
Themen wie die Homo-Ehe, das NPD-Verbotsverfahren und Europas Rolle in der Nato sind Randaspekte für ihn. Brüderle setzt ganz auf Wirtschaftsliberalismus. Er sieht die FDP als Schutzwall vor dem Obrigkeitsstaat, der den Mittelstand, die Sparer und die Leistungsträger schröpft.
Die Strategie, die Brüderle, die die FDP hier wagt, ist riskant. Denn vor dem Hintergrund der Personalentscheidungen, die die Liberalen an diesem Wochenende getroffen haben, könnte die Partei den Eindruck erwecken, es allen recht machen zu wollen.
Mitgefühl in der Ordnungspolitik
Die FDP-Delegierten kürten nach seiner Rede nämlich nicht nur den Anti-Linken Brüderle, den selbst ernannten Gegner des"Säusel-Liberalismus", zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Sie stärkten zugleich Parteichef Philipp Rösler und stellten ihm als ersten Stellvertreter Christian Lindner zur Seite. Beide stehen für genau diesen "Säusel-Liberalismus", forderten stets mehr Mitgefühl in der Ordnungspolitik. Mit Wolfgang Kubicki erhoben sie zudem einen Fürsprecher von Mindestlöhnen zum Beisitzer im Präsidium.
Den Eindruck der inhaltlichen Beliebigkeit könnte verstärken, dass sich Brüderle und die "Säusel-Liberalen" nun auch rhetorisch angenähert haben. Rösler hielt in Berlin seine wohl kämpferischste, stärkste Rede. Brüderle mäßigte sich verbal, gab den Effekt einer kurzen Rede gar für eine bei ihm eher seltene Ausführlichkeit preis und sprach mehr als eine Stunde. Beim Dreikönigstreffen war das noch genau andersherum.
Unter Liberalen ist nun von einer "breiten Aufstellung" die Rede. Ob sich dieser Kurs durchhalten lässt, wird sich beim Programmparteitag im Mai in Nürnberg zeigen. Es wäre ein Gewinn für die Partei, wenn die Liberalen dann statt durch Personalstreitereien mit einer inhaltlichen Debatte auffielen und dem Vorwurf der Beliebigkeit nach einem Ringen um Positionen durch einen klaren Kurs trotzen. Doch es ist fraglich, ob sich die, die in Berlin ganz auf parteiinterne Harmonie setzten – der größte Röslerkritiker Dirk Niebel wurde bitter abgestraft, Rösler zur unumstrittenen Nummer eins gekürt und Brüderle als Wahkämpfer schlechthin gefeiert – so kurz vor der Bundestagswahl noch eine echte inhaltliche Auseinandersetzung liefern.
Quelle: ntv.de