Von der Leyen muss in die Extrarunde Bundesrat bremst Hartz-IV-Reform
17.12.2010, 11:28 UhrDie Länder stoppen wie erwartet die Hartz-IV-Reform. Damit müssen Langzeitarbeitslose auf die Neuregelung ihrer Bezüge warten. Nun soll der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen. Die Opposition verlangt von Arbeitsministerin von der Leyen weitreichende Nachbesserungen.

Die Bezieher von Hartz-IV müssen auf eine Handvoll Euro mehr zunächst noch verzichten.
(Foto: dpa)
Das vom Bundestag beschlossene Hartz-IV-Paket ist vorerst gestoppt. Das schwarz-gelbe Vorhaben mit einer Erhöhung des Regelsatzes um 5 auf 364 Euro und dem Bildungspaket für bedürftige Kinder bekam in der Länderkammer in Berlin keine Mehrheit.
Damit werden die Hartz-IV-Neuregelungen wahrscheinlich nicht wie vorgesehen zum 1. Januar in Kraft treten können. Der Gesetzentwurf landet nun im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, der einen Kompromiss finden muss. SPD und Grüne halten das Hartz-Paket für unzureichend und fordern erhebliche Nachbesserungen.
Entscheidend war, dass sich das von einer schwarz-gelb-grünen Koalition regierte Saarland wie angekündigt der Stimme enthielt. Dies wird wie eine Nein-Stimme gewertet. In der Länderkammer fehlt Union und FDP nur eine Stimme zur Mehrheit.
Von der Leyen kämpferisch

Von der Leyen verteidigte ihr Paket vor der Länderkammer - letztlich ohne Erfolg.
(Foto: dapd)
Vor der Abstimmung hatte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen das umstrittene Paket im Bundesrat verteidigt. Die Erhöhung um 5 Euro sei "mit aller gebotenen Transparenz" ermittelt worden, sagte sie unmittelbar vor der Abstimmung.
Die Regierung orientiere sich an der Lebenswirklichkeit und habe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts "Punkt für Punkt verfassungsfest durchgerechnet". Mit dem Bildungspaket für Kinder betrete man "absolutes Neuland".
Nach Einschätzung der Ministerin sind im aktuellen Aufschwung die Chancen so gut wie lange nicht mehr, dass Langzeitarbeitslose wieder einen Job finden. "Hartz IV sollte kein Dauerzustand sein."
Schnelle Vermittlung
Da mit der Ablehnung zu rechnen war, kommt schon heute der Vermittlungsausschuss in Berlin zusammen. Das Gremium, dem jeweils 16 Mitglieder der Länderkammer und des Bundestages angehören, will eine Arbeitsgruppe einsetzen, die nach bisherigen Planungen noch vor Weihnachten zweimal tagen soll.
Vor allem die Opposition drückt aufs Tempo, um den Hartz-IV-Beziehern so schnell wie möglich mehr Geld zukommen zu lassen. Für die Übergangszeit hatten die Sozialdemokraten abgeregt, das Geld ohne Wenn und Aber auszuzahlen. "Die SPD wird heute in den Bundesrat einen Antrag einbringen, wo beschlossen werden soll, dass der Regelsatz ausgezahlt wird und auch das Bildungspaket", sagte die stellvertretende SPD- Vorsitzende Manuela Schwesig im ZDF. "Und wenn die Länderkammer sagt, für uns ist es völlig unstrittig, dass es fünf Euro gibt und das Bildungspaket, wir wollen bloß über mehr reden und deswegen soll's ausgezahlt werden, ist es rechtlich gesichert, dass auch ausgezahlt werden kann", sagte sie.
Von der Leyen lehnte diesen Schritt allerdings ab. "Das geht nicht in einem Sozialstaat", sagte die Ministerin. Man könne diese Leistungen ohne Gesetzesgrundlage nicht auszahlen. Zugleich zeigte sie sich offen für Verbesserungen am Bildungspaket für bedürftige Kinder. Sie sei "Tag und Nacht zu Verhandlungen bereit". Allerdings müsse die SPD auch sagen, woher das Geld dafür kommen solle. Im Übrigen könne man den Bildungsföderalismus "nicht aus den Angeln heben".
SPD kritisiert Bildungspaket
Schwesig kritisierte das Vorgehen von der Leyens. In selbstherrlicher Art habe sie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, die Forderungen der SPD und die Kritik der Fachleute ignoriert. "Anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, hat Ursula von der Leyen wochenlang ein Schauspiel um die Chipkarte aufgeführt, die jetzt doch nicht kommt."
Leidtragende seien zwei Millionen Kinder, die in Armut leben. Für die SPD müsse die Hartz-Reform "zwingend mit einem echten Bildungspaket verbunden sein", sagte Schwesig weiter. Dazu gehörten mehr Ganztagsschulen, Eltern-Kind-Zentren und eine bessere Betreuung von Schülern und Eltern. Schwesig: "Mit Geigen- und Reitunterricht per Gutschein - wie Frau von der Leyen sich das vorstellt - kriegen wir das nicht gelöst."
Kompromiss nicht mehr dieses Jahr
Nach Ansicht von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit werden sich Unions- und SPD-geführte Länder dieses Jahr aber nicht mehr auf einen Kompromiss einigen. Inhaltlich lägen beide Seiten noch weit auseinander. "Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass noch im Dezember eine Regelung beschlossen werden kann", sagte Wowereit. "Rechtswirksam kann das in diesem Jahr ohnehin nicht mehr werden, weil dafür noch Bundestag und Bundesrat tagen und beschließen müssen."
Dennoch ist die Bundesregierung nach den Worten Wowereits befugt, die "vorgesehenen marginalen Erhöhungen" auszahlen, auch wenn die Hartz-IV-Reform nicht wie vorgesehen zum 1. Januar in Kraft trete. "Rechtlich spricht nichts dagegen." Die Regelsätze müssten um mehr als die geplanten fünf Euro steigen, betonte der Regierende Bürgermeister. Die SPD werde im Vermittlungsausschuss auf eine transparente und nachvollziehbare Berechnung der Regelsätze drängen.
Bürokratiemonster droht
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte von der Leyen auf, die Hilfen für die Kinder aus Hartz-IV-Familien den Kommunen direkt zu überweisen, um die Bürokratiekosten zu drücken. "Eine Reform, die vom ersten Tag an 1300 zusätzliche Stellen bei der Agentur für Arbeit verursacht, kann nicht der große Wurf sein", sagte er der WAZ-Mediengruppe. Wenn die Regierung sich bewege, könne man auch rasch zu Ergebnissen kommen.
Auch die Grünen fordern Bewegung von der schwarz-gelben Koalition, damit eine Regelung zur möglichst bald zustande kommt. Von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel müssten sich Richtung "Bildungsinfrastruktur statt Bürokratie" bewegen, sagte Fraktionschefin Renate Künast. "Wir sind zu Gesprächen bereit."
Der Kernvorwurf Künasts an die Arbeitsministerin: "Sie setzt sich nicht mit der Frage auseinander, wie man Entfaltungsmöglichkeiten durch Bildung herstellt." Die Grünen-Politikerin forderte, "dass bei Investitionen in die Bildungs-Infrastruktur Bewegung reinkommt". Künast verlangte systematische Kooperationen zwischen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Sie schlug Investitionen in regionale Bildungspartnerschaften zum Beispiel durch zusätzliche Stellen für Sozialarbeiter vor. Zudem müsse die Lohnspirale nach unten durch Mindestlöhne beendet werden.
Quelle: ntv.de, dpa