Politik

Geldstrafe, Tumulte, "Ruhe hier" Bundestag geht mit heftigem Krach in Sommerpause

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Sein Auftritt riss die eigenen Leute von den Stühlen - Merz bekam nach seiner Rede stehenden Applaus aus seiner Fraktion.

Sein Auftritt riss die eigenen Leute von den Stühlen - Merz bekam nach seiner Rede stehenden Applaus aus seiner Fraktion.

(Foto: dpa)

Der Streit um das Heizungsgesetz lässt im Bundestag noch einmal die Wände wackeln. CDU-Chef Merz greift die Ampelkoalition an und fordert inhaltliche Änderungen. Dabei geht es turbulenter als üblich zu - die Präsidentin muss die Abgeordneten sogar zur Ordnung rufen.

Als Friedrich Merz das Podium verlässt, bedenkt die Unionsfraktion ihren Vorsitzenden mit stehendem Applaus. Der CDU-Chef hat - so offenkundig der Eindruck bei den Konservativen - die Gelegenheit genutzt, den Regierungsparteien die Leviten gelesen. Tatsächlich waren die Anwürfe heftig: "Sie haben in den letzten 18 Monaten dieses Parlament zu einem Ort der Debattenverweigerung und zu einem Ort des Durchpeitschens von Gesetzen gemacht", ruft Merz in seiner Rede zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen das Verfahren zum Heizungsgesetz. Insbesondere kritisiert der Fraktionschef, dass im laufenden Jahr drei von vier Gesetzen mit einer Verkürzung der Beratungsfrist verabschiedet worden seien. Auch die Richter in Karlsruhe haben Zweifel an der Geschwindigkeit der Gesetzgebungsverfahren der Regierungsfraktionen und deshalb eine Verabschiedung des Heizungsgesetzes an diesem Freitag verhindert.

In einer von CDU und CSU beantragten Debatte über die Konsequenzen aus dem höchstrichterlichen Beschluss rechnet Merz grundsätzlich mit SPD, Grünen und FDP ab. Diese hätten einseitig die Sitzordnung zum Nachteil der Union verändert, die Wahlrechtsreform unter Ausschluss der Union beschlossen, einen ihr zustehenden Untersuchungsausschuss zur Warburg-Bank verweigert und der Bundeskanzler in der Befragung am Mittwoch Arroganz gezeigt, als er Fragesteller der Opposition über die Richtigkeit ihrer Fragen belehrte. Schon seit die Union gegen ihren Willen neben die AfD-Abgeordneten gesetzt worden sei, sei "das Klima in diesem Haus vergiftet", klagt Merz. Scholz' Umgang mit dem Parlament sei "vollkommen inakzeptabel" gewesen.

"Können Sie nicht einmal den Mund halten?"

"Die Qualität einer Demokratie zeigt sich nicht darin, ob die Mehrheit jederzeit ihre Rechte durchsetzt. Die Qualität einer Demokratie zeigt sich darin, ob die Mehrheit jederzeit Achtung und Respekt vor den Rechten der Minderheit in einem Parlament hat", ermahnt Merz. Dass die Bundesregierung nun das Heizungsgesetz ohne Bereitschaft zu weiteren Änderungen verabschieden wolle, sei "ein weiterer Ausdruck von Respektlosigkeit und Ignoranz dem Deutschen Bundestag gegenüber".

Als es gegen Ende seiner Rede immer lauter wird im Plenarsaal, ruft ein sichtlich erboster Merz: "Können Sie nicht einmal einen kurzen Augenblick den Mund halten?" Er droht damit, öffentlich zu machen, was der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi kurz zuvor in Richtung Unionsbank gesagt hatte. Der Finanzpolitiker, dessen Äußerung abseits eines Mikrofons geschah, hatte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ein Ordnungsgeld für seine Entgleisung kassiert. Schrodis Äußerungen standen aber offenbar in Zusammenhang mit einem der Debatte vorangegangenen Streit darüber, ob Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck durch das Parlament in den Bundestag zitiert werden sollte, damit er sich der Debatte stelle. Nach Merz' Rede wird es wieder derart laut, dass es der Bundestagspräsidentin allmählich reicht. "Ruhe hier", ruft Bas. Sie wird erhört. Schrodi kündigte mittlerweile gegenüber dem "Stern" an, sich für sein Fehlverhalten zu entschuldigen.

Merz wird der Spiegel vorgehalten

Die Redner der Ampelparteien kontern Merz' Angriffe erwartungsgemäß. "Auch die Opposition muss hier einen eigenen Gestaltungswillen haben wollen und nicht nur schnelle Schlagzeilen", sagt SPD-Politiker Johannes Fechner und fordert Merz auf, sich "an die eigene Nase zu fassen". Schließlich sei der Umgang mit der Opposition nicht besser gewesen, als die Union noch die Regierung anführte. Auch damals seien umfangreiche Gesetze erst sehr kurzfristig vorgelegt worden. Grünen-Politiker Till Steffen hält fest, dass das Bundesverfassungsgericht noch gar nicht entschieden habe, ob das Verfahren zum Heizungsgesetz tatsächlich Abgeordnetenrechte verletzt hat. Und: "Das Gericht hat mit keinem Wort den Inhalt des Gesetzes kritisiert", sagt Steffen.

SPD-Politikerin Nina Scheer, die das Heizungsgesetz mit ausgehandelt hat, bestreitet, dass das Verfahren nicht ordnungsgemäß gewesen sei. "In der Tat, das ist kein Geheimnis, hätten SPD und Grüne eine frühere Einbringung gewünscht", räumt Scheer ein, mit Blick auf den Streit mit der FDP, dessentwegen der bereits in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf zwischen erster und zweiter Lesung teilweise neu geschrieben worden ist. Das Recht dazu dürfe sich der Bundestag auch nicht nehmen lassen. "Es steht alleine dem Parlament zu, frei zu entscheiden, was in einem Änderungsantrag steht oder nicht", sagt Scheer. FDP-Politiker Konstantin Kuhle mahnt zwar zur Selbstkritik, lehnt aber Kritik aus der Union ab: "Ich hätte mir von einer Fraktion, die während der Corona-Pandemie die Grundrechte des Parlamentes bis zur Unkenntlichkeit geschliffen hat, etwas mehr Demut gewünscht.

Doch natürlich steht Merz mit seiner Kritik nicht allein da. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel äußert - wie immer - die schärfste Kritik. "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat uns die Schande erspart, dass ein ignorantes, unausgegorenes und stümperhaft zusammengeschustertes Gesetz mit der Brechstange verabschiedet wird", sagt Weidel. Tatsächlich wird es ja dennoch verabschiedet und auch die von ihr insinuierte Kritik des Gerichts am eigentlichen Gesetzesinhalt gibt es so nicht. Doch Weidel ist überzeugt, das "deutsche Volk" solle durch die Ampel "belogen, betrogen, enteignet und ärmer gemacht werden".

Dobrindt: Urteil über den Politikstil der Ampel

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält den Beschluss des Gerichtes, das auf die Schnelle nicht sagen konnte, ob Abgeordnetenrechte verletzt wurden und deshalb sicherheitshalber die Abstimmung stoppte, für ein Werturteil. "Es hat ein Urteil gefällt über den Politikstil der Ampel, es hat ein Urteil gefällt über die Arroganz der Ampel", sagt Dobrindt über das Bundesverfassungsgericht. "Wenn Sie nicht daraus endlich mal lernen, dass die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit inzwischen die ist, dass Sie die Rechte des Parlamentes und der Bevölkerung missachten, dann werden Sie weiterhin die Verantwortung dafür tragen, dass der Protest in diesem Land weiter zunimmt", ruft Dobrindt zur Empörung der Ampel-Abgeordneten.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, kennt das Dasein als Opposition unter so ziemlich allen Regierungskonstellationen und lässt deshalb weder an der Union noch an den Ampelparteien ein gutes Haar: Es sei arrogant von Merz zu sagen "jetzt ist das so schlimm", sagt Bartsch. "Nein, es ist seit vielen Jahren problematisch." Und auch wenn er Merz' Ärger über manche Zwischenrufe verstehe: "Trotzdem geht der Satz 'Halten Sie den Mund!' nicht." Im Parlament könne jeder sagen, was er will.

"Was wir in den letzten Wochen gesehen haben, war einer Demokratie unwürdig", wendet sich Bartsch an SPD, Grüne und FDP. Er erinnert daran, wie schwer es für kleine Fraktionen wie die seine sei, kurzfristig Hunderte Seiten Gesetzestext zu prüfen, um ihrer Rolle als Opposition gerecht zu werden. "Wir brauchen viel, viel mehr Nachdenklichkeit", mahnt Bartsch in dieser letzten Sitzung vor der parlamentarischen Sommerpause. Zum Nachdenken haben die Abgeordneten nun Zeit bis Anfang September.

Quelle: ntv.de

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