Politik

Oma allein zu Hause China zwingt Kinder zum Eltern-Besuch

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

China macht per Gesetz den regelmäßigen Besuch der Eltern zur Pflicht. So antwortet das Land auf die Folgen der Ein-Kind-Politik. Doch statt der Vereinsamung älterer Menschen wirksam entgegenzuwirken, belastet das Gesetz tatsächlich die eigene Wirtschaft.

Chinesische Kinder müssen ihre Eltern ab sofort alle zwei Monate mindestens einmal besuchen. Ein Gesetz, das am Montag in Kraft getreten ist, verlangt es so. Klagende Instanz ist im Falle einer Rechtsverletzung natürlich nicht der Staat, weil der trotz seines Überwachungswahns die Frequenz von persönlichen Mutter-Sohn-Kontakten nicht auch noch im Auge behalten kann. Dafür sind Mutter und Vater diejenigen, die ihre Kinder juristisch zur Rechenschaft ziehen können, wenn sie sich vernachlässigt fühlen von ihrem Nachwuchs. Dann drohen Geldstrafen.

Das Gesetz wird als Antwort der Regierung auf die Folgen ihrer eigenen Ein-Kind-Politik gewertet. Viele Alte sind zunehmend auf sich allein gestellt, weil sie nur ein Kind in die Welt setzen durften, statt zwei oder mehr, die sich im Alter um sie kümmern. Das Problem der sozialen Vereinsamung soll nun staatlich bekämpft werden.

Heimatorte und Arbeitsplätze zu weit entfernt

Bei Experten erntet die Initiative jedoch Hohn und Spott. "Dieses Gesetz ist absolut lächerlich und löst das Problem nicht", sagt der Demographie-Forscher Yi Fuxian. Er ist Autor des Buches "Big country in an empty nest", das sich mit den Konsequenzen der Ein-Kind-Politik auseinandersetzt. Als problematisch erweisen sich besonders die breiten wirtschaftlichen Folgen des Gesetzes, die sich herauskristallisieren werden, sollten viele einsame Eltern ernstmachen mit ihrem neuen Recht.

Eine Klausel im Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer ein paar Tage freibekommen sollen von ihren Arbeitgebern, um ihre entfernt lebenden Eltern rechtmäßig besuchen zu können. "Das schadet der Produktivität der Unternehmen, weil niemand für den Ausfall der Arbeiter aufkommt", sagt Yi.

Auch die betriebliche Umsetzung der Regelung bleibt ungeklärt. Denn China ist ein riesiges Land, in dem viele Familien über Tausende Kilometer weit zerstreut voneinander leben. Heimatorte und Arbeitsplätze wurden im Zuge des rasanten Wirtschaftswachstums regelrecht auseinander gesprengt. Große Staatsunternehmen oder internationale Firmen können die Abwesenheit ihrer Arbeiter vielleicht stemmen. Aber die Hunderttausenden kleinen und mittelständischen Betriebe werden das nicht können und stattdessen für Ersatz sorgen müssen.

Gesetz belastet Arbeiter finanziell

Zugleich erhöht sich dadurch die Fluktuation von Arbeitskräften, was wiederum dazu führt, dass sich die Erhöhung der Wertschöpfung verlangsamt. Dabei plädiert China an seine Industrie, die Wertschöpfung schnellstmöglich zu erhöhen, um bei der nationalen Entwicklung nicht hängenzubleiben an der Schwelle zur Industrienation. Doch damit nicht genug.

"Das Gesetz lastet den Arbeitern eine hohe finanzielle Bürde auf, weil sie zusätzliche Heimfahrten zahlen müssen", prophezeit der Demographie-Experte. Was an zusätzlichen Kosten für die Arbeiter anfällt, kann nicht mehr in den Konsum investiert werden. Auch das wirkt kontraproduktiv auf die Erfüllung des Fünfjahresplans der autoritär regierenden Kommunistischen Partei, die den Binnenkonsum zum Eckpfeiler ihres zukünftigem Wachstumsmodells ausgerufen hat.

"Das beste Mittel, um das Problem zu beheben, wäre ein sofortiges Ende der Ein-Kind-Politik", glaubt Forscher Yi. Nur so könnten die rasend schnelle Veralterung der Bevölkerung und damit auch das Problem der sozialen Vereinsamung alter Menschen in China gestoppt werden. Wie schnell Chinas Bevölkerung vergreist, zeigen die Berechnungen der Experten. 2010 kamen acht Arbeiter für die finanzielle Versorgung eines Alten auf. 2025 werden nur noch drei Arbeiter diese Last tragen müssen.

Einkindpolitik soll trotzdem bleiben

Bis 2050 sollen 30 Prozent der Chinesen älter als 60 Jahre alt sein. Heute sind es rund 14 Prozent. Im vergangenen Jahr kam es bereits zu einem bemerkenswerten Trendwechsel. Die Daten des Nationalen Statistikbüros wiesen erstmals eine fallende Zahl an Bürgern im arbeitsfähigen Alter aus. Es waren nur knapp 3,5 Millionen weniger als im Jahr davor. Die Verringerung wird sich in den kommenden 20 Jahren deutlich beschleunigen und die Wirkung drastisch erhöhen.

Obwohl sich die Stimmen derer mehren, die ein Ende der Ein-Kind-Politik fordern, gibt es bislang keine Anzeichen dafür, dass es so kommen wird. Im Gegenteil verteidigte die Regierung im vergangenen Jahr ihre Politik und kündigte an, vorerst daran festhalten zu wollen.

Ihren Ursprung fand die Maßnahme im Bemühen der Regierung in den 70er Jahren, Wohlstand für alle theoretisch möglich zu machen, indem die Zahl der zu versorgenden Staatsbürger massiv reduziert wird. Nach eigenem Bekunden hat das Land seitdem 400 Millionen Geburten verhindert. Doch lange schon gibt es Zweifel an dieser Theorie von chinesischen Wissenschaftlern, die davon ausgehen, dass sich Chinas Geburtenrate mit wachsendem Wohlstand des Landes automatisch auf ein gesundes Maß reduziert hätte.

Quelle: ntv.de

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