Politik

"Eine sehr nette Frau" Das Hochwasser macht Merkels Sieg strahlend

Wittenberge am Montag, Merkel mittendrin. Links Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck.

Wittenberge am Montag, Merkel mittendrin. Links Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck.

(Foto: REUTERS)

Die Flutkatastrophe an Donau und Elbe hat die Bundestagswahl entschieden: Sie gibt Kanzlerin Merkel die Gelegenheit, sich so zu zeigen, wie der Wähler sie mag - authentisch. "Euro Hawk"-Affäre, die Untätigkeit der Koalition? Egal.

Gut 100 Tage vor der Bundestagswahl ist die Sache gelaufen. Wenn nicht ein Wunder geschieht, bleibt Angela Merkel Bundeskanzlerin. Wahrscheinlich sogar in ihrer "Wunschkoalition": Trotz der 4 Prozent, die den Liberalen von den meisten Umfrageinstituten zugesprochen werden, wird wohl auch die FDP am Wahltag Grund zum Jubeln haben.

"Bundesweit wird mindestens eine 8 vor dem Komma stehen", sagte FDP-Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki kürzlich n-tv.de. Das ist durchaus plausibel - zuletzt zeigte die Niedersachsen-Wahl, dass es genug Wähler gibt, um der FDP auf den letzten Metern über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen.

Besuch in Passau: Seehofer in Rettungsjacke und Gummistiefeln, Merkel in normaler Kleidung.

Besuch in Passau: Seehofer in Rettungsjacke und Gummistiefeln, Merkel in normaler Kleidung.

(Foto: dpa)

Anders als vor elf Jahren, als die "Jahrhundertflut" für die SPD die Wende brachte, war diese Bundestagswahl schon vor dem Hochwasser nicht mehr offen. Zu groß ist der Abstand zwischen Union und SPD, zwischen Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in allen Umfragen. Im direkten Vergleich würden sich selbst 24 Prozent der SPD-Anhänger für Merkel entscheiden, ergab der "Stern"-RTL-Wahltrend der vergangenen Woche, nur 60 Prozent für Steinbrück. Zum Vergleich: Unter den Unionsanhängern kommt Merkel auf 94 Prozent.

Noch immer ist Merkel der Anti-Schröder

Diese Zahlen, und nicht die "Euro Hawk"-Affäre, die Euro-Rettung oder die Angst vor steigenden Mieten, bestimmen den Ausgang der Wahl. Der durchschnittliche Wähler vergleicht nicht Wahlprogramme, sondern wählt nach Gefühl. Die zentrale Frage, die sich Herr und Frau Mustermann vor dem Gang in die Wahlkabine stellen, lautet: Wem kann ich glauben, dass meine Zukunft bei ihm oder ihr in guten Händen ist?

Die Umfragen zeigen, dass die weitaus meisten Wähler auf diese Frage eine klare Antwort haben. Bis heute profitiert Merkel davon, dass sie ein Gegenentwurf ist. In der CDU war sie zunächst ein Gegenentwurf zum autoritären und altmodischen Helmut Kohl, als Kanzlerin ist sie das Gegenmodell zu Gerhard Schröder, der zwar moderner auftrat, aber stärker noch als sein Vorgänger einen Hang zum "Machtwort" hatte.

Wir wollen Ihre Fotos!

Freiwillige bei der Arbeit, Soldaten mit Sandsäcken, überflutete Gemeinden, Häuser unter Wasser - was auch immer Sie fotografiert haben, schicken Sie uns Ihre Fotos an hochwasser@n-tv.de. Bitte schreiben Sie dazu, was die Bilder zeigen sowie wo und wann sie aufgenommen wurden. Die eindrucksvollsten Fotos zeigen wir in einer Bilderserie. Vielen Dank!

Beide, Kohl und Schröder, setzten sich als "Macher" in Szene. Beim einen funktionierte das, bis er zu skandalbeladen und wohl auch zu alt war, um als solcher noch glaubhaft zu sein. Beim anderen war früher Schluss, die Machtworte hatten sich verbraucht. Sowohl Kohl als auch Schröder hatten ein intensives Verhältnis zur Macht. Sie fühlten sich wohl in ihrer Macht, sie ließen andere ihre Macht spüren. "Mich hat Macht immer sehr interessiert, aber nicht um ihrer selbst willen", sagte Schröder im vergangenen Dezember der "Bild"-Zeitung, und so ähnlich würde Kohl das wohl auch formulieren. Die Kehrseite dieser Medaille waren ihre gönnerhaften Posen. "Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter", hieß das bei Kohl. "Hol mir mal 'ne Flasche Bier", bei Schröder.

"Seit vier Jahren macht Merkel Als-Ob-Politik"

Und Merkel? Kaum jemand käme auf die Idee, dass Macht sie schon immer interessiert haben könnte. Als die SPD noch mit Merkel regierte, warfen die Sozialdemokraten ihr beständig Führungsschwäche vor. Das ist so sinnvoll, wie dem Wasser vorzuwerfen, dass es fließt. Merkel ist eine Präsidialkanzlerin, die Festlegungen vermeidet. Sie lässt sich treiben und treibt die SPD damit auf die Palme. "Frau Merkel macht seit vier Jahren eine Als-Ob-Politik", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dem "Handelsblatt". "Sie freut sich lauthals über gute Wirtschaftsdaten, zu denen diese Koalition nichts beigetragen hat. Sie tut so, als wolle sie etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun. Stattdessen führt die schwarz-gelbe Koalition eine Betreuungsprämie ein, damit Kinder und Eltern zu Hause bleiben."

Merkel am Deich in Bitterfeld.

Merkel am Deich in Bitterfeld.

(Foto: dpa)

So klingt ohnmächtige Wut. Steinmeier ärgert sich über Merkels "politische Produktpiraterie ohne Inhalt", doch eine Antwort fällt der SPD nicht ein. Die Betreuungsprämie mag ein familienpolitischer Rückschritt gewesen sein, auch haushaltspolitisch höchst fragwürdig in Zeiten knapper Kassen. Doch sie ist eben auch ein Signal an die konservativen Wähler von CDU und CSU: Seht her, wir mögen die Kita-Platz-Garantie und das Elterngeld eingeführt haben, aber vergessen haben wir euch nicht.

Die Merkel-CDU lässt sich treiben

Merkels Volkspartei hat nicht den Anspruch zu führen. Ob Kinderbetreuung, Mindestrente, Abschaffung der Wehrpflicht oder Ausstieg aus der Atomkraft: Die CDU lässt sich lieber treiben. Bei keinem Thema fällt das so deutlich auf wie bei der Gleichstellung der Homo-Ehe, wo die Union die Unterwerfung unter das Bundesverfassungsgericht zum Programm erhoben hat und sich weder dazu durchringen kann, die Exklusivität der Hetero-Ehe zu verteidigen, noch dazu, die Homo-Ehe als konservative Art der Partnerschaft zu akzeptieren. Beides wäre möglich, doch beides würde eben auch Wähler verschrecken.

Nun hat die Flutkatastrophe die Wahl endgültig entschieden. Nicht weil die Menschen in schweren Zeiten ihrer Regierung vertrauen wollen. Regiert wird ohnehin nicht mehr, die Koalition verwaltet nur noch ihr Nichtstun. Entschieden ist die Wahl, weil das Hochwasser Merkel die Gelegenheit gibt, sich als Mensch zu zeigen. Denn natürlich muss sie als Kanzlerin die Hochwassergebiete besuchen. Sie bereist Bayern, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und jetzt auch Brandenburg. Niedersachsen dürfte die nächste Station sein, wenn die Deiche nördlich von Hitzacker überspült werden sollten. Steinbrück will erst ins Hochwassergebiet reisen, wenn die Flut vorbei ist, und wahrscheinlich ist das die weniger falsche von zwei möglichen Fehlentscheidungen.

"Die Kanzlerin rührt jetzt im Kochtopf"

Ausgerechnet Merkel, die wegen ihrer leicht linkischen Motorik lange verspottet wurde, ausgerechnet diese unscheinbare Frau aus dem Osten, diese Physikerin ohne parteiinterne Hausmacht - ausgerechnet diese Frau überzeugt durch die Art, wie sie auftritt. Merkel hat, was in der Medien-Demokratie Gold wert ist: Sie wirkt authentisch. Ob sie gelegentlich vergessen könne, dass sie Bundeskanzlerin ist, wurde sie Anfang Mai bei einer Podiumsdiskussion der Frauenzeitschrift "Brigitte" gefragt. Ihre Antwort brachte ihr einen von vielen Lachern des Abends ein: "Wenn ich im Kochtopf rühre, sage ich ja nicht, die Kanzlerin rührt jetzt im Kochtopf."

Merkel kommt an, weil sie nicht eitel, sondern selbstironisch ist - und damit noch immer eine Wohltat im Vergleich zu Alphamännchen wie Kohl, Schröder und Steinbrück. Die erstgenannten versuchten, der eine mit weniger, der andere mit mehr Erfolg, sich in den Hochwassern von 1997 und 2002 als starke Anführer zu präsentieren. Auch Merkel ließ sich zu peinlichen Sandsack-Fotos verleiten, auch sie stellt Geld in Aussicht. Doch in erster Linie führt sie normale Gespräche mit normalen Leuten. "Eine sehr nette Frau, sehr bodenständig", sagt eine junge Soldatin, nachdem die Kanzlerin sich an der Goitzsche in Bitterfeld hat sehen lassen. "Komplett voll in Ordnung die Frau." Ob Merkels Euro-Politik Europa am Ende retten oder in den Untergang stürzen wird, spielt in diesem Urteil keine Rolle. Die Flut von 2002 machte aus einem Verlierer einen Gewinner. 2013 wird das Hochwasser aus einer Siegerin eine strahlende Siegerin machen.

Quelle: ntv.de

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