Politik

Kritik und Lob für Mursis Kurs Das Militär bleibt ruhig

In einer Rede hob Mursi die Rolle des Militärs im Staat hervor.

In einer Rede hob Mursi die Rolle des Militärs im Staat hervor.

(Foto: dpa)

Für viele Beobachter überraschend entlässt Ägyptens Präsident Mursi die Führung der einflussreichen Armee. Doch diese verhält sich ruhig. Auch in der Öffentlichkeit erntet Mursi Lob für seine Entscheidung. Aber darunter mischen sich auch kritische Stimmen, die vor der Machtfülle des Staatsoberhaupts warnen. Derweil versucht Mursi, das Militär zu beruhigen.

Nach der Entmachtung der ägyptischen Militärspitze durch Präsident Mohammed Mursi regt sich kein öffentlicher Widerstand in den Reihen der Streitkräfte. Zunächst gab es keine Anzeichen dafür, dass die Militärs sich gegen die Entlassung von Armeechef Hussein Tantawi sowie Stabschef Sami Anan erheben würden. Dies wurde als Zeichen dafür gewertet, dass die überraschende Maßnahme von Mursi von Generälen niedrigen Ranges sowie von vielen weiteren Offizieren gebilligt wurde. Ein Beobachter sprach von einem Handstreich von Zivilisten, der von jüngeren Armee-Angehörigen mitgetragen werde. Dabei soll auch der Wunsch vieler Armee-Angehöriger nach einem Generationswechsel eine Rolle spielen.

Tausende Anhänger feierten Mursis Vorstoß.

Tausende Anhänger feierten Mursis Vorstoß.

(Foto: REUTERS)

Die Staatszeitung "Al-Achbar" feierte die Entmachtung des Verteidigungsministers als "revolutionär". Dagegen warnte die militärnahe "Al-Usbua" vor einer "Diktatur der Muslimbrüder". Die ebenfalls der Armee nahe stehende Zeitung "Al-Akhbar" titelte, Mursi beginne einen Kampf um die Macht. Tausende Islamisten feierten derweil in Kairo die Entscheidung. Bundesregierung und EU forderten weitere Reformen und Stärkung der Demokratie. Israel verfolgt die Entwicklung besorgt.

Mursi hatte am Sonntagabend Verteidigungsminister Tantawi, der dem Obersten Militärrat vorstand, und seinen Stellvertreter, Generalstabschef Anan, überraschend in den Ruhestand versetzt. Offiziell tragen beide jetzt lediglich den Titel "Präsidentenberater". Als Nachfolger Tantawis ernannte er den bisherigen Leiter des Militärgeheimdiensts, Abdel Fattah al-Sissi. Dieser gehört einer jüngeren Generation von Militärs an. Zudem versetzte Mursi die Oberkommandeure der Marine, der Luftwaffe und der Luftabwehr, die ebenfalls dem Militärrat angehörten, auf Führungsposten im öffentlichen Sektor.

Mehr Macht als Mubarak

Des Weiteren hob Mursi den umstrittenen Verfassungszusatz auf, mit dem sich der Militärrat im Juni nach der Auflösung des Parlaments das Recht zur Gesetzgebung, ein Veto bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung sowie ein Veto bei allen Haushaltsentscheidungen gesichert hatte. Die Vollmachten des Militärrats übertrug Mursi auf sich selbst. Damit kann er nun Gesetze erlassen und selbst den Staatshaushalt festlegen. Den Richter Mahmud Mekki, der sich 2005 durch seinen Widerspruch gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak einen Namen gemacht hatte, berief Mursi zu seinem Stellvertreter.

Abdel Fattah al-Sissi, der neue Verteidigungsminister, legt seinen Amtseid ab.

Abdel Fattah al-Sissi, der neue Verteidigungsminister, legt seinen Amtseid ab.

(Foto: dpa)

Der ehemalige Dissident und Generaldirektor der Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed al-Baradei, sprach am Montag von einem "Schritt in die richtige Richtung". Er schränkt jedoch ein: "Ein Präsident, der sowohl exekutive als auch gesetzgeberische Vollmachten hat, widerspricht dem Kern der Demokratie. Das kann nur ausnahmsweise und provisorisch gehen." Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz Mubaraks geführt hatten, äußerten sich positiv. Kritik kam aus Juristenkreisen: "Ein Präsident hat nicht die Vollmacht, eine Verfassung zu ändern, auch nicht eine provisorische", sagte die Verfassungsrichterin Tahani al-Gabali dem Portal "alahramonline". "Mursi hätte sich an die geltende Verfassungserklärung halten müssen."

"Mursi greift sich die gesamte Macht", schrieb die unabhängige Zeitung "Al-Masri al-Jum" mit Blick auf die Absetzung des 76-jährigen Marschalls Tantawi, während "Al-Schuruk" urteilte: "Mursi beendet die Macht des Obersten Militärrats". Die unabhängige Zeitung warnte aber auch, dass der Präsident mit der Übernahme des Rechts zur Gesetzgebung mehr Vollmachten erhielte als der im Februar 2011 gestürzte langjährige Machthaber Mubarak.

Die Zeitung "Al-Tahrir" schrieb, der scheinbar allmächtige Militärrat habe sich als "Papiertiger" erwiesen. Die Absetzung Tantawis und Anans sei letztlich einfacher gewesen, "als eine Zigarette auszudrücken". Noch am Sonntagabend feierten tausende Anhänger Mursis auf dem Kairoer Tahrir-Platz die Absetzung Tantawis als Sieg über das Militär. "Das Volk unterstützt die Entscheidung des Präsidenten", rief die Menge. In den vergangenen sechs Jahrzehnten kamen alle Präsidenten, auch der gestürzte Mubarak, aus den Reihen der Streitkräfte. In der Wirtschaft des Landes spielt die Armee ebenfalls eine wichtige Rolle.

"Nur das Beste" für die Armee

In einer Rede an Kairos islamischer Al-Ashar-Universität sagte Mursi, er wolle die Streitkräfte nicht "ins Abseits drängen". Er wolle für die Armee "nur das Beste" und ihr ermöglichen, sich ganz ihrer Hauptaufgabe zu widmen, "dem Schutz der Nation". Mit der Erneuerung der Militärführung habe er niemanden an den Rand drängen wollen, sondern "mit einer neuen Generation" in eine "bessere Zukunft" aufbrechen wollen, sagte Mursi.

Mursi hatte die Präsidentenwahl im Juni als Kandidat der islamistischen Muslimbruderschaft gewonnen. legte er formell seine Mitgliedschaft in der Islamistenbewegung und der ihr angeschlossenen Partei Freiheit und Gerechtigkeit nieder. Bereits die ersten Wochen seiner Präsidentschaft waren von starken Spannungen mit dem Militärrat gekennzeichnet.

Ein Militärvertreter dementierte Berichte, wonach die Entlassung Tantawis im Militär auf Ablehnung stoße. Die Entscheidungen seien "in Abstimmung und nach Absprache mit den Streitkräften" getroffen worden. Israel reagierte besorgt. Angesichts der Gewalt auf der Halbinsel Sinai sei die Regierung in Jerusalem nun besorgt über die Entwicklung, die aber noch nicht ganz absehbar sei, schrieb "Jediot Achronot" unter Berufung auf einen ungenannten Sprecher der Regierung. Allerdings wurde auch daraufhin hingewiesen, dass die neue Militärspitze ebenfalls über gute Beziehungen zu Israel verfüge.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich angesichts des Machtkampfes in Ägypten besorgt über die Zukunft des Landes. "Das sind Schicksalstage für Ägypten. Die Zukunft des Landes wird von den Bürgern und den politischen Institutionen in Ägypten entschieden", sagte Westerwelle der "Rheinischen Post". Ägypten sei ein "Schlüsselland im arabischen Raum", so Westerwelle. "Meine Hoffnung und Erwartung ist, dass der Weg in Richtung Demokratie fortgesetzt wird." Westerwelle forderte Mursi auf, sich an die Ankündigung zu halten, eine Demokratie aufzubauen. "Ich habe Präsident Mursi in den letzten Monaten zweimal getroffen und nehme ihn beim Wort, wenn er sagt, dass er eine demokratische Grundordnung und den Schutz des inneren und äußeren Friedens will."

"Die EU erwartet einen raschen Abschluss der Arbeiten an einer neuen Verfassung", sagte derweil ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. Zudem solle es so rasch wie möglich Parlamentswahlen geben. Daran müssten alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Kräfte beteiligt werden. Die USA reagierten zunächst verhalten auf die neue Entwicklung. "Es ist zu früh um zu sagen, welche Auswirkungen der Vorstoß haben wird", sagte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter in Washington.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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