Zwei Frauen für die Linkspartei "Das ist wie bei 'Verbotene Liebe'"
30.05.2012, 11:35 Uhr
Zusammen für den Aufbruch: Kipping (l.) und Schwabedissen wollen die Linkspartei erneuern.
(Foto: picture alliance / dpa)
Aus der Führungsdebatte der Linkspartei ist längst eine Existenzkrise geworden. Seit Wochen attackieren sich die Genossen bis zur Selbstzerstörung. Auf einem Parteitag stimmen die Mitglieder am kommenden Wochenende über eine neue Führung ab. Katharina Schwabedissen und Katja Kipping bewerben sich als Team. Im Gespräch mit n-tv.de sprechen sie über Brangelina, Grabenkämpfe, männliches Autoritätsgebaren und Glückwunsche an Fidel Castro. Wie zwei Frauen eine zerstrittene Partei retten wollen.
Frau Schwabedissen, können Sie sich vorstellen, warum wir uns nicht freuen würden, wenn Sie Parteivorsitzende werden?
Katja Kipping
Geboren 1978 in Dresden, verheiratet, eine Tochter, Studium (Slawistik, Amerikanistik, Öffentliches Recht), seit 1998 Mitglied der PDS, 1999-2005 Abgeordnete des sächsischen Landtags, seit 2005 Mitglied des Bundestags, seit 2007 stellvertretende Bundesvorsitzende.
Katharina Schwabedissen
Geboren 1972 in Bielefeld, zwei Söhne, gelernte Krankenschwester, Studium (Philosophie, Geschichte), 2004 WASG-Mitgründerin, seit 2008 NRW-Landeschefin der Linkspartei.
Schwabedissen: Nein, das ist mir ein Rätsel.
Es liegt an Ihrem Namen. "Schwabedissen wird Parteichefin" passt nicht in unsere Überschriftszeile.
Schwabedissen: (lacht) Das ist alter westfälischer Landadel.
Kipping: Wenn Sie kurze Überschriften brauchen, können Sie unsere Namen ja einfach zusammenziehen.
Was wäre das dann?
Kipping: Schwipping zum Beispiel.
Das wäre ja dann so etwas wie Merkozy.
Kipping: Ich habe eher an Angelina Jolie und Brad Pitt gedacht …
Werden wir Sie denn nächste Woche als neue Parteichefinnen begrüßen können?
Schwabedissen: Das entscheidet der Parteitag.
Kipping: Wir haben viele Zuschriften bekommen. Die zeigen, dass viele Leute große Hoffnungen mit uns verbinden.
Wie läuft das am Wochenende? Es ist doch gar nicht vorgesehen, dass die Mitglieder ein Team wählen.
Schwabedissen: Das ist richtig, der Parteitag kann kein Paket wählen. Aber wir funktionieren alleine nicht. Die Idee ist, unsere gemeinsamen und unterschiedlichen Stärken einzubringen.
Das heißt, es gibt Sie nur im Doppelpack und sonst gar nicht?
Kipping: Es gibt tausend Kombinationsmöglichkeiten, wer mit wem. Das ist ja ein bisschen wie bei "Verbotene Liebe". Wir treten nicht gemeinsam an, weil wir was gegen eine andere Person haben, sondern weil wir eine Idee einbringen, die nur zusammen funktioniert.

Kann auch mit den Dinos in der Partei: Katja Kipping ist seit 2007 im Parteivorstand.
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Und wenn das nicht klappt?
Kipping: Wir hoffen, diese Frage stellt sich nicht. Es gibt unterschiedliche Führungsmodelle, die in sich schlüssig sind. Wer die Spitzen der Pole in ihrer Brillanz und Medienpräsenz haben will, hat das Modell Wagenknecht / Bartsch. Wir stehen für ein Modell mit einem integrierenden Ansatz, weg vom Lagerdenken.
Frau Schwabedissen, eine Zusammenarbeit mit Herrn Bartsch haben Sie bereits explizit ausgeschlossen. Sie haben gesagt, er polarisiere zu sehr.
Schwabedissen: Ich habe nichts gegen Dietmar Bartsch. Aber es ist kein Geheimnis, dass er für einen der beiden Pole steht. In den letzten Wochen sind diese beiden Züge aufeinander zugerast, die die beiden Flügel vertreten.
Kipping: Wir verstehen unseren Antritt nicht als explizite Ansage an eine Person, sondern als ein Angebot, das jenseits dieser Polarisierung steht. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass es zwischen Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine zu einer Konsenslösung kommt. Dann hätten wir gar nicht über einen dritten Weg nachdenken müssen. Mein Angebot, die Gespräche zu moderieren, wurde aber leider von beiden Seiten ausgeschlagen.
Sie sprechen von zwei Zügen, die aufeinander zurasen. Besteht die Gefahr einer Spaltung nach Lafontaines Rückzug immer noch?
Kipping: Eine Spaltung kommt überhaupt nicht in Frage. Nur eine bundesweite Partei kann Veränderungen bewirken. Der Parteitag muss einen Aufbruch aus der Krise bewirken.
Ex-Partei-Chef Lothar Bisky spricht von einer "Super-Horror-Show", von einer tödlichen Entwicklung der Partei. Es würde etwas auseinanderfallen, was nie zusammengehört hätte.
Kipping: Als Lothar noch Vorsitzender war, hätte ich mir manchmal gewünscht, dass er stärker Position bezieht. Damals war er sehr zurückhaltend. Vielleicht hat sich da etwas angestaut bei ihm. Das ist seine Sicht der Dinge. Es gibt nicht das wieder, was wir an Gesprächen in der Partei erleben.
Schauen wir mal auf die Grabenkämpfe der letzten Wochen, vor allem zwischen den Herren Lafontaine, Bartsch, Ramelow und Ernst. Es ist kaum vorstellbar, dass die in naher Zukunft glaubwürdig für eine gemeinsame Sache antreten.
Kipping: Es gibt Schützengräben. Vielleicht hat sich der eine oder andere etwas zu tief eingebuddelt. Am Ende sollten alle wissen: Wenn man die Gräben so tief gegraben hat, dass man den eigentlichen politischen Gegner nicht mehr sehen kann, ist das ein Problem. Wir müssen raus aus diesen Gräben. Ich habe da tiefes Vertrauen in die Weisheit unserer Partei.
Was hat diese Streitkultur der vergangenen Wochen beim Wähler für einen Eindruck erweckt?

Blumen für die Verliererin: Noch-Vorsitzender Klaus Ernst und NRW-Landeschefin Schwabedissen nach der NRW-Wahl.
(Foto: picture alliance / dpa)
Kipping: Die Attraktivität einer um sich selbst kreisenden Partei ist natürlich begrenzt. Umso wichtiger ist es, dass sich jetzt nicht wieder ein Lager gegenüber einem anderen durchsetzt.
Die Jungs haben den Karren in den Dreck gefahren und die Mädels retten jetzt die Partei?
Schwabedissen: Unser Modell ist ja genau das Gegenmodell. Die Probleme werden wir nicht zu zweit lösen, sondern nur alle gemeinsam. Katja und ich stehen nicht dafür, die Partei autoritär dazu zu bringen, sich wieder zu vertragen und wieder lieb zu sein. Eine gute Führung ist eine, die gemeinsam mit der Partei die Inhalte voranbringt. Das wird nicht leicht, denn es wurde viel Porzellan zerschlagen. Aber wir reichen allen die Hand, aus ihren Schützengräben herauszukommen.
Kipping: Der Versuch mit autoritärer männlicher Stimme die Einheit der Partei zu sichern, das ist jetzt über viele Jahre erfolglos versucht worden. Es kommt auf einen Wechsel der Tonlage an.
Schwabedissen: Aber unser Modell ist es jetzt nicht, patriarchale Strukturen durch eine Frauenherrschaft abzulösen. Wir wollen nur einen anderen politischen Stil.
Das heißt, weniger von oben herab die Linie vorgeben, sondern die Mitglieder stärker beteiligen? Wie soll das praktisch gehen?
Kipping: Parteitage dürfen keine Wettbewerbe mehr sein, wer die lautesten Klatscher bekommt. Es sollen wieder mehr Leute zu Wort kommen. Wir brauchen eine bessere Form von Verständigung, zum Beispiel in Arbeitsgruppen.
Lafontaine hat seinen Rückzug erklärt. Spielt er weiter eine Rolle oder ist es Zeit für den Generationenwechsel?
Schwabedissen: Das widerspricht sich nicht. Er wird weiter eine wichtige Rolle spielen. Den Versuch, Oskar tot zu reden, gab es doch schon öfter - und trotzdem ist er zum Glück nicht verschwunden.
Es gibt das Zitat von ihm: "Die glauben doch nicht im Ernst, dass ich nächstes Jahr noch für die Wahlkampf mache."
Kipping: Da haben wir von ihm was anderes gehört.
Schwabedissen: Es geht doch nicht darum, ob man ein Amt hat oder nicht. Oskar ist jemand, der politische Inhalte hervorragend transportieren kann.
Stichwort Inhalte. Mit wem will die Linkspartei künftig schlagkräftige Politik gegen die schwarz-gelbe Linie machen?
Kipping: Wir brauchen andere Selbstverständlichkeiten an den Stammtischen und in den Talkshows. Solange die Mehrheit der Meinung ist, ein Erwerbsloser ist selbst schuld an seiner Situation oder man müsse einfach weiter gegen Hartz-IV-Betroffene hetzen, so lange hat man ein Problem mit einem Politikwechsel.
Wenn wir Sie auf dem Parteitag wählen sollten: Mit welchen Begriffen würden Sie uns ködern?

Turteltäubchen: Oskar Lafontaine und Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Schwabedissen: Das Thema Fiskalpakt/ Eurokrise wird in den nächsten Monaten bei uns ankommen. Das Zweite ist die Frage der Arbeitswelt und damit verbunden die Verteilungsgerechtigkeit und die Geschlechterfrage. Der dritte wichtige Punkt ist die Frage nach Demokratie und Frieden.
Kipping: Gesellschaft ohne Angst ist auch ein wichtiges Thema. Ob als Erwerbsloser oder als Beschäftigter: Wir haben eine Zunahme von Angst. Als Zweites fordern wir eine Offensive fürs Öffentliche: Wir stellen uns dem Ausverkauf des öffentlichen Sektors entgegen, zum Beispiel mit Modellen wie einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Und der dritte Punkt: Es ist wichtig eine Partei zu haben, die immer wieder Nein sagt zu Kriegen.
Herr Bartsch würde vieles von dem sicherlich unterschreiben. Wo ist der genaue Unterschied zu seinem Kurs?
Schwabedissen: Wir haben ja eine klare inhaltliche Grundlage, das ist das Erfurter Programm. Aber die Frage sind nicht die Inhalte, sondern die Methoden. Wir wollen eine andere Art zu arbeiten.
Kipping: Die Mitglieder sind selber in der Lage, Unterschiede herauszufiltern. Dazu müssen wir nicht andere Genossen schlechtreden.
Warum kommt die Partei nicht an beim Wahlvolk?
Schwabedissen: Wir kommen bei den Menschen an. Unsere Themen im NRW-Wahlkampf waren genau die, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Aber sie verbinden diese Themen erstaunlicherweise mit der SPD: Wir haben das in Umfragen nachvollziehen können. Daran müssen wir arbeiten. Wie verankern wir uns im Westen so, dass wir als Linke wahrgenommen werden und die Inhalte uns zugeschrieben werden?
Wie groß ist eigentlich der viel zitierte Graben zwischen Ost und West in Ihrer Partei?
Schwabedissen: Es gibt diese Gräben so nicht. Katja und ich sind ein gutes Beispiel dafür. Ich komme aus dem Westen, sie aus dem Osten, mit unterschiedlichen Biografien und Hintergründen. Wir arbeiten gerne zusammen, streiten aber auch. Aber wir streiten nicht, weil ich aus dem Westen und sie aus dem Osten kommt, sondern weil wir unterschiedliche Positionen haben.
Kipping: Immer mehr Debatten bei uns laufen inzwischen quer zu Ost-West-Linien. Feminismus, Grundeinkommen: Da lassen sich Ost und West nicht mehr so einfach zuordnen.
Obwohl die Partei im Osten viel mehr Mitglieder hat, sind auf dem Parteitag ungefähr gleich viele Delegierte aus Ost- und West-Verbänden. Gibt das keine Animositäten?
Kipping: Die Anzahl der Delegierten war eine bewusste Entscheidung bei der Parteineugründung. Auch, dass die WASG nicht das Gefühl hat, sie wird geschluckt. Für Wahlen gilt: Entweder sie werden gemeinsam gewonnen oder gemeinsam verloren. Wir haben jetzt zwei entscheidende Wahlen vor uns. Die Landtagswahl in Niedersachsen und die Bundestagswahl, da sitzen wir alle im selben Boot.
Sie haben beide kleine Kinder. Die Frage ist: Funktioniert das System einer Halbtagsparteichefin?
Kipping: (lacht) Würden Sie das auch einen Mann fragen, der fünf Kinder hat?
Ich habe tatsächlich fünf Kinder.
Kipping: Ich konnte mir das lange schwer vorstellen. Aber die Frage ist doch: Kann man nur Politik machen, wenn man sein Privatleben vernachlässigt? Wenn das so ist, muss man die Politik verändern. Dann müssen wir darüber nachdenken, mehr Konferenzen im Live-Stream zu übertragen. Dann könnten auch die Genossen den Debatten folgen, die zu Hause neben dem Babyfon sitzen. Aber die Qualität politischer Entscheidungen hängt sicher nicht davon ab, dass man rund um die Uhr Politik macht.
Wie kann man sich das unter einer Doppelspitze Kipping / Schwabedissen vorstellen: Schreiben Sie auch Glückwunsch-Telegramme an Herrn Castro?
Kipping: (lacht) Sprachlich war dieser letzte Brief wirklich eine Katastrophe. Ich werde mich dafür einsetzen, dass solche Peinlichkeiten nicht mehr passieren. Aber ich muss auch sagen, dass diese Debatte eine komische Gewichtung hatte. So war zum Beispiel auch das Schreiben, in dem Frau Merkel dem Premierminister Vietnams im vergangenen Jahr zur gewonnenen Wahl gratuliert hat, nicht frei von Peinlichkeiten. Dort gab es kein kritisches Wort zu Lage der Menschenrechte. Das hat aber öffentlich nie eine Rolle gespielt.
Die Linken werden Castro also auch weiterhin zum Geburtstag gratulieren?
Schwabedissen: Ja, aber mit anderen Worten, zum Beispiel: "Herzlichen Glückwunsch, lieber Fidel."
"Man muss sich ein Schwimmbecken vorstellen, in das so lange reingepinkelt wird, bis es stinkt. Und die Pinkler stehen auf dem Dreimeterbrett und lassen sich beklatschen." Wer hat das gesagt?
Kipping: (lacht) Das war Klaus Ernst und es gehört sicherlich nicht zu seinen schönsten Zitaten.
Ernst, der die Linkspartei seit zwei Jahren als Vorsitzender anführt, hat das vor einigen Tagen auf einer Regionalkonferenz in Stuttgart gesagt. Ist es gut, wenn er am Wochenende abgewählt wird?
Schwabedissen: Er wird nicht abgewählt. Er hat sich nur entschieden, nicht wieder anzutreten.
Kipping: Er hat mit Gesine Lötzsch in einer schwierigen Zeit Verantwortung übernommen.
Sie sind der Meinung, er hat zwei Jahre gute Arbeit geleistet?
Kipping: Das habe ich so nicht gesagt. Es gibt einen Grund, dass wir angetreten sind und nicht gesagt haben: Mach es weiter!
Aber Sie würden so etwas nicht sagen mit dem Schwimmbecken, oder?
Kipping: Ich wäre eher froh, wenn ich Zeit hätte, mal wieder schwimmen zu gehen.
Mit Katja Kipping und Katharina Schwabedissen sprachen Christian Rothenberg und Tilman Aretz
Quelle: ntv.de