Tote durch Giftgas in Syrien "Das wäre nicht Krieg, sondern Terror"
22.08.2013, 13:37 Uhr
Angehörige beerdigen die Toten.
(Foto: REUTERS)
Die Zeit drängt, sagt Chemiewaffen-Experte Oliver Meier im Interview mit n-tv.de: Wenn die UN-Inspektoren herausfinden sollen, wer in Syrien Chemiewaffen eingesetzt hat, dann müssen sie ihre Untersuchung bald beginnen. Seine Befürchtung ist, dass hier Giftgas eingesetzt wurde, nicht um feindliche Verbände zu bekämpfen, sondern "um Angst und Schrecken zu verbreiten".
n-tv.de: Syrische Oppositionsgruppen sagen, die Regierungsarmee habe in der Nähe von Damaskus bei Angriffen auf Dörfer Giftgas eingesetzt, 1300 Menschen sollen dort ums Leben gekommen sein. Es gibt schreckliche Fotos mit toten Kindern und Erwachsenen, die offenbar erstickt sind. Wie glaubwürdig sind solche Angaben?
Oliver Meier: Das ist im Moment noch schwer zu beurteilen. Klar zu sein scheint, dass hier wirklich etwas Dramatisches passiert ist. Die Vielzahl der Aufnahmen deutet wohl auch darauf hin, dass es stärkere Indizien gibt als bei früheren Berichten über den Einsatz von chemischen Waffen in Syrien.
Syrien verfügt über das größte aktive Chemiewaffen-Programm der Welt. Ist ausgeschlossen, dass die Aufständischen in den Besitz dieser Kampfstoffe gelangt sind?
Ausschließen kann man das nicht. Es gibt aber keine nachprüfbaren Belege, dass die Regierung die Kontrolle über die Bestände verloren hätte.
Derzeit sind UN-Inspektoren in Syrien unterwegs, die prüfen sollen, ob im Bürgerkrieg Giftgas eingesetzt wird oder wurde. Wird deren Bericht Klarheit bringen?
Das ist zu hoffen. Die Inspektoren sind derzeit in Damaskus, die internationale Gemeinschaft sollte jetzt fordern, dass die Inspektoren die Möglichkeit bekommen, diesen Zwischenfall schnellstmöglich zu untersuchen. Je schneller die Untersuchung erfolgt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass geklärt werden kann, was hier passiert ist. Richtigerweise hat UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon die aktuelle Mission auch damit begründet, dass sie abschreckend wirkt gegen einen Einsatz von Chemiewaffen. Es wäre schon eine große Ironie, wenn die UN-Inspektoren jetzt nicht in der Lage wären, die aktuellen Berichte möglichst zeitnah zu prüfen.

Oliver Meier ist Experte für Sicherheitspolitik und arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
(Foto: SWP)
Bislang ist ihr Auftrag ja nur zu untersuchen, ob Giftgas eingesetzt wurde, nicht von wem.
Es gibt Äußerungen von Seiten der UN, dass dies das Ziel der Untersuchung sein soll. Ob in dem Abkommen, das die Inspektoren Ende Juli in Damaskus mit der syrischen Regierung ausgehandelt haben, eine solche Einschränkung festgeschrieben ist, ist aber unklar. Unabhängig davon muss natürlich jetzt eine solche Untersuchung stattfinden - auch deshalb, um den weiteren Einsatz von Chemiewaffen an diesen Orten zu verhindern. Wenn es eine Untersuchung gibt, wird sie nicht die Frage ignorieren können, wer die Chemiewaffen eingesetzt hat. Ein erstes Indiz wird schon die Kooperationsbereitschaft der syrischen Regierung beziehungsweise der syrischen Rebellen sein.
US-Präsident Barack Obama hat den Einsatz von Giftgas als "rote Linie" bezeichnet. Die Syrische Koalition schreibt auf ihrem Twitter-Account, diese rote Linie sei längst überschritten und stehe in Flammen. Für wie sinnvoll halten Sie ein militärisches Eingreifen der USA in Syrien?
Der Generalstabschef der USA, Martin Dempsey, hat erst jüngst beschrieben, welche Grenzen ein solcher Einsatz aus seiner Sicht hätte. Die USA haben ja schon im Juni festgestellt, dass aus ihrer Sicht die rote Linie überschritten wurde, weil sie davon ausgehen, dass die syrische Regierung in geringem Umfang mehrfach Chemiewaffen eingesetzt hat. Damals ging es nur um vereinzelte Zwischenfälle, bei denen vergleichsweise wenig Menschen ums Leben gekommen sind - im Juni erklärte die US-Regierung, ihr lägen Belege vor, dass insgesamt zwischen 100 und 150 Menschen bei Zwischenfällen mit Giftgas getötet wurden. Wenn sich bewahrheiten sollte, dass massiv Chemiewaffen eingesetzt wurden, dass hunderte Menschen zu Schaden gekommen sind oder sogar getötet wurden, dann wäre das eine neue Qualität. Das wäre fast ähnlich zu bewerten wie der Einsatz von Chemiewaffen durch den irakischen Machthaber Saddam Hussein 1988 gegen die kurdische Bevölkerung, als mehrere tausend Menschen getötet wurden.
Sehen Sie den Fall eintreten, dass die USA dann aktiv eingreifen werden?
Diese Diskussion würde dann sicherlich neu aufflammen. Möglicherweise verändert sich auch die Diskussion unter den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat, wenn Belege auftauchen, dass die eine oder die andere Seite verantwortlich ist für einen massiven Einsatz von Chemiewaffen.
Was bewegt eine Armee oder eine Regierung überhaupt, Giftgas einzusetzen?
Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Chemiewaffen in militärischen Konflikten großflächig gegen Truppenverbände eingesetzt werden. Oft wurden Chemiewaffen erst dann eingesetzt, wenn einer Kriegspartei die Niederlage drohte. Beispielsweise erwog Hitler zum Ende des Zweiten Weltkriegs, Sarin gegen die Rote Armee einzusetzen. Auch Saddam Hussein setzte 1984 im Krieg gegen den Iran Giftgas ein. Im syrischen Bürgerkrieg findet möglicherweise eine ganz andere Form des Einsatzes statt: bisher offenbar punktuell, abgesehen von den jüngsten Berichten sehr diffus, möglicherweise um Angst und Schrecken zu verbreiten, aber nicht im militärischen Sinne gegen feindliche Verbände. Das wäre nicht Krieg, sondern Terror. Das ist eigentlich die Gefahr, die hier im Raum steht: Dass wir hier eine neue Form des Chemiewaffeneinsatzes erleben, die wir bisher so nicht kannten.
Mit Oliver Meier sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de