Politik

Wirtschaftsexperte zum Mindestlohn "Davor haben wir alle gewarnt"

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(Foto: dpa)

So genau wie kein anderes Institut hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Folgen des Mindestlohns für Deutschland untersucht. Im Interview mit n-tv.de sagt der Autor der Studie, Kai-Uwe Müller, voraus, dass der Koalitionsvertrag bis zu eine halbe Million Jobs kosten wird.

n-tv.de: Wird der Mindestlohn, so wie er jetzt beschlossen ist, Arbeitsplätze kosten?

Kai-Uwe Müller: Mit dieser Höhe von 8,50 Euro ist das wahrscheinlich. Um wie viele Jobs es geht, hängt davon ab, ob die Leute bereit sind, höhere Preise zu zahlen. Denn die höheren Löhne werden zu höheren Preisen führen. Wenn die Leute nicht mehr Geld ausgeben wollen, werden Jobs verloren gehen oder in die Schattenwirtschaft abwandern. Die Frage ist, wie hoch die Elastizität der Güternachfrage ist …

… also ob sich Produkte auch dann noch verkaufen, wenn sie teurer werden.

Es gibt große Unterschiede beim Anstieg der Lohnkosten: Ostdeutschland ist viel stärker betroffen als der Westen. Geringfügig Beschäftigte sind stärker gefährdet als Vollzeitkräfte, Kleinunternehmen stärker als größere. Und tendenziell werden eher Frauen als Männer ihren Job verlieren, weil sie öfter in den Niedriglohnsektoren arbeiten.

Wie viele Jobs sind bedroht?

Nach unseren Simulationen könnten zwischen 100.000 und einer halben Million Arbeitsplätze wegfallen. Da der Mindestlohn mit 8,50 Euro sehr abrupt eingeführt werden soll, wird man die Effekte auf dem Arbeitsmarkt deutlich sehen können. Davor haben wir alle gewarnt, auch die Ökonomen, die den Mindestlohn grundsätzlich befürworten. Aber manchmal ist das politisch ja auch gewollt: Politiker sagen, dass es bestimmte Jobs einfach nicht geben soll. Der Meinung kann man sein.

Welche Branchen sind betroffen?

Das ist eine wichtige Frage. Prinzipiell sind bestimmte Branchen in Deutschland überdurchschnittlich von einem Kostenanstieg durch einen Mindestlohn betroffen. Schon deshalb ist es wahrscheinlicher, dass dort Arbeitsplätze wegfallen. Das sind Dienstleistungsbranchen wie der Einzelhandel, das Gastgewerbe, Gesundheits- und Pflegedienstleistungen und die Reinigungsbranche. Auch die Zeitarbeit oder die Landwirtschaft werden betroffen sein. Es gibt allerdings keine gesicherte Antwort auf die Frage, wie stark die Konsumenten in unterschiedlichen Bereichen auf steigende Preise reagieren.

Aber die Nachfrage etwa nach Reinigungskräften wird doch bestehen bleiben. Oder wird in den Büros zukünftig weniger geputzt?

Wenn möglich, werden die Firmen mehr Maschinen einsetzen, wenn die Kosten steigen. Ob das bei der Gebäudereinigung möglich ist, sei dahingestellt. Aber man kann es sich vorstellen. Ansonsten werden halt die Preise steigen. Im Zweifel gibt das Unternehmen, das mehr für die Reinigungsfirma bezahlen muss, die Kosten an die eigenen Kunden weiter. Bei den Friseuren ist die Frage, ob sich mehr Leute privat die Haare schneiden lassen werden, wenn Haarschnitte teurer werden. Die Frage ist also: Wie leicht können die Kunden auf die Dienstleistung verzichten?

Sie glauben, dass Leute weniger zum Friseur gehen, weil es ein paar Euro mehr kostet?

Wie gesagt: Das bleibt Spekulation und ist ein plakatives, oft zitiertes Beispiel. Es gibt praktisch keine aktuelle empirische Studie, die das für einzelne Branchen genau vorhersagen kann. Das wäre natürlich schön.

Warum gibt es solche Studien nicht? Das ist doch eine wichtige Frage.

Zum einen ist die Datenlage nicht die beste, zum anderen ist es empirisch aufwändig. Das ist ein Problem. Denn die gesamten Simulationen dazu beruhen auf Annahmen darüber, wie die Konsumnachfrage reagiert.

Linke Politiker versprechen sich positive Effekte durch den Mindestlohn. Wird es die geben?

Natürlich senkt der Mindestlohn die Lohnungleichheit. Seit 20 Jahren geht die Schere auseinander: Die Gutverdiener verdienen noch mehr, die Niedriglohnbezieher bekommen vergleichsweise weniger. Der Mindestlohn ist dazu geeignet, diese Schere wieder etwas zu schließen und das ist für das Gerechtigkeitsempfinden der Leute sehr wichtig. Man muss aber einschränken: Netto sind die Gewinne für die Niedriglöhner deutlich geringer, als es gemeinhin wahrgenommen wird.

Wird es einen Konjunkturimpuls geben? Wenn die Menschen mehr Geld haben, können sie auch mehr ausgeben und damit die Wirtschaft stärken.

Wir sind da vorsichtig bis skeptisch. Netto kommt nur ein Drittel bis ein Viertel bei den Leuten an, wenn man bedenkt, dass sie wegen des höheren Lohns schlicht weniger Geld vom Staat bekommen. Und es hängt sehr stark davon ab, wie sich die Wirtschaft auf die neuen Bedingungen anpasst. Behalten die Leute ihre Jobs? Wenn nicht, haben manche mehr Geld, andere aber auch weniger. Und wie sehr werden die Preise von Konsumgütern steigen? Wenn Menschen mehr für Haarschnitte und Lebensmittel bezahlen müssen, bleibt kein Spielraum für zusätzlichen Konsum. Daher ist also nicht von großen Effekten auszugehen.

Wie viele Menschen werden vom Mindestlohn betroffen sein?

Nach unseren Zahlen sind es 15 Prozent der abhängig Beschäftigten in Westdeutschland und 27 Prozent in Ostdeutschland. Betrachtet man die gesamte Bundesrepublik, sind 17 Prozent betroffen. Der Osten hat für den Durchschnitt ein geringeres Gewicht, weil dort deutlich weniger Menschen leben und arbeiten.

Mit Kai-Uwe Müller sprach Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

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