Politik

"Zwischen zwei Übeln entschieden" Denkzettel für Koch-Mehrin

Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin hat den Sprung ins Präsidium des Europaparlaments knapp geschafft. Trotz der Kritik mancher Abgeordneter an ihrer Arbeitsleistung wurde die 38-Jährige zu einer der 14 Vize-Präsidenten gewählt - allerdings erst im dritten Durchgang.

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Viele Abgeordnete werfen Koch-Mehrin vor, mehr in Talkshows und People-Magazinen zu glänzen, als mit Arbeitseifer in den Ausschüssen.

(Foto: dpa)

Bei den beiden ersten Durchgängen hatte Koch-Mehrin noch das mit Abstand schlechteste Ergebnis erzielt. Im entscheidenden dritten Durchgang lag sie dann mit 186 Stimmen vor dem rechtslastigen Polen Michal Tomasz Kaminski. Er erzielte im letzten Wahlgang mit 174 Stimmen das schlechteste Ergebnis und schied damit aus. Für die 14 Posten hatten sich 15 Abgeordnete beworben.

Ihren knappen Erfolg dürfte Koch-Mehrin vor allem den Grünen zu verdanken haben, die im dritten Durchgang schließlich für die 38-jährige FDP-Politikerin stimmten. Die Grünen hätten eine Wahl Kaminskis ins Präsidium nicht verantworten wollen, sagte ein Fraktionssprecher. Der Pole sei in der vergangenen Legislaturperiode mit rassistischen und schwulenfeindlichen Äußerungen aufgefallen. "Zwischen zwei Übeln haben wir uns für das Geringere entschieden", sagte der Sprecher. Mit dem schlechten Ergebnis in den beiden ersten Runden sei Koch-Mehrin jedoch ein "Denkzettel" verpasst worden.

Klare Mehrheit für Buzek 

Zuvor war der konservative Pole Jerzy Buzek als erster osteuropäischer Politiker zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt worden. Bei ihrer ersten Sitzung wählten die EU-Abgeordneten den 69-Jährigen in Straßburg mit 555 Stimmen zum Nachfolger des deutschen CDU-Politikers Hans-Gert Pöttering. Der Einfluss des Parlamentspräsidenten auf die EU-Politik ist zwar begrenzt. Dennoch wird die Wahl Buzeks als wichtige Geste an die Vertreter der zehn osteuropäischen EU-Staaten betrachtet, die sich oft noch als Europäer zweiter Klasse behandelt fühlen.

Enger Parteifreund Tusks

Buzek sagte mit Blick auf die sozialistische Vergangenheit Osteuropas: "Ich sehe meine Wahl als Zeichen an diese Länder. Ich betrachte sie auch als Ehrung der Millionen Bürger, die sich einem feindseligen Regime nicht beugten." Der gelernte Chemie-Ingenieur hatte sich 1980 der oppositionellen polnischen Solidarnocz-Gewerkschaft angeschlossen. Von 1997 bis 2007 war er Regierungschef in Polen und setzte heftig umstrittene Reformen des Sozialsystems und der staatlichen Verwaltung durch. Der enge Parteifreund des amtierenden Regierungschefs Donald Tusk gehört dem EU-Parlament seit 2004 an. Im selben Jahr war Polen gemeinsam mit neun anderen Staaten der EU beigetreten.

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Buzek will gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise kämpfen.

(Foto: dpa)

Die größte Herausforderung der kommenden Jahre sei es, die Wirtschafts- und Finanzkrise zu meistern, sagte Buzek. Auch erwarteten die Bürger Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel und bei der Sicherung der Energieversorgung. Der neue Parlamentspräsident will die Arbeit des Parlaments den Bürgern näherbringen. Die Wahlbeteiligung hatte angesichts des Desinteresses für die Europapolitik bei der Abstimmung im Juni mit 43 Prozent einen neuen Tiefstand erreicht.

"Machtvolles Symbol"

Die konservative Europäische Volkspartei, der Buzek angehört, ist mit gut einem Drittel der Sitze die stärkste Gruppe im Parlament. Ihr Fraktionschef, der Franzose Joseph Daul, sagte, Buzeks Wahl sei ein "machtvolles Symbol" dafür, dass Europa nicht mehr in Ost und West geteilt sei. Auch der Vorsitzende der Sozialisten, der deutsche SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz, sprach von einem historischen Moment. Im Namen der Liberalen forderte der ehemalige belgische Regierungschef Guy Verhofstadt Buzek auf, sich gegenüber den EU-Regierungen Gehör zu verschaffen.

Bundespräsident Horst Köhler nannte Buezks Wahl ein "überzeugendes Zeichen für den fortgeschrittenen Einigungsprozess in Europa". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) würdigte den Polen als "ausgewiesenen Europäer". Polens Regierungschef Donald Tusk bezeichnete Buzeks Wahl als "symbolischen Moment", der für die Vereinigung des "neuen und alten Europas" stehe.

Wichtige Aufgaben warten

Das europäische Parlament, das über viele Regelungen der Europäischen Union gleichberechtigt mit den 27 EU-Staaten entscheidet, hat wichtige Aufgaben vor sich. So müssen die 736 Volksvertreter bald den von den Regierungen vorgeschlagenen Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten, den bereits amtierenden Portugiesen Jose Manuel Barroso, bestätigen. In der Gesetzgebung stehen neue Regeln für die Finanzmärkte nach der Krise ganz oben auf der Agenda.

Buzek wird in der ersten Hälfte der Legislaturperiode dem Parlament vorstehen. Dann soll ein Politiker der zweitstärksten Fraktion, der Sozialisten und Demokraten, das Amt übernehmen. Dafür gibt es bisher noch keinen Kandidaten. Im Gespräch ist jedoch der deutsche Sozialdemokrat Schulz.

Quelle: ntv.de, rts/AFP/dpa

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