Grüner Höhenflug "Der FDP steht das Wasser bis zum Hals"
23.05.2011, 12:57 Uhr
Strahlende Gesichter bei den Grünen.
(Foto: dapd)
Die Bremen-Wahl zeigt einmal mehr: Die Grünen reiten auf einer Erfolgswelle, für Union und FDP sieht es düster aus. Der CDU bleibe derzeit nur "das Prinzip Hoffnung, dass 2013 die Welt völlig anders aussieht als jetzt", sagt Parteienforscher Falter im Gespräch mit n-tv.de. Aber auch die Linke sieht er in einer "echten Krise".
n-tv.de: Die Grünen sind die eigentlichen Wahlsieger in Bremen, zum 15. Mal in Folge konnten sie bei einer Wahl ihre Ergebnisse verbessern. Was machen sie anders als andere Parteien?
Jürgen W. Falter: Die Grünen haben Themen, die im Augenblick die gesamte Wählerschaft ansprechen und hinter denen jeder stehen kann: Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Sorge um die Umwelt, Ausstieg aus der Atomkraft. Das bringt sie im Moment weit nach oben, wie wir bei den Wahlen in Baden-Württemberg und nun auch wieder in Bremen gesehen haben.
Haben die Grünen damit ihren Höhepunkt erreicht?
Der Höhenflug könnte durchaus noch das ganze Jahr anhalten. Das Thema Energiewende wird uns länger beschäftigen und die Grünen werden bei diesem Thema immer als das Original dastehen. Aber ich glaube schon, dass der große Erfolg allmählich abebbt und dann andere Themen eine Spitzenposition einnehmen. Später wird es vermutlich um den Euro und seine Stabilität gehen, um Griechenland, und da haben die Grünen weniger beizutragen. Dann kann es auch wieder mit ihnen etwas bergab gehen, oder anders gesagt: in Richtung Normalisierung. Die Grünen sind stärker geworden, das ist keine Frage. Aber die Werte, die sie im Augenblick erreichen, sind Spitzenwerte, die sich nur unter außergewöhnlichen Umständen wiederholen lassen.
Doch ist klar, dass die Grüne immer mehr zu Königsmachern werden. Wann gibt es Schwarz-Grün im Bund?

Nicht besonders erfreut: Kanzlerin Merkel überreicht Bremens CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann einen Blumenstrauß.
(Foto: dpa)
Das lässt sich im Augenblick noch nicht voraussagen. Die derzeit die Partei und die Fraktion in Berlin dominierenden Grünen ziehen eindeutig die SPD als Koalitionspartner vor, der sie in der Gesellschaftspolitik viel näher stehen als der Union. Die Grünen sind ja immer noch zu großen Teilen eine gesellschaftsverändernde Kraft, sie wollen mindestens ebenso stark wie die SPD bestimmte Gerechtigkeitsvorstellungen verwirklichen. Und dafür erscheint ihnen die CDU weniger geeignet als derzeit die SPD. Deswegen glaube ich auch nicht, dass Schwarz-Grün auf Bundesebene unmittelbar bevorsteht.
Muss sich denn nicht auch die CDU mehr für die Grünen öffnen, wenn sie künftig weitere Koalitionsoptionen haben will?
Die CDU öffnet sich ja im Augenblick für die Grünen durch die wirklich grundlegende Energiewende, die sie einleitet. Ein Haupthindernis für eine schwarz-grüne Koalition, die Atomkraft, wäre damit aus dem Weg geschafft. Auf Länderebene haben wir gesehen: Schwarz-Grün geht, wenn auch bisher nicht sehr erfolgreich, und im Saarland funktioniert Jamaica einigermaßen. Es wird allmählich darauf hinauslaufen, dass alle Parteien stärker nach allen Seiten koalitionsfähig werden.
In Bremen jedenfalls wurde die CDU deutlich abgestraft und ist erstmals dritte Kraft hinter den Grünen. Woran liegt das?

FDP-Generalsekretär Lindner.
(Foto: dapd)
Bremen ist ein besonderes Biotop, das kann man nicht auf die gesamte Bundespolitik extrapolieren. Bremen ist ein sehr kleiner Stadtstaat, einwohnermäßig nicht mehr als eine mittlere Großstadt, die Bundesrepublik als Ganzes entspricht dem strukturell in keiner Weise. Dann ist Bremen traditionell links und hat ganz besondere Probleme hinsichtlich der Arbeitslosigkeit, des Ausbildungssystems, der Finanzen. Die CDU hat darauf in Bremen keine guten Antworten gewusst. Sie hat keine zugkräftigen Spitzenpolitiker, während die SPD hier immer wieder sehr starke Politiker an die Spitze gebracht hat: Hans Koschnik, Henning Scherf und jetzt auch Jens Böhrnsen.
Aber auch bei den anderen Landtagswahlen hat die CDU in diesem Jahr herbe Verluste erlitten. Wie kann sie aus dem Tief wieder rauskommen?
Die CDU kann zunächst einmal nur hoffen, dass sich die Stimmung ändert. Dass sie, wenn das Energiethema mehr oder minder vom Tisch ist, die Bundesrepublik durch die Euroländerkrise einigermaßen unbeschädigt führt. Dabei lauert hier allerdings eine ganz große Gefahr für jede regierende Partei, da sich viel Unsicherheit und Unzufriedenheit aufgebaut hat. Die CDU muss ansonsten versuchen, den Bürgern ganz allgemein das Gefühl zu geben, gut regiert zu werden, zu gestalten, aber die Bürger nicht zu überfordern. Und dann bleibt ihr natürlich das Prinzip Hoffnung, dass 2013 die Welt völlig anders aussieht als jetzt.
Bisher scheinen aber auch viele Unionswähler nicht das Gefühl zu haben, gut regiert zu werden ...
Das hat natürlich mit dem miserablen Start der schwarz-gelben Koalition nach 2009 zu tun. Da kam als erstes der Riesenverlust von Nordrhein-Westfalen, die Schockstarre, die das alles ausgelöst hat, die Streitigkeiten innerhalb der Koalition, die Streitigkeiten zwischen FDP und CSU, die Schwäche des sich selbst zerfleischenden Koalitionspartners. Dies alles hat dazu beigetragen, dass die CDU nicht glänzt und die FDP miserabel dasteht.
Die FDP hat auf dem Bundesparteitag in Rostock vor einer Woche hat einen Neuanfang versucht. Wird ihr der gelingen?
Im Augenblick ist es erstmal ein personeller Neuanfang. Natürlich ist Philipp Rösler jemand ganz anderes als Guido Westerwelle als Typus, als Politiker, auch von den Inhalten, soweit man sehen kann. Aber die Inhalte sind noch undeutlich. Hier muss die FDP den Wählern klarmachen, dass sie unverzichtbar ist im Parteiengefüge, dass es einen Platz gibt für Liberalismus, wie die FDP ihn vertritt. Das kann nicht der Liberalismus sein, der sich nur auf Steuersenkungen kapriziert. Vielmehr muss er sich breiter aufstellen und mehr Wähler ansprechen. Die FDP muss sich besinnen auf ihre Traditionen des Bürgerrechtsliberalismus, auch des Sozialliberalismus und eines ökologischen Liberalismus. Den gab es einmal in den 70er Jahren, doch ist er vergessen worden von der Partei.
Was spricht dafür, dass sie sich nun plötzlich besinnt?
Der FDP steht das Wasser bis zum Hals und da ist man manchmal nicht nur in Panik, sondern auch intelligenter. Ich glaube schon, dass jemand wie der Generalsekretär Lindner das alles sieht und versuchen wird, die FDP anders aufzustellen als es im Moment der Fall ist. Ihm ist das zuzutrauen, er hat den Kopf dazu.

Der Hanseat Böhrnsen kommt auch bei Konservativen gut an.
(Foto: dpa)
Die SPD ist zwar in ihrer alten Hochburg wieder stärkste Kraft geworden. Warum aber kann sie bundesweit nicht von der Schwäche der Regierungsparteien profitieren?
In Bremen war das gute Abschneiden vor allem regional verursacht. Bremen ist ein linkes Bundesland, die SPD ist hier sehr stark verwurzelt, die CDU ist traditionell schwach, die FDP noch schwächer. Durch den Senatspräsidenten Böhrnsen hat sie auch einen der beiden wirklich sichtbaren Bremer Landespolitiker produziert. Bundespolitisch hat die SPD bisher nichts dergleichen vorzuweisen. Sie wirkt nicht einig nach außen, die personalpolitische Seite ist nicht wirklich entschieden und sie sucht immer noch nach dem richtigen Weg. Es fehlt jemand, der ganz unbestritten die Nummer Eins ist. Die Bundes-SPD hat ja mindestens zwei Nummer Einsen, nämlich Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier und im Hintergrund auch noch Peer Steinbrück. Mit anderen Worten: Das ist alles nicht so klar und eindeutig wie in Bremen.
Die Linkspartei hat den Wiedereinzug in die Bremer Bürgerschaft knapp geschafft. Ist es tatsächlich, wie es nun mancher aus der Partei gerne darstellt, ein Beleg für eine Etablierung auch im Westen?
Das Ergebnis ist zunächst einmal ein Beleg dafür, dass selbst in einem so günstigen Biotop wie Bremen die Linke haarscharf an einer echten Wahlniederlage vorbeigeschrammt sind. Sie hat Stimmen und Prozente verloren. Das alles ist ein Reflex darauf, dass sie in der jetzigen Diskussion um die Energiewende nicht zu hören ist, dass sie sich hauptsächlich mit sich selber beschäftigt, dass ihre gesellschaftspolitischen Anliegen nicht mehr so ernst genommen werden wie das noch vor einigen Monaten der Fall war. Die Linke ist in einer echten Krise, ein Zeichen für eine Etablierung stellt das Bremer Wahlergebnis auf keinen Fall dar.
War das Bremer Wahlergebnis stark beeinflusst von der Bundespolitik?

Der Politikwissenschaftler Professor Jürgen W. Falter lehrt an der Universität Mainz.
Alle Landtagswahlergebnisse sind immer eine Mischung aus bundes- und landespoltischen Einflüssen. Aber in Bremen hat die Landespolitik eine sehr große Rolle gespielt: etwa die interne Zerrissenheit und die Streitigkeiten in der FDP, die relativ farblose Oppositionstätigkeit der CDU und die sehr hanseatische Ausstrahlung des SPD-Spitzenkandidaten. Bundespolitisch gab sicherlich die Atomausstiegsdebatte den Ausschlag, von der in erster Linie die Grünen profitierten.
Die Bremen-Wahl kann damit nicht als Vorlage für die Wahlen in Berlin im September gesehen werden?
Nein, das ist nicht möglich. Bremen und Berlin sind sehr, sehr unterschiedlich. Es sind ganz andere Parteien, die auch unterschiedliche Probleme jenseits der üblichen Großstadtprobleme haben. Eines ist aber sicher, wie auch die Umfragen belegen: dass die Grünen der SPD in Berlin gefährlich werden können, dass sie diese sogar überrunden können.
Mit Jürgen W. Falter sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de