Politik

Berlusconi und sein Persilschein Der Wiedergänger

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Verliert Silvio Berlusconi seine parlamentarische Immunität, könnten bald Polizisten mit Haftbefehlen vor seiner Tür stehen: mehrere Prozesse stehen an. Stehaufmännchen Berlusconi versucht also alles, um seinen Platz zu retten. Und hat sogar schon wieder Rachepläne gegen die von ihm gehasste Justiz.

Im Herbst 2011 war Silvio Berlusconi unter dem Gelächter von Nikolas Sarkozy und Angela Merkel in einer Pariser Pressekonferenz zur Tür hinaus befördert worden. Das schien das Ende, nun aber wirklich. Die EZB hatte im Sommer 2011 erst für 90 Milliarden Euro italienische Schuldtitel aus dem Markt nehmen müssen, um deren Kurs einigermaßen zu halten, eine massive Kapitalflucht von fast 300 Milliarden Euro hatte Italien auf die Knie gezwungen. Als Berlusconi in einer Novembernacht des Jahres 2011 zum Staatspräsidenten Italiens fuhr, um ihm seinen Rücktritt einzureichen, musste er durch eine dichtgedrängte Menschenmasse fahren, die ihm Münzen nachwarf und die aus zehntausend Kehlen "Galera-Galera" rief - damit sind die antiken Galeerenschiffe gemeint. Die Rufer wünschten Berlusconi mit ganzem Herzen ins Gefängnis.

Doch statt unbedingt sofort Neuwahlen einzuberufen, zimmerte der Staatspräsident und ehemalige Kommunist Giorgio Napolitano ein Kabinett der Nationalen Rettung unter dem Rektor der Mailänder Wirtschafts-Uni Bocconi zusammen. Berlusconis Wählerglück lag damals, vor knapp zwei Jahren, bei unter 15 Prozent, er war politisch tot. "Berlusconi politisch für tot zu erklären aber ist der größte Fehler, den man in Italien machen kann", meinte ein früherer Freund und Chefredakteuer seiner ersten Tageszeitung, Indro Montanelli. Und fuegte hinzu: Italien muss eine sehr starke Berlusconitis bekommen, vorher wird das Land nicht von ihm geheilt sein.

Noch scheint es aber nicht so weit. Denn Berlusconi ist wieder da und versucht, dem Land seinen Willen aufzuzwingen. Wenn er nun die vom ihm erst vor fünf Monaten ins Leben gehauchte Regierung der "breiten Abmachungen" mit den Demokraten stürzen möchte, dann, weil er sich wieder ungeheuer stark fühlt. Seine Partei der Freiheit, PDL, hat er jetzt über Nacht wieder in die Urform zurückverwandelt, die Forza Italia. Mit diesem Markenzeichen ging es 1993 los, dies soll wieder den Sieg bringen. Unwahrscheinlich ist das nicht. Die Umfragen sprechen ihm 35 Prozent zu, damit könnte er im perversen italienischen Wahlrecht durchaus die absolute Mehrheit der Sitze in beiden Parlamentshäusern gewinnen.

Rettung durch die Gegner

Wenn es dazu kommen sollte, wären es wieder einmal seine Gegner gewesen, die ihm zur Wiederkehr verholfen hätten. Wie seit den ersten Tagen. Die Verräter in den Reihen der Demokraten, das ist mehr als eine Fünfte Kolonne, das ist eine Fünfte Armee. 101 Abgeordnete stimmten gegen den Gründer der Demokraten, Romano Prodi, als dieser Anfang des Jahres Staatspräsident werden sollte. Stattdessen ging man in eine Regierung, um, wie es hieß, Italien zu retten, endlich die großen Reformen durchzusetzen. Doch nichts ist passiert, außer der Verteilung von Pfründen und Ämtern. Keine Reform wurde angepackt, das Staatsdefizit lauft ungestört über die 3-Prozent-Hürde, die Gesamtschulden liegen bei 132 Prozent, das Land steht still, die besten Jugendlichen fliehen, im letzten Jahr gingen allein 35.000 Hochqualifizierte nach Deutschland.

Silvio Berlusconi aber hatte sein Ziel klar vor Augen. Er wollte von Anfang an nur eines von der gemeinsamen Regierung mit den Demokraten: Einen absoluten, vorwärts und rückwärts gültigen Persilschein für all seine Probleme mit der Justiz. Doch deren Mühlen haben gemahlen, wenn auch langsam. Das ist Berlusconis Problem. Nach zwölf Jahren Prozess, von Berlusconis Anwälten nach allen Regeln der Kunst hinausgezögert, kam das Urteil über die Steuerhinterziehung noch im August dieses Jahres. Von den vier Jahren Haft muss er eines noch absitzen, und - schlimmer noch - für drei Jahre wird er das Recht verlieren, ins Parlament einzuziehen - das Wichtigste für ihn überhaupt ist die damit verbundene Immunität.

Der Sitz wackelt

"Nun sollen sie einmal den Mut beweisen, den Chef der Opposition zu verhaften", tönt er jetzt. Wenn nicht in einigen Tagen oder Wochen, dann wird spätestens bis Ende des Jahres auch die Zusatzstrafe des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte, der Wählbarkeit, rechtskräftig. Und dann drohen Berlusconi tatsächlich Haftbefehle: In Neapel wird bald der Prozess wegen des Kaufes von Abgeordneten beim Sturz von Prodi beginnen, hier liegen Geständnisse und Dokumente über Millionen Euro Überweisungen vor – eine ganz miese Lage für den Angeklagten. In Bari geht es um die Prostituierten, die ihm zugeführt wurden, in Mailand um den Ruby-Prozess vor dem Berufsgericht und einen neuen Prozess wegen Zeugenbestechung, "Ruby-2". Einen guten Grund, Untersuchungshaft gegen Berlusconi zu beantragen, hätten alle Staatsanwaltschaften: Flucht- und Verdunkelungsgefahr.

Ohne den Sitz im Parlament wird es nun wirklich eng für den Cavaliere, den Ritter der Arbeit, der zum Spitznamen gewordene Ehrentitel. Mit der Rechtskraft des Urteils und der Zusatzstrafen wird auch der Titel eingezogen, nur ein Unbescholtener darf sich Cavaliere del Lavoro, Ritter der Arbeit, nennen. Das ist nun Berlusconis letzte Hoffnung, sein letzter Kampf, sein Fahrplan: Neuwahlen, so schnell wie möglich, wieder ins Parlament einziehen - und zwar als Sieger. Wer wird sich dann noch trauen, ihn zu verhaften? Dann werde er mit der Justiz Schlitten fahren, das ist sein erklärtes Programm. Auf für Angela Merkel hat er schon die Antwort parat: Eine Schuldenkrise gibt es gar, das ist alles reiner Blödsinn, meinte er. Man solle einfach nur endlich genug Geld drucken.

Quelle: ntv.de

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