Politik

Parteitag zum Fiskalpakt-Deal Der grüne Vorstand bezieht Prügel

Der Fraktionsvorsitzende Trittin im Gespräch mit dem irischen Grünen-Chef Eamon Ryan (r), der Gast beim Parteitag in Berlin war.

Der Fraktionsvorsitzende Trittin im Gespräch mit dem irischen Grünen-Chef Eamon Ryan (r), der Gast beim Parteitag in Berlin war.

(Foto: dpa)

Die Spitze der Grünen schließt mit Schwarz-Gelb einen Deal. Für eine Finanztransaktionssteuer und ein europäisches Wachstumsprogramm versprechen sie, dem Fiskalpakt zuzustimmen. Vor lauter Hiobsbotschaften aus Griechenland und angesichts des Drucks der Kanzlerin geben sie ihr Ja, ohne zuvor ihre Partei zu befragen. Bei einem kleinen Parteitag bekommen sie dafür die Quittung.

Kurz vor dem Auftakt des kleinen Parteitags der Grünen halten etliche Teilnehmer kleine weiße Kärtchen in der Hand. Ein Mitbringsel von Globalisierungsgegnern. Das Wort "Fiskalpakt" ist darauf zu sehen, darüber eine gewaltige Faust, die versucht, den Schriftzug zu zertrümmern. Wie auf diesem Kärtchen wird auch wenig später die Partei zu Faustschlägen gegen das Abkommen ausholen. Vor allem aber gegen ihre Führungsspitze in Berlin.

Ein grafischer Faustschlag gegen den Fiskalpakt.

Ein grafischer Faustschlag gegen den Fiskalpakt.

(Foto: dpa)

Die Spitzen der Partei haben sich in eine vertrackte Lage manövriert. Mit der Bundesregierung schlossen sie in der vergangenen Woche einen Deal. Für eine Zusage von Schwarz-Gelb zur Finanztransaktionssteuer und einem europäischen Wachstumsprogramm bei der Abstimmung über den Fiskalpakt im Bundestag.

Jürgen Trittin, Renate Künast, Cem Özdemir und Claudia Roth ließen sich bei diesem Kompromiss aber offensichtlich von der Hektik der Kanzlerin anstecken. Angela Merkel pochte darauf, die Abstimmung unbedingt bis Ende Juni durchzuboxen, um ein Signal an die besorgten Finanzmärkte zu senden. Die Spitzengrünen gaben Merkel ihr OK  - noch bevor sie sich versicherten, dass die Partei diesen Kurs auch unterstützt. Beim kleinen Parteitag, dem Sonderländerrat in Berlin, den die Grünen wegen dieses Fauxpas einberiefen, bekam der Vorstand dafür die Quittung.

Ätzende Worte gegen "Merkels PR-Aktion"

Bei der entscheidenden Abstimmung über das Verhandlungsergebnis des Vorstands stimmt nur eine Minimal-Mehrheit, 40 von 78 Delegierten, für den eingeschlagenen Kurs. Dass allein ist schon eine Ohrfeige für die grüne Spitze. Denn mit einer klaren Richtschnur ihrer Partei können sie und die übrigen Bundesratsabgeordneten nun nicht mehr in das Votum Ende Juni ziehen. Die Redebeiträge und die Reaktionen vieler Delegierter während des Parteitags sind aber noch viel mehr als diese Ohrfeige. Sie sind jener Faustschlag. Viel mehr noch: Eine ganze Serie davon.

Die Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter landet den ersten Treffer: Das ausgehandelte Wachstumsprogramm soll sich in großen Teilen aus nicht abgerufenen Mitteln aus den europäischen Strukturfonds finanzieren. Also nicht aus frischem Geld für mehr Wachstum. Schroedter spricht deswegen von einer "Luftnummer".

Zur Finanztransaktionssteuer sagt sie, dass die Grünen die auch auf dem klassischen parlamentarischen Weg erkämpfen könnten. Dafür benötige die Partei keinen Deal mit Union und FDP. "Wir brauchen keinen zusätzlichen Vertrag, der eine reine PR-Aktion von Frau Merkel ist."

Bütikofer boxt

Den Kopf ein wenig zwischen seinen breiten Schultern versunken - der prominente Grüne Reinhard Bütikofer tritt schon im Habitus eines Boxers an das Rednerpult. Dann tänzelt er verbal um seinen Gegner herum, bevor er zuschlägt. Anders als Schroedter hält Bütikofer die Absprache zur Finanztransaktionssteuer für einen Verhandlungserfolg: "Da gibt’s nur eine Gratulation zu einem wichtigen Druchbruch nach über 20 Jahren Kampf", sagt er. Doch dann legt auch er los. Bütikofers rechter Haken heißt "Altschuldentilgungsfonds".

Grüne werden gebraucht
  • Weil die Ratifizierung des Fiskalpakts große verfassungsrelevante Bedeutung hat, braucht die Bundesregierung von Union und FDP eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, um das Vorhaben umzusetzen.
  • Ohne Stimmen der Opposition kann den Regierungsparteien das nicht gelingen.
  • Da die Linke nicht bereit ist, dem Fiskalpakt zuzustimmen, kommt es bei den Voten in Bundestag und Bundesrat am 29. Juni auf die Stimmen von Sozialdemokraten und Grünen an.

In diesen Fonds übertragen die Euro-Staaten ihre Schulden, die über 60 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes liegen. Für den Inhalt des Fonds haften dann alle Euro-Länder gemeinsam. Die Schwachen können so bessere Konditionen, sprich niedrigere Zinsen, aushandeln. So zumindest die Theorie. Der Vorstand konnte die Kernforderung der Grünen bei den Verhandlungen mit Schwarz-Gelb nicht durchsetzen. "Liebe Leute", sagt Bütikofer, "das ist kein Schönheitsfehler."

Spätestens an dieser Stelle geht der Europaabgeordnete voll im Kampf auf. Mit puterrotem Gesicht und geballter rechter Faust steht er da: Er spricht von der Dramatik der Krise, dem drohenden Zerfall der Euro-Zone. "Es ist jetzt eine Frage von Monaten und nicht mehr von Jahren." Grünenchef Özdemir hatte in seiner Auftaktrede gesagt, man könne sich schließlich auch nach dem Verhandlungserfolg mit der Koalition, noch um den Schuldenfonds kümmern. Doch Bütikofer ist sicher: Der Fiskalpakt, der die Mitgliedsländer zu mehr Haushaltsdisziplin, also zu Schuldenbremsen und automatisierten Strafzahlungen bei Zuwiderhandlungen, verpflichten soll, führe ohne weitere Maßnahmen dazu, dass sich die Krisenländer totsparen.

Angezählt, nicht ausgeknockt

Etliche Delegierte stampfen mit ihren Füßen auf den Boden, pfeifen, klatschen. Der Vorstand liegt gefühlt schon am Boden, als Bütikofer zu seinem letzten Schlag ausholt. "Wie machen wir am besten Druck?", fragt er. Seiner Meinung nach durch ein Nein der Grünen zum Fiskalpakt-Deal, nicht durch ein Ja zum Kurs der Kanzlerin.

Schroedter, Bütikofer - sie sind nur zwei von vielen, die an diesem Tag kräftig austeilen. Dass der Vorstand nicht KO geht, sondern nur angezählt wird - manch einem Topgrünen dürften etliche Stimmen für die Spitzenkandidatenkür zur Bundestagswahl im November verloren gegangen sein, dass der Vorstand also nur angezählt wird, hat wohl vor allem einen Grund: Im Moment der Abstimmung muss manch einem der grünen Schläger bewusst geworden sein, was ihre Stimme eigentlich bedeutet.

In all ihrem Ärger darüber, dass Trittin und Künast, Özdemir und die anderen Spitzengrünen sie bei den Verhandlungen übergingen, vergaßen sie vermutlich, dass sie kurz davor stehen gegen Positionen zu stimmen, die sie eigentlich befürworten. Sei es die Schuldenbremse oder die Finanztransaktionssteuer, für die sie, wie Bütikofer zu Recht sagte, jahrelang "gekämpft" haben.

Manch einem kam im Moment der Stimmabgabe wohl auch in den Sinn, dass in der Dramatik der Euro-Krise Maximalforderungen genauso gefährlich sein können, wie ein Fiskalpakt ohne Altschuldentilgungsfonds.

Ihre Forderungen haben die grünen Schläger nicht durchgesetzt. Doch eines erreichten sie sicherlich. Der Vorstand wird sich an die Prügel, die er an diesem Tag bekommen hat und vor allem an die Partei erinnern, wenn es in die nächste entscheidende Verhandlungsrunde geht.

Quelle: ntv.de

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