Politik

Hollande setzt auf Sachlichkeit Der neue starke Mann Europas

Strahlender Sieger: François Hollande.

Strahlender Sieger: François Hollande.

(Foto: REUTERS)

Der neue französische Präsident Hollande verkörpert so ungefähr alles, was Vorgänger Sarkozy nicht hat: Bescheidenheit, Volksnähe, Sachlichkeit. Dabei wurde er lange als "harmlos" unterschätzt. Kanzlerin Merkel muss ihre Europapolitik nun neu sortieren.

Er fährt mit dem Motorroller zur Arbeit und ist stolz darauf, möglichst normal zu leben. François Hollande kultiviert Bescheidenheit, Volksnähe und Sachlichkeit und verkörpert damit das Gegenteil dessen, wofür Frankreichs abgewählter Präsident Nicolas Sarkozy steht: Glamour, Eitelkeit und ein Hang zur unsteten Effekthascherei. In der Schlussphase seiner Präsidentschaftskandidatur setzt der 57-jährige Hollande auch inhaltlich auf gegensätzliche Rezepte zum Amtsinhaber: Den gerade erst mühsam von den EU-Staats- und Regierungschefs ausgehandelten Fiskalpakt will der Sozialist neu verhandeln, den von Sarkozy umhegten Reichen des Landes droht er mit einer Megabesteuerung von 75 Prozent und den zeitweise an Anbiederung grenzenden Kuschelkurs Sarkozys gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel sah er von vornherein kritisch.

Der lange als blasser Regionalpolitiker verschrieene Hollande schafft es seit dem vergangenen Jahr durchgängig, Sarkozy in den Umfragen abzuhängen - und ihn nun in der entscheidenden Stichwahl aus dem Amt zu drängen. Dabei hätte noch vor einem Jahr niemand auf Hollande gewettet, denn lange galt sein schillernder Parteifreund Dominique Strauss-Kahn als der große Hoffnungsträger der französischen Sozialisten. Nachdem sich der Ex-IWF-Chef durch seine Sex-Affären aber selbst aus dem Rennen katapultiert hatte, setzte sich der dem gemäßigten Lager zugerechnete Hollande bei den Vorwahlen der Sozialisten im Herbst klar als Präsidentschaftskandidat durch.

Bundeskanzlerin Angela Merkel muss die europäische Politik nun mit Hollande abstimmen. "Merkozy" ist Geschichte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel muss die europäische Politik nun mit Hollande abstimmen. "Merkozy" ist Geschichte.

Mit einer fulminanten Rede im Januar in Le Bourget bei Paris, seinem 60-Punkte-Programm für Arbeit, Bildung und Jugend sowie einigen wenigen Überraschungseffekten wie seiner Reichensteuer gelang es Hollande im Wahlkampf, die Balance zwischen Seriosität und dem von ihm versprochenen "Wandel" zu halten. Die Linken will er um sich scharen, Grabenkämpfe vermeiden und ganz Frankreich per Dialog voranbringen. Den Vorwurf Sarkozys, den Sozialneid zu schüren, konterte er mit dem Hinweis, er könne unverdienten und exzessiven Reichtum nicht leiden.

Der Ziehsohn Mitterrands

Seine politischen Gegner werfen ihm nach wie vor vor, ihm fehle Regierungserfahrung und internationales Profil. Tatsächlich war Hollande, der elf Jahre lang die Sozialisten als Parteichef führte, nie Minister. Doch einschüchtern ließ sich der Sozialist nicht: Er werde nicht auf "billige Polemiken und übermäßige Aggressivität" einschwenken, versicherte er - und hielt an seinem sachlichen Kurs fest, verzichtete öffentlich auch auf seinen trockenen Humor.

Hollandes harmloses Auftreten täuschte lange darüber hinweg, was in ihm steckt. Dabei absolvierte der Sohn eines Arztes, der am 12. August 1954 im nordfranzösischen Rouen geboren wurde, gleich drei Eliteunis. Schon als 20-Jähriger arbeitete er im Wahlkampfteam von François Mitterrand mit, der ihn zusammen mit seiner Lebengefährtin Ségolène Royal nach seinem Wahlsieg 1981 in den Elyséepalast holte. Hollande ist ein bekennender Fan Mitterrands: "Ihm habe ich meine politische Geburt zu verdanken", sagte er einmal über seinen Mentor.

Die Machtfülle des Präsidenten

Von allen Staatsoberhäuptern der EU hat der französische Präsident die größten Vollmachten. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und bestimmt die Verteidigungs- und Außenpolitik. Seine stärksten Druckmittel sind der rote Knopf zum Einsatz von Atomwaffen und das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Der Präsident ernennt den Premierminister und auf dessen Vorschlag die übrigen Minister, leitet die wöchentlichen Kabinettssitzungen und ernennt die wichtigsten Staatsämter. Der Präsident verkündet die Gesetze, kann den Premierminister entlassen und die Nationalversammlung auflösen. In Krisenzeiten kann er den Notstandsartikel 16 anwenden, der ihm nahezu uneingeschränkte Vollmachten gibt. Das Parlament kann den Präsidenten nur bei schweren Verfehlungen mit Zweidrittelmehrheit absetzen.

Der Abgeordnete aus dem ländlichen Departement Correze warb im Wahlkampf mit der Verwirklichung eines "französischen Traums": Er will die Staatsverschuldung bis 2017 auf Null senken, die Chancen für die kommende Generation verbessern und das Steuersystem reformieren. Punkten konnte Hollande auch mit seiner Ankündigung, 60.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, um die drastischen Stellenkürzungen im Bildungssektor unter Sarkozy aufzufangen. In ihrem Wahlprogramm haben die Sozialisten auch zugesagt, die von Sarkozy nach monatelangen Protesten durchgesetzte Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu überprüfen. "Alles ist solide gegenfinanziert", wehrte Hollande sich gegen den Vorwurf des Schuldenmachers und Populisten.

Hollande stand lange im Schatten der redegewandten Royal, mit der er vier Kinder hat. Die beiden trennten sich, nachdem Royal 2007 bei der Präsidentschaftswahl gegen Sarkozy verloren hatte. Hollande hatte aber zuvor schon eine neue große Liebe, die "Frau seines Lebens", gefunden: Die 47-jährige Politik-Journalistin , der nachgesagt wird, sie habe ihm ein kantigeres Profil verpasst. Wurde Hollande doch lange wegen seiner rundlichen Figur als "Flamby" verspottet - so heißt eine Puddingmarke in Frankreich. Seit 2010 speckte er mehr als zehn Kilo ab.

Doch der als ausgleichend geltende Hollande kann auch auf Konfrontationskurs gehen und das machte er selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber deutlich. Seine Forderung, den Fiskalpakt zur Haushaltsdisziplin in Europa um ein Wachstumsprogramm zu ergänzen, löste in Berlin erheblichen Ärger aus.

Bisher weigerte sich Merkel, die in Europa gerne mit ihrem politischen Weggefährten Sarkozy weiter gearbeitet hätte, den Sozialisten im Kanzleramt zu empfangen. Hollande aber ließ sich auch davon nicht beirren. Er kündigte bereits vor der Stichwahl an, nach dem Wahlsieg zuerst nach Berlin reisen und mit Merkel sprechen zu wollen. Die Kanzlerin ließ er wissen: "Man wird auf mich hören müssen."

Quelle: ntv.de

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