Politik

Kundus-Affäre im Bundestag Details vor der Wahl bekannt

Bereits 19 Tage vor der Bundestagswahl am 27. September waren die Obleute der Bundestagsfraktionen und das damalige schwarz-rote Kabinett über zivile Opfer beim Luftangriff in Kundus und Verstöße gegen Einsatzregeln informiert. Das ergibt sich aus den Antworten der Bundesregierung im Bundestag zu den Vorgängen in Afghanistan.

Deutsche ISAF Soldaten kehren nach einer Patrouille in der Nähe von Feyzabad in ihr Feldlager zurück (Archivaufnahme September 2009.)

Deutsche ISAF Soldaten kehren nach einer Patrouille in der Nähe von Feyzabad in ihr Feldlager zurück (Archivaufnahme September 2009.)

(Foto: AP)

Die Bundesregierung war vor der Bundestagswahl über zivile Opfer beim Luftangriff in Kundus und Verstöße gegen Einsatzregeln informiert. Sie kannte auch das Ziel des betroffenen Obersts, Taliban zu töten. Das ergab sich aus Antworten der Regierung im Bundestag zu den Vorgängen um das Bombardement in Afghanistan und den Kenntnisstand des damaligen schwarz-roten Kabinetts. Bei dem Luftschlag, den der deutsche Oberst Georg Klein angeordnet hatte, waren am 4. September bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter viele Zivilisten.

Emotionale Debatte im Bundestag

Der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), räumte in der emotional aufgeladenen Debatte im Bundestag zwar ein, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Regierungserklärung am 8. September ein Bericht vom 5. September von Oberst Klein an den damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan nicht vorlag. Er teilte aber mit, das Kanzleramt habe diesen Bericht am 10. September bekommen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin wies darauf hin, dass Klein am 5. September mitgeteilt habe, dass er Taliban "vernichten" wollte.

Schmidt bestätigte ferner, dass das Verteidigungsministerium am 7. September einen Vorbericht der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF erhalten habe, in dem bereits auf militärisches Fehlverhalten und zivile Opfer hingewiesen worden sei. Über diesen vertraulichen Bericht wurden die Obleute der Bundestagsfraktionen am Morgen des 8. September unterrichtet. In diesem Bericht war nach Angaben des SPD-Abgeordneten Rainer Arnold "dezidiert von zivilen Opfern und Regelverstößen" die Rede. Das war 19 Tage vor der Bundestagswahl am 27. September.

Trittin fragte, ob es eine Absprache zwischen dem Kanzleramt, dem damals von Franz Josef Jung (CDU) geführten Verteidigungsministerium und dem Bundesnachrichtendienst (BND) bezüglich einer veränderten Strategie gegeben habe, die auch die Möglichkeit des gezielten Tötens Verdächtiger einbezogen habe. Antwort Schmidt: "Nein." Auf Trittins Nachfrage, wie dann zu bewerten sei, dass Klein nach den vorliegenden Berichten bei dem Angriff gezielt die Menschen habe treffen wollen, verwies Schmidt auf die derzeit laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft. Ausdrücklich unabhängig von dem Luftangriff sagte er: "Ich will darauf hinweisen, dass nach dem humanitären Völkerrecht der Vorgang der Tötung von Gegnern nicht per se als rechtswidrig betrachtet wird."

Guttenberg wiederholt sich

Guttenberg bleibt im Bundestag bei seiner Darstellung: Zu spät und nicht richtig informiert.

Guttenberg bleibt im Bundestag bei seiner Darstellung: Zu spät und nicht richtig informiert.

(Foto: AP)

Zuvor war die Opposition mit dem Vorhaben gescheitert, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen der Kundus-Affäre vor den Bundestag zu zitieren. Bei einem "Hammelsprung" votierten 295 Abgeordnete gegen einen solchen Antrag, nur 226 Parlamentarier stimmten dafür.

Guttenberg nahm aber in der sich anschließenden Aktuellen Stunde über Afghanistan und den Luftangriff vom 4. September Stellung. Dabei blieb er bei seiner Darstellung, dass ihm für seine erste Bewertung Informationen vorenthalten worden seien. "Das ist unbestritten", sagte er.

Vorwürfe im Umgang mit dem entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan blockte der Minister ab. In seinem Rücktrittsschreiben habe Schneiderhan selbst die Verantwortung dafür übernommen, dass dem Minister Informationen nicht vorgelegt wurden, sagte Guttenberg. "Für die Trennung bedarf es keiner weiteren Gründe." Auf den entscheidenden Vorwurf der Lüge, den Schneiderhan im Zusammenhang mit seiner Entlassung gegen Guttenberg erhoben hatte, ging der Minister nicht ein. Auf ein anderes Niveau der Debatte werde er sich nicht einlassen, sagte der CSU-Politiker lediglich.

Guttenberg betonte, er habe mehrfach darauf hingewiesen, dass ihm Dokumente zu dem umstrittenen Luftangriff mit zivilen Toten vorenthalten worden seien. Als Minister wolle er jedoch selbst entscheiden, welche Unterlagen er einsehe - und nicht jemanden fragen müsse, ob er Einsicht in die Akten nehmen dürfe.

Schneiderhan: Der Minister lügt.

Schneiderhan: Der Minister lügt.

(Foto: AP)

Schneiderhan hatte seinen früheren Dienstherrn zuvor der Lüge bezichtigt. Nachdem er Guttenberg den umfassenden NATO-Bericht vorgelegt habe, sei er schlicht nicht auf die Idee gekommen, ihm auch die einzelnen Ausgangsberichte zu präsentieren, sagte er der "Zeit". Dafür habe er die Verantwortung übernommen. Er habe jedoch nicht mit Vorsatz gehandelt, auch wenn Guttenberg jetzt von unterschlagenen Dokumenten spreche. "Dass er vorschnell formuliert, ist bekannt", sagte Schneiderhan mit Blick auf den Minister. Dies sei jedoch noch eine Steigerung: "Das ist nicht nur unschön, das ist unwahr".

Hieb gegen die Opposition

Was war der Hintergrund des Luftangriffs? Immer wieder tauchen neue Informationen auf.

Was war der Hintergrund des Luftangriffs? Immer wieder tauchen neue Informationen auf.

(Foto: AP)

Guttenberg hatte den Luftschlag am 6. November als militärisch angemessen bezeichnet, sich aber Anfang Dezember korrigiert. Er begründete seine Kehrtwende damit, dass ihm nun Berichte vorlägen, die er vorher nicht gekannt habe. Vor dem Bundestag bekräftigte Guttenberg, die Opposition sei spätestens Anfang November über all die Dinge informiert gewesen, die später in den Medien auftauchten und für Empörung sorgten. "Die Welle der Empörung dürfte sie selbst treffen", sagte er. So seien die Fraktionsvorsitzenden früh darüber informiert worden, dass das Ziel des Luftangriffs darin bestanden habe, nicht nur die zwei Lastwagen, sondern auch die dortigen Taliban zu treffen.

Streit über Zeugen-Reihenfolge

In dem sich konstituierten Untersuchungsausschuss zu der Kundus-Affäre soll auch die Rolle von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) untersucht werden. Er war im September noch Außenminister. Das Gremium beriet inzwischen mehrere Beweisanträge. Nach der konstituierenden Sitzung wurden aber bereits zwischen Regierung und Opposition Meinungsunterschiede über die Beweisführung deutlich. Der Grünen-Vertreter Omid Nouripour warf den Koalitionsfraktionen zudem vor, eine Reihe von Beweisanträgen unnötigerweise verzögert zu haben.

Zudem einigten sich die Fraktionen zunächst noch nicht auf die Reihenfolge, in der die Zeugen befragt werden sollen. Die Opposition wolle auf jeden Fall zuerst Guttenberg und Schneiderhan vorladen, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) solle "in den ersten Untersuchungswochen" befragt werden.

Was wusste Merkel? Auch die Kanzlerin soll befragt werden.

Was wusste Merkel? Auch die Kanzlerin soll befragt werden.

(Foto: AP)

Arnold warnte die Regierungsfraktionen davor, eine Vernehmung Merkels verhindern zu wollen. Notfalls werde die Opposition eine Anhörung der Regierungschefin "mit demokratischen und rechtlichen Instrumenten durchsetzen". Dagegen nannte es der FDP-Verteidigungsexperte Hellmut Königshaus eine "bewährte Strategie", erst den Sachverhalt zu klären und dann die politische Spitze zu befragen. Die Befragung müsse "von unten nach oben" erfolgen, sagte auch CDU-Verteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck.

Bundeswehrsoldat erlitt Bauchschuss

Unterdessen wurden bei einem Angriff von Aufständischen in Afghanistan und einem anschließenden Feuergefecht in der Nähe von Kundus erneut zwei deutsche Soldaten verletzt. Das teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam mit. Deutsche Soldaten waren demnach gemeinsam mit Kräften aus Afghanistan und Belgien sieben Kilometer westlich vom Wiederaufbauteam Kundus im Einsatz, als sie mit Schusswaffen und Panzerabwehrgeschossen angegriffen wurden. Ein deutscher Soldat wurde demnach bei dem Angriff selbst verletzt, der zweite bei dem sich anschließenden Feuergefecht mit den Aufständischen.

Der Zustand des bei dem Angriff durch einen Bauchschuss verletzten Soldaten war nach Angaben des Einsatzführungskommandos "stabil", er wurde im Einsatzlazarett Kundus behandelt. Sein Kamerad wurde demnach leicht verletzt und konnte nach kurzer Behandlung vor Ort weiterarbeiten.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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