Leistung hängt vom sozialen Umfeld ab Deutschland steigt bei Pisa auf
07.12.2010, 19:36 Uhr
(Foto: dapd)
Deutschlands Schüler verbessern sich beim internationalen Pisa-Schultest. Bei der Lesekompetenz schneiden die 15-Jährigen besser ab als zuvor, liegen aber im internationalen Vergleich weiter im Mittelfeld. Deutliche Fortschritte gibt es in Mathe. Bei der Chancengleichheit ist Deutschland nach wie vor schlecht - die soziale Herkunft beeinflusst stark den Bildungserfolg.
Seit dem ersten Pisa-Test vor zehn Jahren sind die deutschen Schulen etwas besser geworden: In Naturwissenschaften und Mathematik erzielen die 15-jährigen Schüler in Deutschland jetzt Leistungen, die oberhalb des Durchschnitts der 34 wichtigsten Industrienationen der Welt liegen. In der wichtigsten Lerndisziplin, dem Lesen und Verstehen von Texten, rangiert Deutschland aber weiter nur im Mittelfeld. Dies zeigt der in Berlin vorgestellte neue weltweite Pisa-Schultest der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
"Deutschland ist aufgestiegen - von der zweiten in die erste Liga. Aber von der Champions League ist Deutschland noch weit entfernt", fasste der Leiter des OECD-Centers Berlin, Heino von Meyer, die Ergebnisse zusammen.
Absolute Pisa-Spitzenwerte erreicht diesmal die chinesische Region Shanghai, die erstmals an dem weltweiten Schultest teilnahm. Erneut ganz vorn liegen Korea, Finnland, Hongkong, Singapur und Kanada. Die 15-Jährigen aus diesen Ländern sind Gleichaltrigen aus Deutschland in ihrem Wissen und Können zum Teil ein bis zwei Schuljahre voraus.
"Begabungsschätze bei den Migranten heben"
Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte: "Zehn Jahre Pisa haben dem deutschen Bildungssystem gut getan." Doch die Bundesrepublik sei noch nicht am Ziel. Vor allem die Programme zur Leseförderung müssten weiterentwickelt werden. Kultusminister-Präsident Ludwig Spaenle von der CSU rief dazu auf, jetzt die "Begabungsschätze bei den Migranten zu heben". Seine SPD-Amtskollegin Doris Ahnen sagte: "Ich freue mich über Verbesserungen, die Kontinuität zeigen."
Bei n-tv sagte Schavan, Veränderungen im Bildungssystem brauchten Zeit. Aber schon jetzt sei feststellbar, dass es in allen Bereichen einen deutlichen Fortschritt gebe. "Das ermutigt, jetzt die nächsten Schritte zu tun, damit wir zur Bildungsrepublik Deutschland kommen." Die Grünen kritisierten, die Bildungsrepublik bleibe Illusion, "solange fast jeder fünfte 15-Jährige nur auf Grundschulniveau oder gar schlechter lesen kann".
Schwerpunkt der neuen Untersuchung war das Lesen und das Verstehen von Texten. Gemessen am ersten Test 2000 ist die Lesefähigkeit der 15-Jährigen Schüler in Deutschland etwas besser geworden - und zwar um 13 Pisa-Punkte auf 497 Punkte. 40 Punkte auf der Skala entsprechen dem Lernfortschritt eines Schuljahrs. Deutschland erreicht damit den OECD-Schnitt von 493 Punkten. Auffällig sind allerdings die Schwächen der deutschen Schüler beim "reflektieren und bewerten" von Texten.
Mädchen lesen deutlich besser als Jungen. Der Leistungsunterschied zwischen ihnen beträgt ein Schuljahr. Der Anteil der sogenannten Risikoschüler in Deutschland, die bei Berufseintritt nur auf Grundschulniveau Texte verstehen können, ist von 22,6 Prozent auf 18,5 Prozent gesunken.
Soziale Herkunft entscheidend
Der Sprecher der deutschen Pisa-Forscher, Eckhard Klieme, sieht auch deutliche Verbesserungen bei der Förderung von Migrantenkindern und Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern. Gleichwohl zeigt der weltweite Vergleich, dass in keiner anderen Industrienation der Bildungserfolg so abhängig von der sozialen Herkunft und vom Schulmilieu ist wie in Deutschland. Nirgendwo anders sei es so ausschlaggebend, auf welche Schule die Eltern ihr Kind schicken könnten, erläuterte von Meyer. In der entsprechenden OECD-Tabelle belegt Deutschland dabei den letzten Platz.
In den Naturwissenschaften erzielt Deutschland gemessen an 2000 den größten Fortschritt und kommt jetzt auf 520 Punkte (2000: 487 Punkte). Damit wird das obere Leistungsdrittel der Industrienationen erreicht. In Mathematik schafft Deutschland 513 Punkte (2000: 490 Punkte). Pisa-Sieger Shanghai erzielt in Mathematik den absoluten Spitzenwert von 600 Punkten.
Die Schulsituation der Migrantenkinder hat sich verbessert. Doch noch immer schneiden Schüler aus Familien, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, im Schnitt um 56 Pisa-Punkte schlechter ab als gleichaltrige Einheimische. 2000 betrug dieser Abstand noch 84 Pisa-Punkte, also mehr als zwei Schuljahre.
"Lehrerberuf stärker wertschätzen"
Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, forderte "die besten Lehrer für die Schüler, die am stärksten benachteiligt sind". Demmer: "Wir gewinnen die engagiertesten jungen Menschen für die Schulen nur, wenn der Lehrerberuf gesellschaftlich stärker wertgeschätzt wird." Dazu gehörten auch eine gleiche Bezahlung und eine gleichlange Ausbildung aller Lehrer. Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sprach von einem "verdienten Erfolg". Einige Hausaufgaben seien aber noch nicht erledigt.
Die Veröffentlichung des ersten Pisa-Tests hatte in der deutschen Öffentlichkeit einen Schock ausgelöst. In allen Disziplinen erreichten die Schüler aus der Bundesrepublik nur Werte unterhalb des Durchschnitts der Industrienationen. An dem weltweit größten Schultest der OECD nahmen dieses Mal 65 Staaten und Regionen teil.
Österreich schneidet "sehr schlecht" ab
In Österreich kündigte die Regierung nach dem verheerenden Abschneiden der eigenen Schüler bei der Pisa-Studie eine umfangreiche Bildungsreform an. Das Alpenland diskutiert bereits seit Jahren über eine Veränderung des mehrstufigen Schulsystems, das dem in Deutschland sehr ähnelt. Bei der aktuellen Pisa-Studie haben sich österreichische Kinder und Jugendliche im Vergleich zu 2006 in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften verschlechtert. Parteien und Verbände reagierten erschüttert.
"Es ist dringend notwendig, nun unsere Bildungsreform voranzutreiben", sagte Bundeskanzler Werner Faymann als Reaktion auf die Ergebnisse. Unterrichtsministerin Claudia Schmied hatte die Resultate als "schlecht, sogar sehr schlecht" bezeichnet. Österreich nutze das Potenzial seiner Schüler nicht. Sie wolle sofort an der Umsetzung der notwendigen Reformen arbeiten. Österreichs Kinder und Jugendliche haben in den Bereichen Naturwissenschaften (494 Punkte) und Lesen (470 Punkte) im Vergleich zu anderen Industrienationen unterdurchschnittlich abgeschnitten. Im Bereich Mathematik sind sie mit 496 Punkten gerade noch durchschnittlich. Deutsche und Schweizer Schüler sind in allen Bereichen deutlich besser.
Quelle: ntv.de, dpa