Hofreiter analysiert das Balzverhalten "Die CDU verfrühstückt unsere Zukunft"
21.11.2013, 14:52 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Der grüne Fraktionschef kennt sich aus in der Verhaltensbiologie. Anton Hofreiter ist promovierter Naturkundler. Manchmal hilft ihm das in der Politik. Im Interview mit n-tv.de spricht er über Alphatiere, Äußerlichkeiten, aber vor allem die "problematische" Balz von Union und SPD.
n-tv.de: In Warschau läuft die UN-Klimakonferenz und die Koalitionspartner in spe, Union und SPD, verlieren kein Wort darüber. Was läuft da schief?
Anton Hofreiter: Grundlegendes. Man hat den Eindruck, dass CDU und SPD denken, dass die Klimaproblematik der politischen Konjunktur unterliegt. Getreu dem Motto: Die letzten Jahre haben wir viel über Klimaschutz gesprochen, jetzt ist es nicht mehr nötig. Tatsächlich verschärfen sich die Probleme konstant.
Verspielen Union und SPD Deutschlands Vorreiterrolle im internationalen Klimaschutz?
Der Klimaschutzindex von Germanwatch zeigt ja schon, dass Deutschland aus der Gruppe der besten Zehn herausgefallen ist. Und wenn man sich die Koalitionsverhandlungen anschaut, verstärkt sich der Eindruck. Hannelore Kraft kämpft um ihre Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen und die Union gegen vernünftige Klimaschutzziele.
Haben Union und Sozialdemokraten nicht gerade eine Verringerung des Angebots von Emissionszertifikaten beschlossen, ein sogenanntes Backloading, um die Preise für den CO2-Ausstoß wieder zu steigern?
Ja, aber das allein hilft auch nichts. Damit allein lässt sich der Emissionshandel, das zentrale Instrument des Klimaschutzes, das wir auf europäischer Ebene haben, nicht wiederbeleben.
Warum?
Weil dieser Eingriff nur kurzfristig wirkt, die Zertifikate sollen dann ja sogar in den Markt zurückgegeben werden. Man muss den Markt langfristig beobachten, um die CO2-Handelszertifikate notfalls weiter zu verknappen. Die Koalitionäre wollen es aber bei diesem einzelnen Eingriff belassen. Wir brauchen eine strukturelle Reform mit einem Mindestpreis für die Tonne CO2. Wir sind weit weg von dem, was geschehen müsste.
Was ist mit anderen Themen der Koalitionsverhandlungen wie Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik?
Union und SPD handeln zu Lasten der Zukunft. Ein Beispiel ist die Mütterrente. Sie soll statt aus allgemeinen Steuern aus der Rentenkasse bezahlt werden. Die CDU hat versprochen, keine Steuererhöhungen zuzulassen, also greift sie in die Rentenkasse und verfrühstückt unsere Zukunft.
Dass die Union sich darauf festgelegt hat, die Steuern nicht zu erhöhen, ist also das grundlegende Problem der Koalitionsverhandlungen?
Das grundlegende Problem ist: Beide, Union und SPD, haben sich darauf festgelegt, Wohltaten zu verteilen. Insbesondere die CDU/CSU hat sich darauf versteift, diese Wohltaten nicht seriös und zukunftssicher zu finanzieren, sondern mit Tricks, wie bei der Mütterrente oder mit öffentlich-privaten Partnerschaften im Verkehrsbereich. Im Klartext heißt das verdeckte Verschuldung zulasten der kommenden Generationen.
Das klingt alles dramatisch. Müssen sich die Grünen da nicht die Frage stellen, ob es für Deutschland besser gewesen wäre, wenn sie in einer Koalition mit der Union für eine vernünftige Politik gesorgt hätten?
Nein. Wie richtig unsere Entscheidung war, zeigt sich doch an den jetzigen Koalitionsverhandlungen. Wenn die CDU beim Klimaschutz schon Schwierigkeiten hat, sich mit der SPD einig zu werden - wie wäre es dann bloß mit den Grünen gelaufen? Denken Sie nur an das Verhältnis der Union zur Autoindustrie. Während wir miteinander sondiert haben, hat Angela Merkel den europäischen Kompromiss zu CO2-Grenzwerten zerschossen.
Rot-Rot-Grün wäre eine Alternative. Aber mit der Linken könnte es doch schon auf persönlicher Ebene für Grüne schwierig werden.
Es gibt bei der Linkspartei durchaus vernünftige und seriöse Leute, wenn ich etwa an Gregor Gysi, Petra Sitte und andere denke. Die Frage ist, ob Herr Gysi für alle seine 64 Abgeordneten spricht. Außerdem müsste die Linke ihr Verhältnis zu internationalen Beschlüssen und zu internationalen Organisationen klären.
Es bleibt also nur Schwarz-Rot?
Wenn man sich das inhaltlich anschaut, derzeit ja. Aber wir können uns im Prinzip beide Optionen, Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün, vorstellen. Aber eben nur unter der Bedingung, dass es inhaltlich passt.
Sollte aus der Großen Koalition nichts werden, wird es also richtig schwierig. Was halten Sie von Horst Seehofers Vorschlag, im Zweifel auf Neuwahlen zu setzen?
Das ist Droh- und Balzverhalten. Als Biologe kennt man das. Vor allem, wenn man sich für Verhaltensbiologie interessiert.
Denken Sie, wenn es um das Taktieren in der Fraktion oder die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geht, oft aus einer biologischen Warte heraus?
Manchmal fallen einem schon Dinge auf, die man aus der Verhaltensbiologie kennt. Vor allem wenn es um Dominanzverhalten geht.
Unabhängig vom Balzgehabe von Union und Sozialdemokraten - wären Neuwahlen sinnvoll?
Ich halte sie für unwahrscheinlich. Aber sie sind von der Verfassung nicht ausgeschlossen.
Aber nicht wünschenswert?
Was heißt, nicht wünschenswert? Wenn ich jetzt sagen würde "Neuwahlen sind nicht wünschenswert", dann wird da reininterpretiert, dass wir doch Schwarz-Grün wollen.
Sie sind eigentlich bekannt dafür, immer geradeheraus zu sprechen. Jetzt sind Sie Fraktionschef der Grünen. Gewöhnen Sie sich gerade einen neuen Stil an?
Auch als Verkehrsausschussvorsitzender gab es Gelegenheiten, wo man sehr darauf achten musste, was man sagt. Das waren keine Themen, die groß in der Öffentlichkeit standen, aber man sprach für den gesamten Ausschuss. Auch auf Reisen war diplomatisches Geschick gefragt. Die Umstellung ist nicht so stark.
Fühlen Sie sich wohl dabei, vor allem angesichts der Aufmerksamkeit der Medien?
Was heißt, wohl fühlen? Es ist einfach so.
Auch Ihr Äußeres wird jetzt genau begutachtet.
Ja, das ist sehr interessant. Wenn man so eine Position hat, wird in das Aussehen viel hineinfantasiert. Mir haben Leute gesagt: "Total toll, du trägst jetzt plötzlich Anzüge." Dabei trage ich seit Jahren Anzüge. Andere sagen: "Schöne Turnschuhe." Ich habe nicht mal ein Paar Turnschuhe in Berlin!
Andersherum ist es genauso. Als klar war, dass Sie Fraktionschef der Grünen werden, hieß es plötzlich: Jetzt kehrt die Partei zurück in die 80er.
Das ist die Wahrnehmung, die den Leuten einen Streich spielt.
Ihrem Ruf nach sind Sie eher ein Ökologe und Vermittler als ein Linker. Sie vertreten jetzt aber diesen Flügel der Partei. Wie funktioniert das für Sie?
Erstens führe ich keinen Flügel, sondern eine Fraktion mit all ihrer Vielfalt. Zweitens wird oft unterschätzt, dass die meisten Leute, die in Flügeln aktiv sind, vor allem das Gesamtinteresse der Grünen im Blick haben.
Auf dem Parteitag in Berlin haben Vertreter des parteiinternen Netzwerks Segel eine Reihe einflussreicher Posten besetzt. Das sind vor allem junge Grüne mit einem klaren linken Profil. Das ist also kein Problem?
Das gibt es doch überall. Menschen, die sich biografisch nahe stehen und ähnlich denken, sprechen miteinander. Das ist ganz normal in größeren Organisationen. Es gibt viele solcher Netzwerke. Ob da gerade Segel heraussticht, bezweifle ich.
Wie ist Ihre Strategie für die anstehende Arbeit in der Opposition? Attackieren Sie die Regierung eher aus der Warte Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün heraus?
Wir können die Große Koalition aus den unterschiedlichsten Richtungen angreifen. Die Bürgerrechtsfrage stellt sich derzeit ganz intensiv – wenn man sich anschaut, wie die Unterschiede zwischen dem SPD-Innenexperten Thomas Oppermann und dem amtierenden Innenminister Hans-Peter Friedrich verschwinden. Aber auch in der Ökologiefrage scheinen sich Union und die SPD näher zu sein, als es die Öffentlichkeit bisher wahrgenommen hat. Und natürlich werden wir die Finanzpolitik aufgreifen. Wir werden ganz genau schauen, ob die Koalition zulasten zukünftiger Generationen und zulasten eines soliden Staatshaushalts agiert.
Mit Anton Hofreiter sprachen Issio Ehrich und Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de