Das Jahr des NSA-Whistleblowers Die Geschichte des Edward Snowden
31.12.2013, 14:30 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Jahr 2013 endet anders, als es sich Edward Snowden vorgestellt hatte. Dabei hat er fast alles richtig gemacht. Snowden wollte der perfekte Whistleblower sein.
Vom Ostzipfel der Insel Oahu bis zu ihrem Westen sind es nur 64 Kilometer. Im Norden erheben sich erloschene Vulkane auf über 1000 Meter, im Süden branden die Wellen auf den Strand von Waikiki. Das Wasser in den malerischen Buchten ist das ganze Jahr über 24 Grad warm. Vor vier Jahren zog Edward Snowden hierher, wenig später kam seine Freundin nach, sein Arbeitgeber zahlte ihm über 10.000 Dollar pro Monat. Edward Snowden war noch keine 30 Jahre alt. "Man lebt ein privilegiertes Leben, man lebt in Hawaii, im Paradies, und macht eine Menge Geld", erzählt er später von dieser Zeit.
Als Edward Snowden im Januar 2013 eine E-Mail an die Filmemacherin Laura Poitras schreibt, sitzt Julian Assange schon ein halbes Jahr lang in einer Art Gefängnis. Der bis dahin bekannteste Whistleblower hatte einen Fehler gemacht. Snowden will schlauer sein. Er ist bereit, das Paradies, in dem er lebt, gegen das Exil einzutauschen. Aber ins Gefängnis gehen wie Bradley Manning oder sich in einer Botschaft verschanzen wie Julian Assange, das will er nicht.
Snowden ist ein Experte auf dem Gebiet der IT-Sicherheit und der Datenverschlüsselung. Er will der Welt nicht nur von den Daten erzählen, die Geheimdienste in Großbritannien und den USA sammeln. Er will sich dabei auch noch so klug verhalten, dass sein Arbeitgeber, die übermächtige NSA, nicht an ihn herankommt. Bei der Arbeit zieht er die Schulungsfolien auf Festplatten und USB-Sticks.
Klüger vorgegangen als Assange und Manning
Das Material zeigt, wie tief sich die Geheimdienste in das Privatleben von Millionen Bürgern eingeklinkt haben. Ein immer größerer Teil des Lebens wird von Elektronik begleitet. Wer E-Mails schreibt, chattet, telefoniert oder einfach nur ein Handy bei sich trägt, hinterlässt Spuren. Snowden sieht in den Unterlagen der NSA, was die Geheimdienste mit diesen Daten machen: Sie verschaffen sich nicht nur Zugang, indem sie Software manipulieren, Überseekabel anzapfen, Firmen zur Zusammenarbeit zwingen und sich in interne Netzwerke von Internetgiganten anzapfen. Sie speichern auch noch alle Daten für mehrere Wochen und haben Programme, mit denen sich aus diesem Daten-Wust auffälliges Verhalten herausfiltern lässt. Welche enormen Fähigkeiten sie dabei erreicht hatte, musste auch den IT-Experten überraschen: Sogar gesprochene Worte analysieren die NSA-Computer automatisch, Verschlüsselungen werden geknackt oder umgangen.
Weil Snowden Systemadministrator ist, hat er Zugriff auf sehr viele dieser Informationen. "Ich hatte von meinem Schreibtisch aus die Möglichkeit, alles und jeden auszuspähen. Dich, deinen Steuerberater oder den Präsidenten, wenn ich seine E-Mail-Adresse gehabt hätte", sagt er später. Er habe Dinge gesehen, die verstörend seien. Mit der Zeit sei sein Unrechtsbewusstsein gewachsen. "Die Regierung hat sich selbst eine Macht verliehen, die ihr nicht zusteht. Die Öffentlichkeit kontrolliert die Regierung nicht. Darum haben Leute wie ich die Möglichkeit, weiter zu gehen, als es erlaubt ist."
Die Filmemacherin Laura Poitras und der Blogger Glenn Greenwald sind die ersten Menschen, denen sich Snowden anvertraut. Er schickt ihnen verschlüsselte Mails und verabredet sich schließlich mit ihnen in einem Hotel in Hongkong, wo er ihnen auch die geheimen Daten übergibt. Sie erscheinen später in internationalen Zeitungen, vor allem im britischen "Guardian“, der amerikanischen "Washington Post“ und im deutschen "Spiegel“. Dass Greenwald die Veröffentlichung Profis überlässt, ist klug und unterscheidet sein Vorgehen von dem Mannings und Assanges. Die Journalisten veröffentlichen nur politisch relevantes Material und schwärzen dabei Stellen, durch die Personen gefährdet werden könnten. Snowden hatte auch Zugriff auf die Überwachungsdaten selbst, also Material, das die Privatsphäre von Menschen verletzt. Öffentlich werden aber nur Präsentationsfolien, die für Schulungen genutzt wurden.
Snowden hoffte auf Obama – aber der machte alles noch schlimmer
In seinem Hotelzimmer in Hongkong verhält sich Snowden wie jemand, der unter Verfolgungswahn leidet. Um nicht abgehört zu werden, polstert er die Zimmertür mit Kissen aus, wenn er sein Passwort in den Computer eingibt, versteckt er sich und den Computer dazu unter einem Tuch. Als Poitras und Greenwald angekommen sind, lässt er sich von Greenwald interviewen, Poitras zeichnet das Gespräch mit der Kamera auf. Zwölf Minuten davon veröffentlichen die beiden später auf der Website der britischen Zeitung "The Guardian". Als Snowden seine Geschichte erzählt, wirkt er fast selbst erstaunt davon, dass er es in den Geheimdiensten so weit bringen konnte. Er studierte Informatik, war aber nicht besonders gut. Er meldete sich freiwillig für den Irakkrieg, verlor dann aber die Begeisterung für diesen Einsatz. Bei einem Trainingsunfall brach er sich beide Beine und musste die Armee verlassen. Er fing wieder an zu studieren, brach aber schließlich ab.
Snowden verdingte sich als Wachmann und landete dabei wohl zufällig bei der National Security Agency, kurz: NSA. Wenig später, im Jahr 2005, ging er zur CIA, wo er seine Informatik-Kenntnisse besser anwenden konnte. Von da an nahm seine Karriere Fahrt auf. Schon zwei Jahre später wurde er nach Genf geschickt. Weil er für die Sicherheit der Computersysteme zuständig war, hatte er Zugriff auf viele der Daten, die seine Organisation dort sammelte. Dort wurde ihm zum ersten Mal klar, dass er es eigentlich ablehnte, was er da tat. Dass er nicht damals schon zum Whistleblower wurde, hatte mit der Wahl in den USA zu tun: Der neue Präsident Barack Obama werde einiges besser machen, hoffte Snowden. Für die NSA ging Snowden später nach Japan, schließlich ließ er sich von der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton abwerben, die eng mit der NSA zusammenarbeitet. Der neue Job brachte ihn nach Hawaii. Anstatt dass sich etwas zum besseren änderte, entwickelten die Geheimdienste auch unter Präsident Obama ihre Überwachungsprogramme immer weiter.
Snowden wählt Hongkong als seinen neuen Wohnort. Er vertraut auf die liberalen Gesetze des Stadtstaates und meint, dort sicher zu sein. Doch die Behörden dort wollen ihn den Amerikanern ausliefern, Snowden muss weg. Zunächst fliegt er nach Moskau. Dass er das überhaupt schafft, ist schon merkwürdig, denn am Flughafen in Hongkong wird sein Pass kontrolliert. Angeblich haben die USA einen falschen zweiten Vornamen übermittelt, Snowden kann ausreisen. Von Moskau aus will er eigentlich weiter nach Südamerika, Ecuador will ihm Asyl gewähren. Doch dazu kommt es nicht, weil die USA Snowdens Pass für ungültig erklären. Als der bolivianische Präsident Evo Morales von einem Moskau-Besuch nach Hause fliegen möchte, erzwingend die USA sogar eine Zwischenlandung in Wien: Sie veranlassen Spanien, Portugal und Frankreich dazu, ihren Luftraum für die Präsidentenmaschine zu sperren. Wochenlang sitzt Snowden im Transitbereich des Flughafens fest. Ein Visum für Russland hat er nicht, an Bord einer regulären Maschine kommt er ohne Pass auch nicht. Schließlich gewährt Russland vorläufiges Asyl für ein Jahr.
"Ich versuche nicht, die NSA zu Fall zu bringen“
Seitdem befindet sich der Amerikaner an einem geheim gehaltenen Ort in oder in der Nähe von Moskau. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele besuchte Snowden Anfang November und berichtet, er sei in einem verdunkelten Fahrzeug zu ihm gefahren worden. Der Amerikaner empfing die Gäste in einem Hotel und berichtete, dass es ihm gut gehe. Ströbele beschreibt ihn als "kerngesund, gut drauf“. Snowden berichtet, dass ihm die russische Kultur gefalle und er die Sprache lerne. Er hat angeblich einen Job bei einem Internetunternehmen angenommen und kann sich frei bewegen. Ein Foto zeigt ihn auf einem Schiff auf der Moskwa. Einer Reporterin der Washington Post erzählte er aber auch von seinem Leben als "indoor cat“ - als Katze, die nicht aus dem Haus gelassen wird.
Das alles möchte Snowden aber nicht in den Mittelpunkt der wenigen Gespräche stellen, die er mit Journalisten führt. Er führt das Thema immer wieder weg von sich, hin zu den Überwachungsprogrammen. Nur gegen den Vorwurf, er wolle Russland, China oder Terroristen zuarbeiten, weist er heftig zurück. Für diese Behauptung gebe es keinen Beleg. Stattdessen betont er seinen Patriotismus als US-Bürger. "Ich versuche nicht, die NSA zu Fall zu bringen", sagt er. "Ich arbeite daran, die NSA zu verbessern." Als Held will er aber nicht dargestellt werden.
Um ihn selbst geht es aber bei der Frage, wo er in Zukunft leben kann. Insgesamt stellt er in 27 Staaten Anträge auf Asyl, doch die meisten Antworten sind negativ. Bisher haben nur Bolivien und Venezuela zugesagt, dass sie Snowden dauerhaft aufnehmen würden. Er hofft wohl immer noch darauf, dass es ein Angebot aus einem anderen Staat gibt. Von Hans-Christian Ströbele erhoffte er sich eine Zusage für eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland - womit er die Kompetenzen eines deutschen Abgeordneten weit überschätzte. Staaten, die Snowden aufnehmen möchten, werden von den USA offen bedroht. Kaum ein Land der Erde kann es sich einen ernsthaften Streit mit den USA leisten. Snowden plante seine Enthüllungen sorgfältig und verhielt sich vorsichtig. Doch so viel Snowden über die technischen Möglichkeiten der US-Regierung weiß, so sehr unterschätzte er ihre politische Macht.
Quelle: ntv.de