Schnell, schneller, Speerspitze? Die Grenzen einer neuen Nato-Eingreiftruppe
03.09.2014, 12:53 Uhr
Nato-Übung in Polen: Wahrscheinlich wird das Bündnis derartige Maßnahmen künftig ausbauen.
(Foto: REUTERS)
Auf ihrem Gipfel in Wales will die Nato den Aufbau einer neuen schnellen Eingreiftruppe beschließen. Eine Reaktion auf die Krim-Krise. Die Formation hat Potenzial - zu viel darf der Westen von diesem militärischen Werkzeug aber nicht erwarten.
Es klingt nach PR, nach so etwas wie dem Nike Air Pump mit Torsionssystem und Boost-Sohle. Nur dass es sich nicht um Turnschuhe, sondern um eine militärische Formation handelt. Die Nato will auf ihrem Gipfel Ende der Woche den Aufbau einer "Spearhead-Force" beschließen, einer extrem schnellen Eingreiftruppe, einer "Speerspitze" des Militärbündnisses. Dabei gibt es mit der "Nato Response Force" eigentlich längst eine "schnelle Eingreiftruppe". Und mit der "Immediate Response Force" eine "sehr schnelle".

Transport ist alles: Ohne ausreichende Flugzeuge und Hubschrauber kann eine schnelle Eingreiftruppe nicht funktionieren. Militärexperten sehen hier noch ein Defizit bei den EU-Staaten.
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Aber obwohl die militärischen Superlative Misstrauen wecken, hinter den Plänen der Nato steckt tatsächlich mehr als PR. Die Ukraine-Krise zeigt: Was man vor einem Jahrzehnt, als das Verteidigungsbündnis den Aufbau jener schnellen und jener sehr schnellen Eingreiftruppen eingeleitet hat, für rasant hielt, erweist sich heute als viel zu träge.
Die mehreren 10.000 Soldaten, die diesen Einheiten zugewiesen sind, können in der Theorie wohl frühestens nach einem Monat am Einsatzort sein. Je nachdem, wo dieser Einsatzort liegt, kann es laut Diplomaten auch mal sechs Monate dauern. Wenn, wie auf der Krim und in der Ostukraine, aus der Ferne gesteuerte Soldaten ohne Hoheitsabzeichen Regierungsgebäude in einem Nato-Staat infiltrieren und die Verantwortung wieder an sympathisierende Einheimische übergeben würden, kämen diese Einheiten viel zu spät. Die "Speerspitzen"-Einheit, die die Nato nun aufbauen will, soll deshalb schon binnen zwei Tagen vor Ort sein können, einzelne Elemente idealerweise schon innerhalb weniger Stunden. Die Einheit hat großes Potenzial - aber auch klare Grenzen.
Die Grundakte von 1997 - diplomatischer Zündstoff
Derzeit ist gerüchteweise von einem Truppenumfang von rund 4000 Mann mit entsprechend leichter mobiler Ausrüstung und leichten Schützenpanzern die Rede. Sie sollen sich in die bestehende "Nato Response Force" eingliedern. Als wichtig für das erhöhte Tempo der Formation gelten ausreichend Transportflugzeuge, etwa vom Typ Airbus A400M, um sie ohne Verzögerung in die Nähe des Einsatzgebietes zu fliegen. Hinzukommen müssten ausreichend Hubschrauber für den sogenannten taktischen Transport direkt ins Einsatzgebiet.
Flankierend ist damit zu rechnen, dass die Nato an ihrem Außenposten schwereres Gerät vorlagert. Im Militär-Sprech ist dabei von "Prepositioning" die Rede. Auch das würde die Einsatzgeschwindigkeit spürbar erhöhen, birgt allerdings diplomatischen Zündstoff. In der Nato-Russland Grundakte von 1997, in der Ost und West das Ende des Kalten Krieges noch einmal besiegelt haben, heißt es: Die Nato verspricht, "in der derzeitigen und vorhersehbaren Sicherheitsumgebung" keine "substanziellen Kampftruppen" in den östlichen Staaten der Allianz "dauerhaft" zu stationieren. Definiert, was Begriffe wie "substanziell" und "Kampftruppen" bedeuten, haben Ost und West aber nie. Letztlich wird es eine Frage des Willens sein, wo Moskau die Grenze zieht. Es zeichnet sich allerdings ab, dass die Nato das Wagnis des Prepositionings in Kombination mit nicht allzu großen rotierenden Verbänden vor Ort eingehen wird.
Militärexperten sehen in all diesen Plänen, die sich kurz vor dem Nato-Gipfel immer weiter konkretisieren, einen wichtigen Schritt. Sie zweifeln zugleich aber auch daran, dass die Eingreiftruppe allein ein Krim-Szenario in einem Nato-Mitgliedsstaat wie Polen oder Estland verhindern könnte.
Keine Chance gegen Propaganda "á la Russia Today"
"Es geht um eine Formation, die man heute an die Grenze zu Russland und morgen an die Außengrenze der Türkei schicken könnte", sagt Claudia Major. Laut der Nato-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik deckt die "Spearhead"-Force das ab, was militärisch möglich erscheint, um Szenarien wie auf der Krim zu verhindern. Das Abschreckungspotenzial etwa für jene "kleinen grünen Männchen", die dort kurzfristig die Kontrolle übernahmen, ist laut Major hoch, vor allem, wenn hochtrainierte Spezialkräfte Teil der Formation sind. Wenn sich die Nato auf ihrem Gipfel geschlossen zeigt und die Pläne mit einer Stimme vorantreibt, sendet sie zudem das klare Signal: Wer einen Nato-Partner angreift, legt sich mit dem ganzen Bündnis an. Das hält sie für sehr wichtig. Nur reicht all das allein ihrer Meinung nach nicht aus.
"Auf der Krim und in der Ostukraine ist zu beobachten, was die Nato als hybride oder irreguläre Kriegsführung bezeichnet: Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, massive Propaganda und Cyberattacken. Gegen diese Form der Kriegsführung hilft auch eine schnelle Eingreiftruppe nur bedingt", sagt sie. "Ergänzt man die Eingreiftruppe nicht um politische Präventivmaßnahmen, ist sie in solchen Szenarien nur begrenzt wirkungsvoll", sagt Major. "Eine Eingreiftruppe kann nicht verhindern, dass Putin russische Minderheiten aufstachelt. Sie kann sehr wenig gegen Propaganda á la Russia Today ausrichten. Da kommt die EU ins Spiel. Russland sollte es gar nicht erst gelingen, die Minderheiten so anzustiften, dass sie willig sind, kleine grüne Männchen zu unterstützen."
Eine neue Doppelbelastung
Eine große Chance der Eingreiftruppe könnte darin bestehen, dass sie, vorausgesetzt der politische Rahmen stimmt, sowohl in Situationen wie der auf der Krim einen gewissen Nutzen verspricht und zugleich auch im klassischen Konfliktmanagement hilfreich sein könnte. Denn darin dürfte eine der größten Herausforderungen der Nato liegen. Sie muss weiterhin für Großeinsätze wie dem in Afghanistan bereitstehen. Wer weiß schon, wie sich die Lage im Nordirak, Syrien, dem Maghreb oder Zentralafrika entwickelt? Zugleich wird sie, die Krim vor Augen, wieder dafür bürgen müssen, wofür sie einst geschaffen wurde: für den Schutz aller Bündnispartner.
Auf die Nato kommt eine Doppelbelastung zu, wie es sie in der Geschichte der Allianz noch nicht gegeben hat. Flexible Einheiten sind da unabdingbar. Wahrscheinlich. Denn eines lehrt die Geschichte der "Nato Force Response", der "Immediate Response Force" und nun der "Spearhead"-Force: Man kann sich auf allerlei Szenerien einstellen und immer wieder nachjustieren - am Ende wird man von der nächsten Krise aber doch wieder überrumpelt. Militärexperten wie Major sprechen in solchen Fällen vom Phänomen der "Strategischen Überraschung". "Letztlich ist es unmöglich, sich mit letzter Konsequenz auf die Zukunft vorzubereiten", sagt sie. Die "Spearhead"-Force mag jetzt wie der nächste logische Schritt erscheinen. Gut möglich aber, dass die Formation in fünf Jahren genauso unzureichend wirkt wie die früheren schnellen Eingreiftruppen der Nato.
Quelle: ntv.de