Politik

FDP wählt neue Spitze Die Kannibalen

Gemeinsam einsam (v.l.): Guido Westerwelle (gestürzt von einer "Boygroup" rund um Christian Lindner), Dirk Niebel (Gestürzt nach einem Putschversuch gegen die "Boygroup"), Christian Lindner (Soll die FDP jetzt wieder zu Erfolgen führen).

Gemeinsam einsam (v.l.): Guido Westerwelle (gestürzt von einer "Boygroup" rund um Christian Lindner), Dirk Niebel (Gestürzt nach einem Putschversuch gegen die "Boygroup"), Christian Lindner (Soll die FDP jetzt wieder zu Erfolgen führen).

(Foto: REUTERS)

Neues Personal, neues Image – auf ihrem Parteitag in Berlin will die FDP eine neue Ära einläuten. Aber noch vor der Wahl der nächsten Führungsspitze beginnt die Selbstzerfleischung.

22. September, kurz nach sechs: Ein älterer Herr lässt seinen Blick durch den großen Saal des Berliner Congress Centrums schweifen. Er sieht seine Parteikollegen von der FDP, viele nippen stumm an ihrem Drink, einigen Frauen stehen Tränen in den Augen. Vermutlich ist ihnen gerade bewusst geworden, dass sie ihren Job als Angestellte im Bundestag verlieren werden. "Mann, Mann, Mann", sagt der ältere Herr. "Ich bin seit 40 Jahren Parteimitglied. Dass wir so eine Scheiße noch erleben müssen." Das langjährige Mitglied der Liberalen fügt hinzu: "Wir müssen wieder ganz von vorne anfangen - mit einer ganz neuen Mannschaft."

Kaum drei Monate ist es her, dass die FDP zum ersten Mal in ihrer Geschichte am Einzug in den Bundestag scheiterte.  Kaum drei Monate ist es her, dass sich ihre Wahlparty in eine Trauerfeier verwandelte. An diesem Wochenende wollen die Liberalen nun den beschworenen Neuanfang mit einer neuen Mannschaft endgültig einleiten – bei einem Parteitag in Berlin. Der nordrhein-westfälische Landeschef Christian Lindner soll dort den Posten des Parteivorsitzenden übernehmen. Als Vize werden ihm die Delegierten wohl den kantigen Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki zur Seite stehen, als Schatzmeister den altgediente Hermann Otto Solms. Ansonsten stehen viele noch unbekannte Namen auf der Bewerberliste für prominente Parteiämter.

Vor allem der erst 34 Jahre alte Linder soll den Neuanfang verkörpern. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er vor wenigen Tagen, seine Partei habe in den vergangenen Jahren "kalt" und "abstoßend" gewirkt. Die Liberalen hätten den Eindruck erweckt, als gebe es bei ihnen kein Wir-Gefühl, sondern nur einen Haufen "Ego-Taktiker". Er unterstellte seiner Partei für das Gesellschaftsbild einer "Wolfsgemeinschaft" gestanden zu haben. Wer derartiges über seine Truppe sagt, muss wirklich etwas verändern wollen. Die FDP soll nicht mehr wirken wie ein Rudel selbstbezogener Kapitalisten. Doch der Parteivorsitzende in spe sagte auch, dass seine Mission einer Besteigung des Mount Everest gleich komme – "ohne Sauerstoff und Barfuß". Und womöglich hat er damit Recht.

Ein Wolf unter Wölfen?

Um in der außerparlamentarischen Opposition nicht in Vergessenheit zu geraten, muss die FDP bei der Europawahl im Mai und dann bei den Landtagswahlen in Deutschland überzeugen. Ein erfolgreiches Ergebnis in Sachsen, dem letzten Land mit liberaler Regierungsbeteiligung, könnte die Parteispitze als Triumph der neuen Führung und eines neuen Auftritts verkaufen. Die Wahl ist eine Chance auf eine Trendwende. Doch wenige Tage vor dem Parteitag in Berlin kündigte der sächsische Landeschef Holger Zastrow an, sich aus der Bundespitze zurückzuziehen. Auf seiner Webseite wirbt er mit den Worten: "Die sächsische FDP ist anders."  Statt auf Lindners nachdenklichen, mitfühlenden Liberalismus, der mit dem Klischee der Klientel- und Kapitalistenpartei aufräumen soll, sagte er kürzlich dem "Spiegel": "Wir müssen zuspitzen und vereinfachen." Er fügte hinzu: "Mit großen philosophischen Debatten werden wir in unserer Situation nur schwer Gehör finden." Zastrow sucht den Erfolg, indem er sich von der Bundes-FDP distanziert.

Ungemacht droht Lindner auch aus Hessen und Niedersachsen. Jörg-Uwe Hahn, Landeschef im Hessen, unterstützt indirekt die Kandidatur des Euro-Kritikers Frank Schaeffler für einen Sitz im Präsidium der FDP. Mehr noch als bei Zastrow liest sich das wie ein gezielter Angriff auf Lindner. Der künftige Parteivorsitzende gilt schließlich spätestens seit der Veröffentlichung eines Buches mit dem früheren liberalen Außenminister Hans-Dietrich Genscher als großer Pro-Europäer. Und Hahn sagte ausgerechnet: Die FDP sei eine europafreundliche Partei, aber die "Europa-Romantik eines Hans-Dietrich Genscher" sei nicht der richtige Weg.

In Niedersachsen wiederum ertönt genau der Vorwurf gegen Lindner, den er dieser Tage anderen macht: Nachdem Lindner die Energiewende von Schwarz-Gelb als vertane Chance bezeichnete, hieß es aus Kreisen von Wirtschaftsminister und Noch-FDP-Chef Philipp Rösler: Es wäre souveräner gewesen, den politischen Gegner anzugreifen, statt die eigenen Reihen. "Damit erschwert er sich womöglich seinen eigenen Neustart." Lindner – ein Wolf unter Wölfen?

Noch vor wenigen Wochen wirkte der künftige Parteichef, als wäre er der unumstrittene Hoffnungsträger der Liberalen. Dass die Partei ihn zum Vorsitzenden wählt, erscheint zwar noch immer sicher. Ein überwältigendes Ergebnis allerdings ist nicht mehr gewiss.

Müll-Rhetorik

Streit ist ein Grundbestandteile einer gesunden politischen Kultur. In der FDP begleitet Streit aber seit Jahren der Geschmack der Selbstzerfleischung. Der Sturz von Guido Westerwelle trug dazu bei, auch die Verschwörung und der gescheiterte Putsch gegen Philipp Rösler. Oft war es auch die Schärfe, mit der einige Liberale Parteikollegen öffentlich angriffen. Als Spitzenkandidat der FDP verglich Rainer Brüderle seinen Parteichef einmal mit einem Bambusrohr, das sich im Wind verbiegt. Und der künftige Parteivize Kubicki beschrieb seine Parteikollegin Birgit Homburger vor laufender Kamera als Müll, den es zu entsorgen gilt. Und jetzt wenden sich prominente Mitglieder vom letzten Hoffnungsträger ihrer Partei ab. Kannibalismus. Dass große Teile der Bevölkerung die FDP mit Klientelpolitik und sozialer Kälte verbinden, verstärkt diesen Eindruck – auch wenn es in anderen Parteien hinter verschlossenen Türen wohl kaum friedlicher zugeht.

Lindner hat das Problem längst erkannt und versucht es mit Kritik an der Wolfs-Mentalität der FDP zu bekämpfen. Doch als Liberaler würde er sich lächerlich machen, wenn er in letzter Konsequenz Kadergehorsam einfordern oder die Eigenständigkeit seiner Parteikollegen untergraben würde. Linder und mit ihm die FDP stecken in einem Dilemma.

Eine Auferstehung, indem die FDP die Herzen der Menschen erreicht, wirkt unrealistisch. Ein letzter Hoffnungsschimmer: Angesichts einer Großen Koalition und einer politisch eher linken Opposition fehlt manch einem ein Gegengewicht im Parlament. Wohl deshalb können die Liberalen dieser Tage damit werben, dass sie seit der Bundestagswahl 1500 Parteieintritte verzeichnen konnten und kaum 600 Austritte. Langfristig betrachtet grenzt der Mitgliederzuwachs aber an den Rand der Vernachlässigbarkeit: 2009 gehörten der Partei noch 72.000 Mitglieder an. Heute sind es 57.000.

Quelle: ntv.de

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