Sahra Wagenknecht im Wandel Die "Njet-Maschine" wird weicher
21.10.2011, 21:07 Uhr
Wagenknecht wirbt für ein klares Ja zum Programm. Sie hat bis zur letzten Sekunde daran gearbeitet.
(Foto: REUTERS)
Lange galt sie als Beton-Kopf, als unbelehrbare DDR-Anhängerin. Und sie tat einiges für dieses Bild. Inzwischen mausert sich Sahra Wagenknecht allerdings zur neuen Hoffnung der Linken. Weil sie die Finanzkrise auch dem einfachen Mann erklären kann. Und dabei auf die Pragmatiker zugeht.
Die Kameras sind oft auf sie gerichtet. Dann erscheint ihr Gesicht auf den großen Bildschirmen, man sieht sie in Gedanken, schreibend oder wie sie auf die Uhr blickt. Zufall, dass sie so oft zu sehen ist auf dem Parteitag der Linken in Erfurt? Nein. Sahra Wagenknecht ist wichtig. Wichtig geworden für eine Partei, die in der Krise steckt, lieber aber Teil wäre etwa der Occupy-Bewegung, die dem Kapitalismus aufs Dach steigt. Wagenknecht, das ist die, die das Richtige sagt zur Finanzkrise, zu den Schuldenbergen, zum doppelten Spielchen, das die Banken treiben. Das ist die, die glaubwürdig antwortet in den Talk-Shows - sagen jedenfalls viele der Delegierten.
Kürzlich saß sie in der Berliner Zentrale der Partei, im Karl-Liebknecht-Haus. Ein turbulenter Tag. Morgens Hauptstadt-Journalisten, danach ins "Duell" bei n-tv, am Abend Maischberger. Im Konferenzraum steht eine Rosa-Luxemburg-Büste. Wer aus Wagenknechts Sicht links saß und den Kopf etwas drehte, der konnte erkennen, dass sie ihrem Vorbild doch sehr ähnlich sieht. Die strenge Frisur, die markanten Züge, unterstrichen von einem harten Kajal-Strich. Dazu meist rote Kleider. Manche in ihrer Partei nennen das "Kunstfigur". Lothar Bisky lästerte mal, die "Njet-Maschine" müsse nur noch hinken, dann sei das Luxemburg-Double perfekt. Und selbst aus dem inneren Kreis sprechen einige Akteure von "Folklore". Wagenknecht, Ex-Kopf der Kommunistischen Plattform der Partei, lebt schon lange mit diesen Ansichten – und lässt sich nicht irritieren. In Sachen Haaren sei sie eben "stockkonservativ". Vielleicht hat die Tochter eines Iraners und einer Deutschen auch einfach verstanden, dass es in der Medien-Demokratie nicht schlecht ist, eine Marke zu sein.
Allerdings eine Marke, die begriffen hat, dass sie sich wandeln muss. Die Beton-Meinung, mit der die 42-Jährige zu PDS-Zeiten die Parteispitze verschreckte, weicht etwas auf. Die gebürtige Jenenserin, die ausgerechnet 1989 in die SED eintrat und länger noch die Errungenschaften der DDR lobte, kommt auf die Pragmatiker zu. Und diese werden wiederum in ihre Richtung geschoben - durch die Krise. Weil viele potenziellen Wähler Angst haben vor dem Absturz. Weil sie beginnen, am System zu zweifeln. Und weil selbst in der CDU das Wort Rekapitalisierung kein Schreck-Wort mehr ist. Wagenknecht kann inzwischen von der Überwindung des Kapitalismus sprechen, ohne dass bei Beckmann, Jauch und Will gleich alle blass werden. Früher war das anders. Da wurde sie oft hasserfüllt niedergebrüllt, wenn sie von Marx sprach.
Was kommt da noch?
Den Entwurf für das Parteiprogramm der Linken, um den in Erfurt gerungen wird, hat sie wesentlich mitentwickelt. Dass sie das durfte, ist ein klares Zeichen: Wagenknecht ist in ihrer Partei kein Schmuddelkind, keine Linksaußen-Frau mehr. Bis zum späten Abend vor dem offiziellen Start werkelte sie an dem Entwurf herum. Auf dem traditionellen Presse-Empfang ließ sie sich zwischen Brötchen und Orangensaft noch Papiere vorlegen, kritzelte darin herum und schien hoch konzentriert. Vor Beginn der Debatte dann nutzt sie die letzte Gelegenheit, bei der sie um die Zustimmung der knapp 570 Delegierten werben kann. "Wir brauchen ein Programm, das uns eint, nicht eins, das uns spaltet", ruft sie der Partei zu. Und sie macht klar: "Die anderen sind zu feige, sich mit den Banken und Mächtigen anzulegen." Dafür erntet sie einige laute Bravo-Rufe, aus allen Richtungen.
Längst ist wohl klar, dass sich Wagenknecht mit ihrem Engagement für weitere Posten bewirbt. 2008 durfte sie nicht Vizevorsitzende werden - "das wäre das falsche Signal", polterte Gregor Gysi damals gegen sie. Inzwischen hat sie den Job. Und ist für weitere im Gespräch. Als Teil einer neuen Doppelspitze könnte sie Fraktionsvorsitzende im Bundestag werden. Oder aber 2012 sogar an die Parteispitze klettern, wenn Klaus Ernst und Gesine Lötzsch nicht mehr weitermachen wollen, können oder dürfen. Zurzeit, da wird Oskar Lafontaine noch als Heilsbringer gehandelt. Viele spekulieren, er werde die Partei zumindest kurzzeitig noch mal aus der Krise führen. Es ist aber gut möglich, dass diese Rolle irgendwann Wagenknecht zukommt.
Quelle: ntv.de