Politik

Herren und Knechte Linke malt am Feindbild

Lötzsch positioniert sich: Der Kapitalismus soll weg.

Lötzsch positioniert sich: Der Kapitalismus soll weg.

(Foto: dpa)

Schuldenkrise, verzweifelte Griechen, Menschen mit Angst vor der Zukunft - und die Linke kann nicht profitieren? Ab jetzt versucht sie es. Mit markigen Angriffen auf den Kapitalismus will die Partei Boden gutmachen und Teil der weltweiten Occupy-Bewegung sein. Dementsprechend wird auch das erste Parteiprogramm sein.

Gesine Lötzsch hat erwartet kämpferisch den Parteitag der Linken in Erfurt eröffnet. Scharf attackierte sie angesichts der europäischen Schuldenkrise die Banken, machte gleichzeitig ein Versagen der Entscheider aus. "Die Menschen haben nicht 40 Jahre lang über ihre Verhältnisse gelebt", sagte Lötzsch. Diese immer wieder von den Banken vorgetragene Behauptung sei eine "Unverschämtheit". Die Finanzkrise zerstöre Existenzen. Und dennoch: "Kohl, Schröder, Merkel - alle folgen wie Schafe dem neoliberalen Mantra, dass der Markt alles regelt."

Es sind zweifellos die anti-kapitalistischen Töne, die die Delegierten besonders gerne hören - das wird schnell klar. Und Lötzsch konzentriert sich darauf. Applaus brandet immer dann auf, wenn die Vorsitzende klare Gut-und-Böse-Bilder zeichnet, wenn von Herr und Knecht, von Monopoly und Enteignung die Rede ist. "Wir haben uns zusammengefunden, um Geschichte zu schreiben", unterstreicht Lötzsch den Aufbruchscharakter, den der Parteitag haben soll.

Viele Augen sind auf Sahra Wagenknecht gerichtet: Sie hat das Programm deutlich geprägt.

Viele Augen sind auf Sahra Wagenknecht gerichtet: Sie hat das Programm deutlich geprägt.

(Foto: REUTERS)

Lötzsch erklärt die Linke zum Teil der weltweiten "Occupy"-Bewegung. Die Menschen seien empört, "und wir greifen diese Empörung auf." Der Niedriglohnsektor gehöre abgeschafft, Hartz IV beendet, eine Mindestrente müsse her. "Viele Menschen arbeiten den ganzen Tag hart, ohne davon leben zu können", das, so Lötzsch, sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Ihre Forderung: "Lasst uns das Grundgesetz durchsetzen!" Es müsse unbedingt verhindert werden, dass die Agenda 2010 ein europäischer Exportschlager werde.

Der Lösungsweg? Natürlich der demokratische Sozialismus, dem sich die Linke verschrieben hat. Und in dem es eines sicher nicht gebe: eine "Deutsche Bank, die auf Brottüten Werbung für Nahrungsmittelspekulationen macht", fegt Lötzsch über die Klaviatur. Der Kapitalismus sei im Wesen zerstörerisch. Das sehen wohl auch die Zuhörer so. Lötzschs Satz "Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte" löst großen Beifall aus.

Glücklos und ungeschickt

Die gebürtige Berlinerin muss reichlich Lampenfieber gehabt haben, bevor sie vor die Delegierten des Erfurter Parteitages trat. Seit Monaten hagelt es auf sie und Klaus Ernst ein, gibt es eine Diskussion um ihre Zukunft. Die beiden Vorsitzenden sind glücklos im Amt - und vielleicht auch etwas ungeschickt hin und wieder. Die Stichworte: Kommunismus-Debatte, Porsche fahren, Fidel Castro Glückwunsch-Karten schicken und die Vorzüge der Mauer. Trash statt Avantgarde, mussten da auch viele Genossen an der Basis denken.

Klaus Ernst wäre auch mit 88 Prozent Zustimmung zufrieden.

Klaus Ernst wäre auch mit 88 Prozent Zustimmung zufrieden.

(Foto: dpa)

Obwohl die täglichen Rettungsschirme und die Lage in Athen selbst den bislang zufriedensten Mittelschichtler langsam an den Vorzügen des kapitalistischen Systems zweifeln lassen und die Polit-Talk-Shows besetzt sind mit ausgedienten Christdemokraten, die sich für Attac engagieren und Finanzinstituten an den Kragen wollen, dümpelt die Linke kurz über der 5-Prozent-Hürde dahin. Zuletzt flog sie in Berlin aus der Regierung. Ausgerechnet die Linke, die durch ihre Protesthaltung zurzeit abräumen müsste wie keine andere Partei.

Doch das Bild, das die Linke abgab, war bisher zu zerrissen. Die Kämpfe zwischen Mitregierern und Oppositionsbank-Liebhabern waren zu stark. Der Wähler, das muss die Partei zurzeit wohl lernen, will gerade in Zeiten der Sorge keinen Zusatz-Zoff, sondern klare Ziele. Da ist es zwingend, dass es nun möglichst reibungslos klappt mit einem Programm. Die Partei, die sich 2007 aus der westdeutschen WASG und der ostdeutschen PDS zusammenschloss, hat nämlich bisher gar keines. Und manch ein politischer Scharfzüngler in Berlin quittierte diesen Zustand schon mit: "Wer nicht weiß, was er will, kann das auch nicht aufschreiben."

Wenn alle Gruppierungen, die in der Partei wirken, sich in den holzvertäfelten Hinterzimmern der Erfurter Messe so einschworen wie die Sozialistische Linke am gestrigen Abend, dann sollte alles klappen bei der Abstimmung. Und auch das mit den rund 90 Prozent Ja-Sagern, die sich Lötzsch, Ernst, Gysi und Co. wünschen. "Das Ding" müsse jetzt klappen, schärften sich die bekennenden Sozialisten passenderweise im Carl-Zeiss-Saal ein. Wenn irgendwas schief gehe, seien die letzten 20 Jahre Parteiarbeit völlig umsonst gewesen, kochte es kurz hoch. Der Plan daher: Der Entwurf des Parteivorstandes ist stellenweise ein hart erkämpfter Kompromiss, sprachlich nicht sehr hübsch - selbst im Zweifel aber wählbar. In der Zeit schlürften die Partei-Granden zwei Etagen höher gerade ein Beruhigungssektchen.

Streit um die "Haltelinien"

Lafontaine spricht erst am Ende des Treffens.

Lafontaine spricht erst am Ende des Treffens.

(Foto: dpa)

Was die Zweifel angeht: Die gibt es vor allem an den sogenannten "Haltelinien". Im Entwurf verankert sind einige Punkte, die die Partei auf keinen Fall mittragen will. Was konsequent klingt, schränkt de facto die Regierungsmöglichkeiten bereits im Vorfeld stark ein. "An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen", heißt es im bereits abgemilderten Entwurf. Ein Reibeisen für die Realpolitiker.

Keine Zweifel hingegen gibt es an den Kernzielen der Linken: Der "demokratische Sozialismus" soll das Gesellschaftssystem der Zukunft werden. "Strukturbestimmende Großbetriebe" sollen verstaatlicht werden, Reiche sollen mehr abgeben, Arme mehr bekommen. "Die Linke ist die einzige Partei, die seriöse Vorschläge zur Überwindung dieser Finanzkrise macht", fasst Leitfigur Oskar Lafontaine das Finanz- und Sozialkonzept zusammen. Dazu gehören auch die 30-Stunden-Woche und die Abschaffung von Hartz IV. Außenpolitisch will seine Partei die Bundeswehreinsätze beenden und den Austritt aus der NATO beschließen. Das "Willy-Brandt-Corps" mit "Grünhelmsoldaten" soll stattdessen Katastrophenhilfe leisten.

Etwa 1400 Änderungsanträge hatten die rund 70.000 Parteimitglieder ihren Vertretern zunächst mit auf den Weg gegeben - unmöglich, alle abzuarbeiten. Durch kleinere Verfahrenstricks wurde die Zahl erheblich reduziert. Dennoch bleibt eine Mammutaufgabe für die knapp 40 Seiten Text, nach denen die Partei sich sehnt. "Ich bin froh, wenn das vorbei ist", raunte eine Delegierte ihrer Kollegin am Eingang zu. Das könnte auch für Lötzsch gelten, die den Schlussapplaus sichtlich genießt. Ihren Kritikern und den Streitenden in ihrer Partei schrieb sie kurz davor noch auf die Tagesordnung: "Die Empörung über andere Genossen sollte in unserer Partei nicht größer sein als die über die sozialen Verhältnisse." Das hatte gesessen.

Quelle: ntv.de

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