Politik

Westerwelles Rückzug Die Stunde Null der FDP

(Foto: Reuters)

Mit Westerwelles Rückzug ist die Krise der FDP nicht vorbei, sie fängt erst richtig an. Denn ohne den viel gescholtenen Parteichef zeigt sich in aller Deutlichkeit, in welch miserablem Zustand sich die FDP befindet: Die Partei hat ihren Kompass verloren.

Dass der Abgang von FDP-Chef Guido Westerwelle mehr als nur eine gravierende personelle Veränderung ist, wird mit jeder Stunde seit seiner Rückzugserklärung deutlich. Wo eben noch der Parteivorsitzende die Richtung vorgab, suchen die Liberalen nun nach ihrem politischen Kompass. Steuersenkungspartei oder lieber Bürgerrechte? Oder zurück zu sozialliberalen Ideen? Bei den Liberalen scheint plötzlich alles möglich. Die FDP hat ihren Kopf verloren.

Abgang: Westerwelle mit seinem Mann Michael Mronz nachdem er seinen Rücktritt erklärt hatte.

Abgang: Westerwelle mit seinem Mann Michael Mronz nachdem er seinen Rücktritt erklärt hatte.

(Foto: AP)

Westerwelles Rückzug wirft die Partei auf sich selbst zurück. Und die Liberalen schauen an sich herunter und merken plötzlich, wie nackt sie ohne ihren Vorsitzenden sind. In seinen siebzehn Jahren an der Parteispitze – erst als Generalsekretär, dann als Parteichef – hat Westerwelle die FDP ganz und gar auf sich zugeschnitten, inhaltlich wie personell. Das ging eine ziemlich lange Zeit ziemlich gut, solange der Parteichef sich und damit die FDP immer wieder neu erfinden konnte: In den 90er Jahren als Speerspitze des neoliberalen Zeitgeists, es folgte die Spaß- und schließlich die Steuersenkungspartei. Als diese zogen die Liberalen unter ihrem Motto "mehr Netto vom Brutto" 2009 in die Bundesregierung ein, konnten ihre Versprechen wegen der leeren Kassen aber nicht halten. Die inhaltliche Verengung, die Westerwelle vorangetrieben hatte und der seine Partei willig gefolgt war, rächte sich nun. Fast ein ganzes Jahr lang versucht die FDP, trotzdem noch den Steuersenkungs-Gaul zu reiten, der doch längst tot am Boden lag. Ein anderes Thema kannte Westerwelle nicht mehr. Und der Parteichef hatte niemanden an seiner Seite geduldet, der nun für andere Inhalte hätte stehen können.

Seitenwechsel mit Folgen

Die inhaltliche Verengung und damit Entleerung der FDP hatte allerdings schon in den 80er Jahren begonnen, als sich die Partei von der sozialliberalen Koalition verabschiedete und sich an die Union zu ketten begann. Sozialliberale Ideen wurden immer stärker an den Rand gedrängt. Nicht nur, dass die FDP infolge des politischen Seitenwechsels 20 Prozent ihrer Mitglieder verlor. Prominente Vertreter wie der damalige Generalsekretär Günter Verheugen kehrten den Liberalen den Rücken. Auch beim Nachwuchs der FDP brach ein Richtungskampf aus, die Jungen Liberalen verdrängten die ihnen zu linken Jungdemokraten als offizieller Nachwuchsverband der Partei. Von 1983 bis 1988 an der Spitze der Julis stand übrigens Westerwelle, der schon zu jener Zeit zum Kampf gegen den linken Zeitgeist blies.

Die FDP etablierte sich als marktliberale Korrektur zur Union, Kritiker sprachen abschätzig vom "liberalen Wurmfortsatz". Vorangetrieben wurde dieser Kurs vor allem von Otto Graf Lambsdorff, der 1982 den Koalitionswechsel maßgeblich zu verantworten hatte und 1988 den Vorsitz der Partei übernahm. Und die FDP wähnte sich auf dem richtigen Weg, die Ergebnisse bei den Bundestagswahlen stiegen von  7 Prozent (1983) auf ganze 11 Prozent (1990) an.

In den 90er Jahren folgte allerdings schnelle Ernüchterung, die FDP flog reihenweise aus Landtagen heraus, und auch im Bund rutschten die Wahlergebnisse ab. Charismatische Politiker wie Lambsdorff und der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher traten ab. Der blasse Klaus Kinkel übernahm das Ruder und machte 1994 Westerwelle zu seinem Generalsekretär. Dieser schrieb sich die Erneuerung der FDP auf die Fahnen.

Westerwelle über alle

Ein bisschen Spaß muss sein: Das Projekt 18 sorgte für inhaltliche Entleerung.

Ein bisschen Spaß muss sein: Das Projekt 18 sorgte für inhaltliche Entleerung.

(Foto: dapd)

Eine größere Vielfalt sollte das allerdings nicht bedeuten. Westerwelle schwor seine Partei zwar auf einen eigenständigen Kurs ein, der eine größere Unabhängigkeit von der Union bringen sollte. Doch verschrieb sich Westerwelle einem wirtschaftsliberalen Kurs und die FDP verlor 1996 mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine prominente Vertreterin des linksliberalen Flügels. Inhaltliche Vielfalt ging damit verloren. Doch immerhin brachte Westerwelle die programmatische Debatte voran und erarbeitete 1997 die "Wiesbadener Grundsätze": Das bis heute gültige Grundsatzprogramm preist noch, ganz im Geist der  90er Jahre, die Vorzüge der Marktwirtschaft, setzt auf Deregulierung und Entbürokratisierung und betont die liberalen Grundrechte der Bürger als "Abwehrrechte gegenüber dem Staat".

Seitdem ist es nicht mehr weit her mit inhaltlicher Arbeit bei den Liberalen. Westerwelle ließ sich als Parteichef von Jürgen Möllemann treiben und setzte auf lautstarken Populismus, der 2002 im Spaßwahlkampf und dem Projekt 18 mündete. Doch der Kanzlerkandidat Westerwelle scheiterte, er brach mit Möllemann und verdrängte 2006 schließlich Wolfgang Gerhardt als Fraktionschef. Die FDP wurde endgültig zur Westerwelle-Show. Und der Vorsitzende lenkte seine Partei auf den einseitigen Steuersenkungskurs. Doch da die FDP wieder Wahlerfolg nach Wahlerfolg feierte, störte sich kaum jemand in der Partei daran. Zumal die meisten ihren Aufstieg Westerwelle zu verdanken hatten.

Drei unbeschriebene Blätter

Wofür steht er? Generalsekretär Lindner weckt viele Hoffnungen.

Wofür steht er? Generalsekretär Lindner weckt viele Hoffnungen.

(Foto: REUTERS)

Das gilt auch für jene drei, die nun in der ersten Reihe der Liberalen stehen: Gesundheitsminister Philipp Rösler, Generalsekretär Christian Lindner und Daniel Bahr, FDP-Landeschef von Nordrhein-Westfalen. Sie wurden wegen Westerwelle überhaupt erst richtig aktiv in der Politik, nannten sich in Reminiszenz selbst die "94er". Sie wurden in der einseitig vom marktwirtschaftlichen Geist geprägten Westerwelle-FDP sozialisiert. Ausgerechnet diese drei sollen nun den Befreiungsschlag von ihrem politischen Ziehvater schaffen und ihrer Partei ein neues Profil verpassen.

Nicht nur deshalb sind die Fragezeichen groß, wie wohl eine FDP unter ihrer Führung aussehen wird. Alle drei stehen eigentlich erst am Anfang ihrer Karriere. Politische Talente zwar, doch unbeschriebene Blätter im Berliner Politikbetrieb. Dass Rösler als Generalsekretär, Fraktionschef und kurzzeitig auch Wirtschaftminister in Niedersachsen immerhin ein wenig an politischer Erfahrung vorweisen kann, klingt nach dem berühmten Einäugigen unter den Blinden.

Immerhin: Rösler und Lindner haben sich 2009 an einer inhaltlichen Debatte für die FDP versucht und das Buch "Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt" sollte die Programmdebatte voranbringen, den Liberalismus im 21. Jahrhundert definieren helfen und auf eine breitere inhaltliche Basis stellen. Sie predigen Liberalismus als Lebensgefühl, als Geisteshaltung. Doch blieb es bislang bei schönen Worten, die noch mit Inhalt gefüllt werden müssen. Lindner hat als FDP-Generalsekretär die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm gerade erst begonnen. Und auch Rösler hat als Minister bislang nur in der Gesundheitspolitik Profil zeigen können. Dass seine dort beschlossene Reform nach Einfluss der Pharmaindustrie stinkt, trägt nicht gerade zu Unvoreingenommenheit bei.

Quelle: ntv.de

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