Politik

Ringen um die Macht Droht Ägypten ein Gottesstaat?

Ein ägyptischer Demonstrant wirft einen Stein bei Zusammenstößen von Gegnern und Anhängern des ägyptischen Ex-Präsidenten Mubarak.

Ein ägyptischer Demonstrant wirft einen Stein bei Zusammenstößen von Gegnern und Anhängern des ägyptischen Ex-Präsidenten Mubarak.

(Foto: dpa)

Während der Prozess gegen Ex-Präsident Mubarak beginnt, rangeln die Oppositionsgruppen in Ägypten weiter um Einfluss. Ronald Meinardus, Leiter des Regionalbüros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, lebt in Kairo und erklärt im Interview mit n-tv.de, welche Chancen die ägyptische Demokratiebewegung hat, welche Rolle das Militär spielt und warum zu viel Pluralismus dem Land gefährlich werden kann.

Herr Meinardus, der Prozess gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Mubarak hat begonnen. Was erwarten Sie von dem Verfahren und von der ägyptischen Justiz?

Ronald Meinardus: Schon allein die Tatsache, dass der Prozess stattfindet und live im ganzen Land übertragen wird, ist großartig, wirklich sensationell. Man muss auch sagen, dass die ägyptische Justiz im Vergleich zu anderen Diktaturen als Hort der Seriosität und Rechtsstaatlichkeit, gar als Hort für eine gewisse Opposition zu Mubarak galt. Darum hatte Mubarak auch die richterliche Kontrolle bei den letzten Parlamentswahlen (im November 2010,  Anm. d. Red.) abgeschafft. Das war mit ein Grund dafür, dass er stark an Legitimität verloren hat. Politisch gesehen hat er sich damit einen Nagel in seinen eigenen Sarg geschlagen.

In einem Krankenbett wurde Husni Mubarak zu Prozessbeginn in den Gerichtssaal geschoben.

In einem Krankenbett wurde Husni Mubarak zu Prozessbeginn in den Gerichtssaal geschoben.

(Foto: dpa)

Während die ägyptische Justiz also hohes Ansehen genießt, gibt es bei der Vertrauenswürdigkeit der Armee nach wie vor Zweifel. Vor ein paar Tagen haben Sie in Kairo hautnah miterlebt, wie die ägyptische Armee die Besetzung des Tahrir-Platz mit Gewalt aufgelöst hat. Mit Blick auf die Zukunft Ägyptens: Bereitet Ihnen das harte Vorgehen der Armee Sorge?

Die Armee hat dort einige hundert Hardcore-Demonstranten, vor allen Dingen Angehörige der "Märtyrer" der Proteste vom Frühling, gewaltsam vertrieben, obwohl der allergrößte Teil der säkularen Oppositionsgruppen zuvor angekündigt hatte, den Platz während des Fastenmonats Ramadan zu verlassen. Man muss hier aufpassen, welchen Maßstab man anlegt. Ich bin wirklich alles andere als ein Befürworter von Polizeieinsätzen gegen friedliche Demonstranten. Aber wenn sich in Deutschland ein Demonstrationszug außerhalb der angemeldeten Bahnen bewegt, wird man auch dort - wie ich aus eigener Erfahrung weiß - mit großer Härte von den Ordnungshütern in die Schranken gewiesen.

Auf wessen Seite steht die Armee?

Die Armee ist sicherlich keine Heilige; das wäre ja absurd, denn die Armee ist ein Bestandteil des alten Regimes. Auf der anderen Seite haben wir jetzt gerade die so sensationelle Entwicklung, dass das Militär dafür sorgt, dass ihr ehemaliger Oberbefehlshaber auf einem Krankenbett in den Gerichtssaal gefahren wird - und dort vor aller Welt brüskiert wird. Sensationell ist das auch deshalb, weil niemand damit gerechnet hatte und vorher alle gesagt haben, das sei ein abgekartetes Spiel. Das heißt, die Entscheidungen des Militärs folgen vielleicht nicht dem Tempo, das die Speerspitze der Revolution verlangt; aber am Ende des Tages muss man sagen, dass das Militär wirklich große Schritte gemacht hat.

Also bewegen sich die ägyptischen Militärs in die richtige Richtung …

Natürlich passieren auch viele unappetitliche und für uns völlig unakzeptable Dinge. Zivilisten werden vor Militärgerichte gestellt, es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, Menschenrechte werden verletzt. Aber: Man darf Ägypten noch nicht mit einem entwickelten Rechtsstaat westlicher Prägung vergleichen. Genauso kann man nach der Legitimität der Demonstranten fragen. Stellen Sie sich vor, in Paris wären für einen Monat der Champs Élysées gesperrt, weil dort Demonstranten und Revolutionäre ihre Meinung kundtun wollen. Da muss man fragen, was die Messlatte ist. Eine herbe Erkenntnis für die Revolution war in den letzten Wochen, dass sie in gewisser Weise auch von vielen Menschen in Ägypten infrage gestellt wird. Und zwar eben aufgrund ihrer praktischen Umsetzung, weil das tägliche Leben in Kairo dadurch für viele Menschen erheblich erschwert wurde. Und jetzt ist auch noch Ramadan, das ist vergleichbar mit der Vorweihnachtszeit in Deutschland, und in Kairo wurden die Verkehrswege zu den wichtigen Einkaufszentren verbaut. Das führte auch zu einer Menge Frustration.

Wie verlässlich sind die Versprechen des Militärrates, noch in diesem Jahr Wahlen durchzuführen und eine neue Verfassung auszuarbeiten?

Die Tatsache, dass der Prozess gegen Mubarak jetzt stattfindet, ist ein Verdienst der derzeitigen Regierenden - und ein Resultat des Drucks der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, die nicht müde wurden, eine Verurteilung des Ex-Präsidenten einzufordern. Das zeigt, dass die Ägypter es jetzt ernst meinen mit der Aufarbeitung. In Teilen widerspricht sich die Demokratiebewegung, wenn sie auf der einen Seite die Langsamkeit des Reformprozesses bemängelt, auf der anderen Seite aber einen Aufschub der Wahlen verlangt, mit dem Argument, es gäbe zu wenig Zeit, sich bis dahin zu organisieren. Das Militär ist diesen Forderungen zum Teil nachgekommen; derzeit sieht es danach aus, dass die Parlamentswahlen im November und nicht wie zunächst vorgesehen schon im September stattfinden. Wenn es zum Beispiel nach den Muslimbrüdern gegangen wäre, wären die Wahlen sofort im September abgehalten worden. Das war im Übrigen auch der ursprüngliche Fahrplan, für den sich bei dem Referendum im März über zwei Drittel der ägyptischen Wähler ausgesprochen hatten. Wenn man jetzt Kritik an den Aktionen des Militärrates übt, sollte man berücksichtigen, dass diese durch das Referendum auch eine gewisse demokratische Legitimität haben.

Berücksichtigt das Militär bei seinen Entscheidungen also auch die Forderungen der Demonstranten?

Nein, das kann man so nicht sagen. Aber das Militär hat eine klare Linie und folgt einem durch das Volk legitimierten Fahrplan. Ich nehme die Aussagen der Militärs ernst, dass sie sich nach der Wahl einer zivilen Regierung - zumindest formal - von der Macht zurückziehen wollen. Dass das Militär in der Substanz an seinen Privilegien festhalten will, ist indes unstrittig. Aus Sicht vieler liberaler Menschen ist eher problematisch, dass offenbar auch sehr viele Ägypter dem Militär blind vertrauen. In Umfragen äußert eine ganz, ganz große Mehrheit immer wieder die Ansicht, dass das Militär die wichtigste Stütze für die Stabilität ist, das Militär mithin bei vielen absolutes Vertrauen genießt.

Millionen Ägypter verfolgten den Beginn des Prozesses auf Großbildleinwänden.

Millionen Ägypter verfolgten den Beginn des Prozesses auf Großbildleinwänden.

(Foto: dpa)

Wie wird es jetzt konkret weitergehen?

Eine von der Regierung bestimmte Wahlkommission wird am 18. September ihre Arbeit aufnehmen und die Vorbereitungen für die Wahlen treffen. Die Parlamentswahlen sollen dann - nach derzeitigem Stand - im November stattfinden. Das soll in drei Phasen geschehen. Das hat damit zu tun, dass die Wahlen unter richterlicher Aufsicht stehen sollen und die Anzahl der Richter nicht ausreicht, um in allen Wahlkreisen ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen, sollte an einem einzigen Tag gewählt werden. Wie das im Einzelnen ablaufen wird, ist noch unklar, da man bis jetzt viele Einzelheiten des Wahlgesetzes, so etwa die Einteilung der Wahlkreise, nicht kennt. Aber: Wir tun uns keinen Gefallen, dort westliche Maßstäbe anzulegen; wir sollten Ägypten an ägyptischen Maßstäben messen. Fest steht, dass ein Zweikammerparlament gewählt wird. Dieses wählt dann wiederum eine aus 100 Menschen bestehende verfassungsgebende Versammlung, die zum Teil aus Abgeordneten, zum Teil aber auch aus unabhängigen Experten und Juristen bestehen kann. Die Verfassung soll dann in einem neuerlichen Referendum zur Abstimmung durch das Volk gestellt werden.

Wird das alles fair und transparent ablaufen?

Man muss der Regierung ihr Bemühen zugutehalten, alle ins Boot zu holen. Da gibt es nach der Revolution einen erstaunlichen Pluralismus, der für uns vielleicht auch schon zu weit geht - im Sinne bestimmter Elemente, die wir wohl nicht unbedingt als freiheitlich-demokratisch bezeichnen würden …

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Salafisten, zum Beispiel auch Dschihadisten, die inzwischen ihre offiziell zugelassenen Parteien haben und dort auch heftig mitmischen. Das Horrorszenario der Liberalen sieht so aus: Bei den Wahlen im November erlangen undemokratische, möglicherweise islamistische Kräfte eine Mehrheit, mit der sie dann die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung bestimmen. Diese verabschiedet dann ihrerseits eine illiberale Verfassung, die dann möglicherweise durch eine illiberale Mehrheit abgesegnet wird und Ägypten innerhalb weniger Monate zum Gottesstaat wird. Aus diesem Grund drängen die liberalen Kräfte momentan darauf, dass man sich - noch vor den Parlamentswahlen - auf gewisse überkonstitutionelle Grundsätze einigt, weil sie dem ganzen Frieden nicht trauen. Ein solches Papier, ähnlich einer Magna Charta etwa, wie wir sie in Europa schon vor Jahrhunderten eingeführt haben, hat es in diesem Teil der Welt noch nicht gegeben. Ein solches Dokument müsste noch vor den Wahlen in einem Referendum abgesegnet werden, um - so die Anhänger dieser Idee - halbwegs sicher zu gehen, dass diese Wahlen nicht auf alle Zeit das Schicksal Ägyptens besiegeln.

Aber genau darauf würden sich Salafisten und Islamisten wohl kaum einlassen …

… und genau darum ging es bei der großen Demonstration am vergangenen Freitag auf dem Tahrir-Platz: Dass man eine derartige Vorab-Festlegung verhindert. Das waren vor allem Islamisten, die gesagt haben, Ägypten ist ein islamisches Land, die Scharia ist die Grundlage unserer Gesellschaft und wir werden nicht akzeptieren, dass von vorneherein Auflagen gemacht werden, wie die Verfassung auszusehen hat. Das Dilemma ist, dass man dieser Position basisdemokratisch eigentlich nicht widersprechen kann. Wir haben es hier mit einer Gemengelage zu tun, wo eine große Mehrheit der Bevölkerung keine Erfahrung mit demokratischen - und erst recht nicht mit säkularen - Werten hat. Für die große Mehrheit der Ägypter ist das nach wie vor Teufelszeug. Und da haben religiös-islamistische Kräfte es natürlich leicht, den Rattenfänger zu spielen - und so auf völlig demokratische Weise zu großen Mehrheiten zu kommen.

Dr. Meinardus Anfang Februar auf einer der Anti-Mubarak-Demos auf dem Tahrir-Pplatz. Auf dem Spruchband steht: Verschwinde!

Dr. Meinardus Anfang Februar auf einer der Anti-Mubarak-Demos auf dem Tahrir-Pplatz. Auf dem Spruchband steht: Verschwinde!

Wie groß ist der Einfluss radikaler religiöser Gruppierungen in Ägypten?

Grob geschätzt würde ich sagen, dass sich das politische Spektrum in Ägypten derzeit in drei etwa gleich große Lager aufspaltet. Rund ein Drittel machen die säkularen Kräfte aus, zu denen die Liberalen, aber auch Arabisten, Sozialisten, Marxisten und noch einige mehr gehören. Das zweite Drittel sind die religiös geprägten Kräfte, von den Salafisten über die Muslimbrüder bis hin zu den Dschihadisten. Da werden wir uns übrigens noch daran gewöhnen müssen, die Muslimbrüder als eine relativ gemäßigte islamistische Kraft zu bezeichnen. Das letzte Drittel sind eher traditionelle Kräfte: Clanführer, Tribalisten oder auch die Anhänger des alten Regimes. In welche Richtung das Militär derzeit tendiert, ist nicht klar.

Und wie groß ist die Gefahr, dass die Islamisten die Oberhand gewinnen?

Das ist die große Frage, und wer Ihnen darauf eine eindeutige Antwort gibt, ist ein Prophet. Ich bin oft auch mit deutschen Politikern in Ägypten unterwegs und beobachte in der Diskussion hier und in Europa eine ausgeprägt negative Haltung. Man macht sich Sorgen. Ich sehe das nicht ganz so schwarz: Es gibt in diesen Tagen zahlreiche interessante Entwicklungen. Zum Beispiel gibt es eine Allianz von 28 Parteien, unter ihnen auch islamistische. Dort will man schon vor der Wahl versuchen, den politischen Sprengstoff herauszunehmen und verhindern, was viele derzeit befürchten: Nämlich dass es zu einer wie auch immer gearteten Radikalisierung kommt, in der Folge zu einer Einparteienregierung, und dass sich andere Gruppierungen ausgegrenzt fühlen. In Ägypten gibt es zwar unheimlich viel politischen Sprengstoff und die Gesellschaft ist konfessionell gespalten. Zugleich herrscht aber auch ein weitverbreiteter Grundkonsens, dass die Einheit des Landes und die Harmonie zwischen den religiösen Gruppen nicht zerstört werden darf. Allein die Tatsache, dass sich diese Dinge abspielen, die im großen Strom der Schlagzeilen bisweilen untergehen, stimmt mich eher optimistisch. Zum ersten Mal gibt es demnächst die Möglichkeit zur demokratischen Partizipation. Nicht alles, was in Ägypten in diesen Tagen der Transformation passiert, ist demokratisch, nicht alles ist ganz lupenrein. Aber wenn man nach Syrien, wenn man nach Libyen, wenn man auf die arabische Halbinsel schaut, dann hat Ägypten eine Leuchtturmfunktion.

Quelle: ntv.de, Mit Ronald Meinardus sprach Johannes Süßmann

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