Alle nur "Idioten"? Drei umstrittene Kommissars-Anwärter müssen vor Abgeordneten zittern


Der Nominierte Raffaele Fitto gehört Melonis rechtspopulistischer Partei Fratelli d'Italia an.
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Es wird noch eng bei der Abstimmung des EU-Parlaments über die Nominierten der EU-Kommission. Vor allem die Vertrauten von Ungarns Regierungschef Orban, Italiens Ministerpräsidentin Meloni und Spaniens Regierungschef Sánchez verursachen Kontroversen.
Der Machtkampf zwischen linken und rechten Kräften im Europaparlament ist in vollem Gange. Im Mittelpunkt stehen drei umstrittene Nominierte für die Posten als Vize-Kommissionspräsidenten. Zwar haben beide Lager ihren Widerstand aufgegeben, aber dies gilt nur vorerst. Die ganze Kommission mit ihren 26 Nominierten muss am kommenden Mittwoch in Straßburg noch vom Parlament bestätigt werden.
Vor der letzten Wahl konnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich auf eine Mehrheit aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen verlassen. Diese informelle Koalition besteht noch immer, aber ohne stabile Mehrheit. Da die Rechtsaußen-Fraktionen deutlichen Zuwachs bekommen haben, sind die Mehrheitsverhältnisse jetzt fragiler. Zusätzlich zur losen Koalition könnten etwa die Grünen oder die Abgeordneten der Fratelli d'Italia, der Partei von Italiens Regierungschefin Georgia Meloni, die Kommissions-Anwärter im Amt bestätigen.
Aber es gibt keinen Fraktionszwang - das heißt: Jede Parlamentarierin und jeder Parlamentarier darf nach Belieben abstimmen.
Das sind die drei umstrittensten Kommissars-Nominierten:
1. Oliver Varhelyi, Gesundheitskommissar - Orbans Vertrauter
Oliver Varhelyi ist ein Gefolgsmann des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der wiederum gute Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt. Spätestens seit Orbans "Friedensmission", bei der Orban in Moskau Putins Hand schüttelte, haben die meisten Abgeordneten endgültig genug von der ungarischen Regierung. Kaum überraschend: Zwar wurde die Varhelyis Nominierung für den Posten des Gesundheitskommissars vorerst abgesegnet. Allerdings sollen ihm "die Flügel gestutzt" werden, wie die Liberalen in einer Erklärung betonen. In seiner Anhörung hatte sich Varhelyi ausweichend zum Recht auf Abtreibung geäußert, dieses Ressort soll ihm genommen werden. Kritiker werfen Orban vor, die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten in Ungarn beschnitten zu haben.
Europaabgeordnete forderten im Laufe der vergangenen fünf Jahre, als Varhelyi Kommissar für EU-Erweiterung war, seinen Rücktritt. In einer Fragestunde Anfang 2023 wurde Varhelyi ungehalten und beschimpfte die Parlamentarier vor wohl versehentlich eingeschaltetem Mikrofon als "Idioten". Am Mittwoch steht er dennoch mit den anderen Nominierten zur Abstimmung. Gegen einen anderen Kandidaten ausgewechselt wurde er nicht. Schließlich muss es ja einen Kommissar aus jedem Mitgliedsstaat geben, so auch aus Ungarn.
2. Raffaele Fitto, Kommissar für Regionalförderung - Melonis Vertrauter
Raffaele Fitto gehört Melonis rechtspopulistischer Partei Fratelli d'Italia an. Fitto soll gleich zwei wichtige Rollen bekommen: die als einer von sechs Vize-Kommissionspräsidenten und die als Kommissar für Regionalförderung und Reformen. Damit verfügt Fitto über den zweitgrößten Fördertopf der EU nach dem für die Landwirtschaft. Zwar genießt Fitto trotz seiner Parteizugehörigkeit in Brüssel den Ruf als politisch gemäßigt, erfahren und proeuropäisch. Bevor Meloni ihn vor zwei Jahren zu Italiens Europaminister ernannte, war er acht Jahre lang Europaabgeordneter.
Dennoch liefen die Grünen, die Liberalen und insbesondere die Sozialdemokraten gegen Fittos Nominierung Sturm. Ihnen gefällt es nicht, dass von der Leyen und der Chef der Europäischen Konservativen, Manfred Weber, einem Parteifreund Melonis eine Schlüsselrolle in der EU-Kommission zugestehen. Weber wiederum sieht die Fratelli als valide Option, um im Europaparlament Mehrheiten zu bilden. Wie schwierig das in einem zunehmend zersplitterten Parlament ist, zeigt sich an der ambivalenten Personalie Fitto: Als fachkundig sehen ihn sogar Linke an, Unterstützung bekommt er aber auch von Rechtsextremen wie der AfD. Einige europäische Sozialdemokraten nehmen ihrer Fraktionschefin Iratxe García übel, eine Kehrtwende vollzogen und Fitto jetzt doch vorerst bestätigt zu haben. Diese Abgeordneten könnten der Kommission am Mittwoch ihre Zustimmung verweigern. Grund für Garcías Kurswechsel ist vermutlich ihre Unterstützung für die Kommissions-Nominierung der sozialdemokratischen Spanierin Teresa Ribera.
3. Teresa Ribera, Klima- und Wettbewerbskommissarin - Sánchez' Vertraute
Teresa Ribera ist Sozialistin. Noch ist sie Umweltministerin und steht damit dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez nah. Durch ihre ausgesprochen linksökologische Prägung bildet sie einen Kontrapunkt zur eher rechts-konservativ besetzten Kommission. Mit gutem Grund gilt Ribera in Brüssel als die wichtigste Stellvertreterin von der Leyens: Sie betreut nicht nur den Green Deal und damit die Umsetzung der Klimaziele der Europäischen Union, sondern leitet mit der Wettbewerbspolitik auch einen Bereich, in dem die Kommission weitreichende Befugnisse noch vor den Mitgliedstaaten hat.
Rechte Kräfte bäumten sich jedoch gegen Riberas Nominierung auf, nachdem sie den Widerstand der Linken gegen Melonis Kommissions-Anwärter Fitto vernommen hatten. Abgeordnete der konservativen Fraktion EVP machten Ribera in ihrem Amt als spanische Umweltministerin für den problematischen Umgang der Behörden mit den Überschwemmungen in Valencia Ende Oktober verantwortlich. Sie hoben die Blockade gegen Ribera jedoch vorerst auf, als die sozialdemokratische Führung ihre Meinung über Fitto änderte.
Quelle: mit dpa, AFP