Grüne befürchten Nordsee-Öl-Gau EU fordert Tiefsee-Bohrstopp
14.07.2010, 15:15 Uhr
Experten warnen schon lange, dass die Ölbohrinseln das Ökosystem der Nordsee akut gefährden.
(Foto: picture alliance / dpa)
EU-Kommissar Oettinger fordert, Öl-Bohrungen unter extremen Bedingungen vorerst nicht mehr zu genehmigen. Zunächst müssten die Ursachen für die Katastrophe im Golf von Mexiko ausgewertet werden, sagt der Energie-Kommissar. In Brüssel will er mit der Branche über neue Sicherheitsstandards sprechen.
Angesichts der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko fordert die EU-Kommission einen Stopp für Tiefsee-Bohrungen in der Nordsee. EU-Energiekommissar Günther Oettinger rief die Mitgliedsstaaten dazu auf, für europäische Gewässer neue Bohrungen unter extremen Bedingungen vorerst nicht mehr zu genehmigen. "Mein Rat an die Mitgliedstaaten geht dahin, im Augenblick - solange die Schadensbehebung im Golf von Mexiko läuft, bis wir eine Auswertung der Schadengründe haben und ehe die Erörterung über unsere Standards nicht abgeschlossen ist - von der Erteilung neuer Genehmigungen Abstand zu nehmen", sagte Oettinger der "Stuttgarter Zeitung". In Brüssel trifft der Kommissar Vertreter der Ölbranche und den nationalen Aufsichtsbehörden. Dabei soll es um strengere Kontrollen und Sicherheitsauflagen gehen.
Zuvor hatten sich bereits die Grünen im Europa-Parlament gegen die Genehmigung neuer Ölbohrvorhaben in der Nordsee ausgesprochen. "Es darf bis auf weiteres keine neuen Lizenzen geben", sagte die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms der "Frankfurter Rundschau". Die Havarie der Plattform "Deepwater Horizon" vor der US-Küste habe "die großen Sicherheitsdefizite bei Ölbohrungen auf hoher See deutlich gemacht".
Oettinger gegen fixe Grenzwerte

Oettinger spricht mit den Ölkonzernen.
Harms forderte Oettinger auf, "nicht länger nur Empfehlungen auszusprechen, sondern umgehend verbindliche Vorschläge für strengste Regulierung vorzulegen". Als Obergrenze für Bohrungen nannte die Grünen-Politikerin Tiefen bis tausend Meter; allerdings liege es nahe, in klimatisch schwierigen Regionen wie etwa dem Nordmeer nur 500 Meter tief zu gehen, sagte Harms.
Umweltschützer fordern sogar ein Verbot für alle Bohrungen unterhalb von 200 Metern Tiefe. Einen Grenzwert will Oettinger aber nicht fixieren. "Ich glaube, derzeit kann niemand sich auf eine genaue Meerestiefe festlegen", sagte der CDU-Politiker dem RBB. "Dazu kommt, der Druck hängt nicht nur von der Meerestiefe ab, sondern auch von anderen Faktoren. Da helfen Schnellschüsse wenig." Derzeit ist die Kontrolle und die Genehmigung von Plattformen und Ölbohrungen Aufgabe der Mitgliedstaaten.
"Fanal von globaler Bedeutung"
Der ehemalige Bundesumweltminister und Chef des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer forderte internationale Mindeststandards für die Sicherheit von Ölbohrungen in der Tiefsee. Da einzelne Nationen und Konzerne ihre Ölsuche immer weiter in die Tiefsee oder in die Arktis vorantrieben, sei es notwendig, "die Risiken international verbindlich einzugrenzen", sagte Töpfer der "Zeit". Er regte dazu eine Konvention der Vereinten Nationen an.
Töpfer verglich die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko mit dem verheerenden Reaktorunglück im ukrainischen Tschernobyl vor 24 Jahren und bezeichnete die Ölpest als "ein Fanal von globaler Bedeutung". Das Unglück müsse der "Weltgemeinschaft die Augen öffnen, dass die Zeiten billigen Öls vorbei und die Förderrisiken stark gestiegen sind". Zwischenzeitlich solle beispielsweise Brasilien vor der Erschließung riesiger, geologisch heikler Ölfelder unter der Tiefsee "eine Risikoanalyse unabhängiger, internationaler Experten beauftragen und respektieren", forderte Töpfer.
Prüfer für die Prüfer
Bei den Gesprächen mit den Ölkonzernen geht es vor allem um eine "umfassende EU-Gesetzgebung" zu Sicherheits- und Umweltstandards auf Ölplattformen - die bestehenden reichen der EU-Kommission nicht aus. "Wir brauchen ein System der Prüfung der Prüfer", hatte Oettinger in der vergangenen Woche bei der Präsentation seines Fünf-Punkte-Plans im Europaparlament gesagt. Zur besseren Sicherheit sollte die EU die nationalen Behörden zusätzlich kontrollieren und mehr Aufsicht ausüben. Möglich etwa sei die Gründung einer europäischen Agentur, sagte Oettinger.
Nach den EU-Plänen sollen alle großen Ölfirmen ihre Sicherheitsmaßnahmen und Notfallpläne an die weltweit höchsten Standards anpassen. Bei Unfällen soll das Verursacherprinzip gelten, so dass die Konzerne für die Kosten aufkommen müssen. Im Herbst könnte die Kommission konkrete Gesetzesvorschläge machen, die 2011 vorliegen würden.
Nach Kommissionsangaben stehen in der Nordsee rund 400 Ölförderanlagen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte, dass große Ölkonzerne in der Nordsee und im Nordatlantik in der Tiefsee bohren, "ohne für den Notfall technisch oder finanziell ausreichend abgesichert zu sein". Greenpeace-Experte Christoph von Lieven sagte: "Die Ölkonzerne haben nichts aus der Katastrophe im Golf gelernt." Greenpeace kündigte Proteste vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel an, wo sich Kommissar Oettinger mit den Ölmanagern trifft.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP