"Dialog ohne Tabus" EU hofft auf Medwedew
27.06.2008, 16:41 UhrRusslands neuer Präsident Dmitri Medwedew und die EU-Spitze haben in Sibirien bei ihrem ersten Gipfeltreffen eine Wiederbelebung der zuletzt angespannten Beziehungen beschlossen. Medwedew verkündete mit EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso und dem derzeitigen Ratsvorsitzenden, Sloweniens Regierungschef Janez Jansa, in Chanty-Mansijsk den über eineinhalb Jahre verzögerten Verhandlungsstart für einen neuen Rahmenvertrag.
"Wir hatten offene, wohlwollende und partnerschaftliche Diskussionen. Das ist ein wichtiges Signal für die Zukunft", sagte Medwedew auf der Pressekonferenz. Dauerkonflikte wie Fragen der Energiesicherheit hatten das Verhältnis der EU zu Medwedews Vorgänger Wladimir Putin zuletzt deutlich strapaziert.
Die Gespräche über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sollen auf Expertenebene am 4. Juli in Brüssel beginnen. Geplant sei "ein übergreifender Rahmen für die EU-Russland-Beziehungen in naher Zukunft" mit "rechtlich verbindlichen Vereinbarungen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Der Weg zu neuen Verhandlungen war erst frei geworden, nachdem Polen und Litauen ihren Widerstand aufgegeben hatten. Fachleute erwarten äußerst langwierige Verhandlungen über Investitionen, Visafreiheit, Menschenrechte oder äußere Sicherheit.
Gemeinsame Sicherheitsstruktur
Medwedew konkretisierte seine bereits in Berlin vorgestellte Idee einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur in Europa jenseits der NATO. Weder das westliche Militärbündnis noch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seien in der Lage, Sicherheit für alle in Europa zu gewährleisten.
"Alle Fragen der europäischen Sicherheit, darunter auch die geplante US-Raketenabwehr, sollten gemeinsam geklärt werden", forderte Medwedew. Er warb erneut für eine gesamteuropäische Sicherheitskonferenz unter Beteiligung der USA. Der Streit um die Zukunft des Kosovos und den von Russland abgelehnten Einsatz der EU-Mission (EULEX) wurden in der Öffentlichkeit nicht angesprochen.
Streit um Sowjet-Vergangenheit
Bei aller Harmonie in der Ölstadt Chanty-Mansijsk wies Barroso Vorwürfe des Kremlchefs an die baltischen EU-Staaten zurück, dort werde mit dem Verbot von sowjetischen Symbolen die Geschichte Europas und der Kampf gegen den Faschismus infrage gestellt. "Die EU ist gegen jede Art von Totalitarismus. Wenn wir auch sowjetischen Totalitarismus zurückweisen, so ist das nicht gegen Russland gerichtet", betonte Barroso. Medwedews Vorgänger Putin, der als Regierungschef nicht am Gipfel teilnahm, hatte als Präsident scharfe Kritik an der Minderheitenpolitik in den baltischen EU-Staaten geübt.
Ostseepipeline "rein geschäftlich"
Beide Seiten bekannten sich zum Bau der innerhalb der EU umstrittenen Ostseepipeline, die Gas von Russland nach Deutschland pumpen soll. Die Umweltstandards müssten allerdings eingehalten werden, forderte Barroso. Medwedew bezeichnete das Projekt als rein geschäftliches Unterfangen, dem übertriebene Politisierung nur schade. Auf ihrem 21. Gipfeltreffen vereinbarten die Partner eine verstärkte Kooperation im Finanzsektor. Zudem wurde ein Programm zur grenzüberschreitenden regionalen Zusammenarbeit der nördlichen EU-Staaten mit Russland gestartet, an dem sich Moskau erstmals mit eigenen Finanzmitteln beteiligt.
Russland ist nach den USA und China der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union. Der EU geht es im Verhältnis zu Russland vor allem um mehr Sicherheit bei der Versorgung mit Gas und Öl sowie bei Investitionen im Energiebereich. Die Russlandpolitik ist innerhalb der EU umstritten. Einige der neuen EU-Mitglieder in Osteuropa beharren auf einer deutlichen Abgrenzung von Moskau.
Quelle: ntv.de