Umstrittene Verfassungsänderungen EU schaut besorgt nach Ungarn
10.03.2013, 20:33 Uhr
(Foto: dpa)
Das Grundgesetz Ungarns gilt erst seit rund einem Jahr - Ministerpräsident Orban will es in einigen Punkten ändern. Tausende Menschen protestieren gegen die Kriminalisierung von Obdachlosen, die Entmachtung des Verfassungsgerichts und die Einschränkung der freien Arbeitswahl. Die EU ist alarmiert. Orban beschwichtigt.
Bevorstehende Änderungen der Verfassung haben in Ungarn Proteste ausgelöst und im Ausland Bedenken hervorgerufen. Tausende demonstrierten in Budapest gegen die neuen Bestimmungen. Ihren Befürchtungen zufolge werden diese das Verfassungsgericht entmachten und die Unabhängigkeit von Justiz und Universitäten einschränken.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte zuvor in einem Telefonat mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban seine Sorge bezüglich der Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien geäußert. Die Verfassungsänderung soll an diesem Montag von der rechten Regierungsmehrheit im Parlament verabschiedet werden.
Zu der Kundgebung in der Alkotmany utca ("Verfassungsstraße") hatten Studenten und mehrere Bürgerinitiativen aufgerufen. Bereits am Donnerstag hatten studentische Aktivisten überraschend den Vorgarten des Sitzes der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten) gestürmt und für einige Stunden besetzt. Die Proteste standen unter dem Motto "Die Verfassung ist kein Spielzeug". Nach Darstellung der Redner wolle Orban durch die Eingriffe in die Verfassung seine Macht noch fester absichern.
Weniger Kompetenzen für Verfassungsgericht
Die sogenannte 4. Verfassungsnovelle ergänzt das erst seit Anfang 2012 geltende neue Grundgesetz. Unter anderen sieht sie vor, dass sich das Verfassungsgericht künftig nicht mehr auf seine Spruchpraxis aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der neuen Verfassung stützen darf. Kritiker befürchten eine Marginalisierung des obersten Gerichts, das sich zuletzt häufig auf seine frühere Grundrechte-Interpretation berufen hatte, wenn es demokratiepolitisch bedenkliche Gesetze außer Kraft setzte. Zuletzt kippte es eine umstrittene Wahlrechtsreform.
Darüber hinaus darf das Verfassungsgericht künftig vom Parlament beschlossene Änderungen der Verfassung nur noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, nicht aber inhaltlich prüfen. Eine weitere Bestimmung sieht vor, dass die Präsidentin des Nationalen Justizamtes - eine von Orban eingesetzte, loyale Funktionärin - bestimmte Fälle bestimmten Gerichten zuweisen kann. Diese Regelung war auch von der EU-Kommission kritisiert worden.
Andere Bestimmungen erheben Gesetze in den Verfassungsrang, die zuvor vom Verfassungsgericht gekippt wurden. Darunter fallen die willkürliche Zuteilung des Kirchenstatus durch die Regierungsmehrheit im Parlament, das Verbot von Wahlwerbung im privaten Fernsehen und die Kriminalisierung von Obdachlosen.
Universitäre Unabhängigkeit gefährdet
Den Zorn der Studenten löste aus, dass Hochschulabsolventen durch einen Verfassungsparagrafen daran gehindert werden können, Jobs im EU-Ausland anzunehmen. Von der Regierung eingesetzte Wirtschaftsdirektoren an den Universitäten, sogenannte "Kanzler", könnten wiederum die Unabhängigkeit der Hochschuleinrichtungen aushöhlen.
Die von Ministerpräsident Orban vorangetriebene Grundgesetznovelle wird auch im Ausland scharf kritisiert. Europarats-Generalsekretär Thorbjoern Jagland forderte das ungarische Parlament auf, die Abstimmung zu verschieben. US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland meinte, die Änderungen könnten "die Unabhängigkeit der Institutionen bedrohen". EU-Kommissionspräsident Barroso teilte seine Bedenken Orban telefonisch mit. "Die ungarische Regierung und das Parlament sind den europäischen Normen und Regeln in vollem Umfang verpflichtet", erwiderte Orban in einem Brief an Barroso.
Quelle: ntv.de, rpe/dpa