Politik

Steinbrück zerstückelt seine Kompetenz Ein alter Hase, ein junges Huhn, ein hartnäckiger Dickhäuter

V.l.: Steinbrück, Joost, Wiesehügel, Oppermann.

V.l.: Steinbrück, Joost, Wiesehügel, Oppermann.

(Foto: dpa)

SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück braucht Überraschungen. Er muss das Wahlvolk irgendwie verzaubern, will er Amtsinhaberin Merkel ernsthaft an den Posten. In drei Teilen zeigt Steinbrück also sein Kompetenzteam. In der ersten Runde: drei Deckel für drei wichtige Töpfe.

Die Salami-Taktik soll es also sein. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nutzt sie, um immer mal wieder ein Häppchen zu haben, das er dem Wahlvolk zuwerfen kann. Ein SPD-Leckerchen, sozusagen. Eins, das ein Licht auf ihn wirft, auf das sich alle stürzen, vorbei an Teflon-Kanzlerin Angela Merkel, die so gut dasteht wie lange nicht und sich bisher darauf verlassen konnte, dass die Genossen sich selbst demontieren.  Die Stichworte: Redegagen, Kanzlergehalt, Tempolimit. Steinbrück stückelt also sein "Kompetenzteam".  10 bis 12 Aushängeschilder sollen es sein, auf drei Vorstellungsrunden will Steinbrück sie verteilen. Und jeder Name soll zum Medienereignis werden. Überraschungen werde es reichlich geben, sagt Steinbrück.

Die ersten drei Kompetenten stehen nun fest. Steinbrück hat sie genannt und in der Berliner SPD-Zentrale vor die Mikrofone gestellt. Der erhoffte Überraschungseffekt jedoch misslang: Dass Thomas Oppermann der mögliche Innenminister ist, die Professorin Gesche Joost die Netzpolitik betreuen und der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel den in der SPD reichlich ramponierten Bereich Arbeit und Soziales betreuen soll, wurde schon letzte Woche von schwatzfreudigen Sozialdemokraten preisgegeben. Steinbrück zog die erste Verkündung schließlich einen Tag vor, damit überhaupt noch jemand kommt.

Einer für jede, drei für alle

Die SPD müsse bei der Wahl ein "breites Spektrum" unter den Wählern erreichen, nennt Steinbrück eine Binsenweisheit als Begründung für seine Auswahl. Dafür seien drei wesentliche Gruppen entscheidend: die organisierte Arbeitnehmerschaft, ein bürgerlich aufgeklärtes Publikum und intellektuelle Impulsgeber. Die ersten drei Auserwählten würden jeweils einer dieser Gruppen entsprechen.

Thomas Oppermann, Politik-Profi.

Thomas Oppermann, Politik-Profi.

(Foto: dpa)

Da ist zunächst Thomas Oppermann, der alte Hase. Der ehemalige niedersächsische Kultusminister führt seit 2007 als Geschäftsführer die Geschicke der SPD-Bundestagsfraktion. Und tatsächlich: Er setzt immer wieder Akzente in der Innenpolitik, mischt kräftig mit, wenn es darum geht, den oft etwas raubeinigen Amtsinhaber Hans-Peter Friedrich zu attackieren. Freiheit und Sicherheit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, so sein Credo. Doch genau dies tue Schwarz-Gelb.

Inhaltlich verhält sich Oppermann bei der Vorstellung geschickt. Einige Plattitüden gibt es, aber dann auch den Generalangriff, aus gegebenem Anlass. Die Sicherheitsbehörden müssten vor dem Hintergrund des rechten NSU-Terrors massiv umgebaut werden, Steuerbetrug soll auch international besser verfolgt werden. Oppermann will die doppelte Staatsbürgerschaft erlauben und Ausländern das kommunale Wahlrecht zugestehen. Alle vier Ansätze sind so konkret, dass sich ein möglicher Minister daran wird messen lassen müssen. Oppermann ist keine Überraschung in Steinbrücks Kreis, eher eine sichere Bank. Er ist dank seiner Toleranz und Offenheit der Politiker-Typus, auf den sich viele Wähler einigen können – auch aus dem, wie Steinbrück sagt, "bürgerlichen Publikum".

Gesche Joost, noch grün hinter den Ohren.

Gesche Joost, noch grün hinter den Ohren.

(Foto: dpa)

Anders als bei Oppermann schlägt das Herz der jungen Uni-Professorin Gesche Joost bis zum Hals, als sie sich vorstellt: Die nervöse Kurzatmigkeit der Newcomerin verrät es. "Wow, volle Hütte hier", rutscht es ihr raus. Und, als Erklärung gleich hinterher: "Dies ist meine erste Pressekonferenz." Joost, Designforscherin an der Berliner Universität der Künste und lange schon in Steinbrücks Beraterteam, ist frisch und putzmunter, freundlich, sympathisch. Und genau so soll sie auch wirken neben Rampensau und Polit-Profi Steinbrück.

Dazu soll sie für die SPD einen Bereich erobern, in dem es ein erhebliches Wählerpotenzial gibt: die digitale Zukunft. Urheberrecht, Cybermobbing, Leistungsschutz, Internetkompetenz in der Schule, die Spaltung zwischen digital Gebildeten und digital Abgehängten – hier wildern sonst die Piraten. Und hier haben die etablierten Parteien allesamt auch alles veröden lassen in den letzten Jahren. Ein Bereich, von dem er auch kaum Ahnung habe, sagt Steinbrück ganz ehrlich. Er ahnt jedoch mit Recht, dass es hier endlich sozialdemokratische Antworten geben muss. Joost soll es richten. Ihre erste Vorstellung jedenfalls gelingt. Sie ist ernsthaft und engagiert, als sie ihr Programm skizziert. Und das ohne Allgemeinplätze, die am Ende nichts bedeuten.

Klaus Wiesehügel, der Anti-Schröder.

Klaus Wiesehügel, der Anti-Schröder.

(Foto: dpa)

Klaus Wiesehügel ist der dritte im ersten Bunde, der lautsprechende Polterer. Eine Personalie mit Erregungspotenzial. Der langjährige Chef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt war und ist ein ausgemachter Gegner der Schröder'schen Agenda-Politik, die auch Steinbrück getragen hat. Hartz IV und Rente mit 67 sind Undinge, gar riesige Ungerechtigkeiten für ihn, da hat er nie einen Hehl draus gemacht. Als Gerhard Schröder und der damalige britische Premier Tony Blair Ende des letzten Jahrtausends die europäische Sozialdemokratie  auf den "dritten Weg" zwischen Sozialstaat und Neoliberalismus brachten, schrie der Bartträger laut Halt und verfasste mit anderen Gleichgesinnten ein resolutes Gegenpapier. Sein Unmut also währt schon lange, die SPD verlassen aber hat er nicht.

Ob Wiesehügel ein Feigenblatt ist, das nach einer gewonnenen Wahl einfach davonfliegt? Kann sein. Steinbrück könnte mit ihm nur den angeblich linkeren Kurs seiner Partei demonstrieren wollen, ein Entgegenkommen für die Arbeitnehmerschaft. Und natürlich ist Wiesenhügel jemand, der Wähler von der Linkspartei zurückgewinnen kann. Mit deren Prozenten wäre die SPD wieder konkurrenzfähig. Doch Steinbrück hat da zwei Probleme. Erstens ist Wiesehügel den Genossen, die sich für die Agenda bis zum Knarzen verbogen haben, inhaltlich nun nur noch sehr schwer zu vermitteln. Und zweitens lauert mit Sozialpolitikerin Andrea Nahles ein SPD-Schwergewicht auf den Ministerposten. Die Personalie Wiesehügel könnte also mehr Wahlkampf sein als echte Absicht. Steinbrück jedenfalls wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sein Kompetenzteam nicht zwingend auch sein Kabinett ist. Und damit hält er sich natürlich alle Möglichkeiten offen.

Quelle: ntv.de

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