EU-Beitritt der Türkei Erdogan setzt Frist
31.10.2012, 08:34 Uhr
Erdogan bei der Botschaftseröffnung in Berlin.
(Foto: dpa)
Der türkische Ministerpräsident Erdogan trifft Kanzlerin Merkel zu einem Zeitpunkt, wo die Beziehungen nicht die besten sind. Doch Erdogan lässt keinen Zweifel daran, das Ziel ist noch immer der EU-Beitritt seines Landes.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Jahr 2023 als späteste Frist für einen EU-Beitritt seines Landes genannt. Er hoffe nicht, dass Europa die Türkei "so lange hinhalten" werde, sagte Erdogan nach Angaben seiner Partei AKP in Berlin. "Wenn sie versuchen, uns bis dahin hinzuhalten, dann wird die EU verlieren, zumindest werden sie die Türkei verlieren", sagte Erdogan. Am zweiten Tag seines Berlin-Besuchs will der türkische Premier am Mittag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammenkommen.
Erdogan erinnerte daran, dass seine Regierung die Türkei bis zum 100. Jubiläum der Republik-Gründung im Jahr 2023 in vielen Bereichen grundlegend modernisieren wolle. Für die kommenden Generationen bereite die Regierung "eine ganz andere Türkei" vor, sagte Erdogan nach einem Protokoll seiner Äußerungen auf der AKP-Internetseite.
Probleme mit Zypern
Der türkische Premier ging auch auf die Probleme im EU-Prozess der Türkei und insbesondere den Zypern-Konflikt ein. Er warf der EU vor, die griechische Republik Zypern trotz der Teilung der Mittelmeerinsel im Jahr 2004 als Mitglied aufgenommen zu haben. Merkel habe dies ausdrücklich als "Fehler" bezeichnet, sagte Erdogan.
Die Türkei hat für die Dauer der zyprischen EU-Ratspräsidentschaft bis zum Jahresende die Kontakte mit der EU reduziert. Die seit 2005 laufenden Beitrittsgespräche der Türkei seien deshalb derzeit "abgebrochen", sagte Erdogan. "Bis zum Ende dieser Präsidentschaft wird es keine Verhandlungen mehr geben." Türkische EU-Politiker hoffen auf einen Neubeginn des Verhandlungsprozesses unter der irischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2013.
Neubau im Botschaftsviertel
Erdogan hatte zuvor in Berlin die neue türkische Botschaft eröffnet. Außenminister Guido Westerwelle sprach sich in seinem Grußwort für eine weitere Annäherung zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) aus. Der Stillstand in den Beitrittsverhandlungen seit zwei Jahren sei für beide Seiten nicht gut. Im kommenden Jahr solle hier ein "neuer Anfang" gemacht werden. Die Türkei habe viele Reformen verwirklicht. "Viel bleibt zu tun, aber wichtige Etappen sind geschafft", sagte Westerwelle.
Bei einer europapolitischen Rede bekräftigte Erdogan am Abend das Ziel eines EU-Beitritts seines Landes. "Wir bereiten uns darauf vor, dass wir Vollmitglied in der EU werden." Als Problem benannte er allerdings die Zypern-Frage - die Türkei erkennt das EU-Mitglied Zypern nicht an. Selbstbewusst bot der türkische Regierungschef auch Hilfe in der Euro-Krise an. "Wir erstarken von Tag zu Tag", sagte er. Die Türkei werde jeden Beitrag leisten, damit die Euro-Krise überwunden werden könne. Sein Land werde keine Belastung für die EU sein. "Wir kommen, um Last zu übernehmen", sagte Erdogan.
Neubewertung nötig
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warnte davor, der Türkei einen EU-Beitritt zu verwehren. "Wir sind jetzt in einem Stadium, in dem es wichtig ist, den Prozess am Laufen zu halten", sagt er der "Schwäbischen Zeitung". "Wir können kein Interesse daran haben, dass sich in der Türkei die falschen Kräfte durchsetzen." Mit ihrer Größe und Wirtschaftskraft könne sich die Türkei leicht überschätzen - die EU könnte sie davor bewahren.
Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte die Bundesregierung zum Kurswechsel in der Türkei-Politik auf. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er: "Die Türkeipolitik von Frau Merkel bedarf einer grundsätzlichen Überprüfung." Die Türkei unter Erdogan habe sich im Vergleich zu der Zeit vor 15 Jahren "erheblich zum Positiven" verändert.
Erdogan hatte bei der Botschaftseröffnung mehr Anstrengungen zur Integration gefordert. "Wir wollen, dass die Türken in Deutschland fließend Deutsch sprechen", sagte er. "In diesem Sinne müssen sie Doppelsprachler sein und sich mehr und mehr am Leben beteiligen." Nach fast 70 Jahren erhielt die Türkei damit wieder eine Vertretung im historischen Botschaftsviertel der Hauptstadt.
Bei der Botschaftseröffnung sagte Erdogan, Türken in Deutschland sollten nicht nur türkische Autoren kennen, "sondern auch Hegel, Kant und Goethe verstehen". In Deutschland leben rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, in Berlin haben mehr als 100.000 Menschen einen türkischen Pass.
Quelle: ntv.de, dpa