Atomausstieg als Wirtschaftsstütze Ethikkommission ebnet den Weg
04.04.2011, 15:16 UhrDie rauchenden Reaktorruinen von Fukushima verschärfen quer durch alle Parteien und die Gesellschaft den Wunsch nach einem raschen Atomausstieg. Die erstmals zusammengetroffene Ethikkommission soll Kanzlerin Merkel helfen, Probleme beim Turboausstieg zu lösen. Der Sicherheitsexperte Renneberg geht davon, dass die Bundesregierung zum rot -grünen Atomkompromiss zurückkehren wird.
Angesichts der atomaren Katastrophe in Japan hat in Berlin die von der Bundesregierung eingerichtete Ethikkommission zur Energiepolitik ihre Arbeit aufgenommen. Ihr sei wichtig, dass sich in der Kommission ein "breites gesellschaftliches Spektrum" vereint habe, um die Weichen für die neue Energiepolitik zu stellen, sagte Merkel zum Auftakt der Sitzung des Gremiums. Die Opposition kritisierte die Kommission.
Nach Angaben Merkels soll die Kommission bis Ende Mai Vorschläge vorlegen, wie eine "schlüssige Energiewende hin zum Zeitalter der erneuerbaren Energien" vollzogen werden kann. Mitte Mai werde das Gremium von der Reaktorsicherheitskommission die Ergebnisse einer technischen Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke erhalten. Die Ethikkommission müsse dann entscheiden, "wie mit den Risiken aus der Atomenergie auch verantwortlich umgegangen werden kann", sagte Merkel. Das Gremium hat 17 Mitglieder, darunter ehemalige Politiker, Wissenschaftler und Kirchenvertreter.
Gute Aussichten für die Wirtschaft
Nach Ansicht des Ethikkommissions-Vorsitzenden Klaus Töpfer kann Deutschland schnell aus der Atomenergie aussteigen, ohne ökonomische Folgen zu befürchten. "Wir werden es belegen, dass eine wirtschaftlich starke Nation wie Deutschland diese Stärke auch behalten kann", sagte Töpfer dem Hessischen Rundfunk. Teile der Wirtschaft hätten erkannt, welche riesigen Möglichkeiten eine grüne Technologiewelle böte. "Das sind große Chancen für zukunftsorientierte Arbeitsplätze", sagte Töpfer. Stadtwerke beispielsweise setzten schon jetzt auf dezentrale Energieerzeugung.
Der Ko-Vorsitzende Matthias Kleiner warnte dagegen in der "Financial Times Deutschland" vor Versorgungsrisiken bei einem zu schnellen Ausstieg. "Auch mich haben die Katastrophen in Japan als Ingenieurwissenschaftler sehr nachdenklich gemacht", sagte er der "Rheinischen Post". "Jede Technologie, die für Menschen heute unkalkulierbar und nicht beherrschbar ist, ist eine Hypothek, die wir unseren Kindern nicht hinterlassen dürfen."
Merkel wünscht sich eine breite öffentliche Debatte über das Thema Atomkraft. Sie erwarte spannende Diskussionen in der Kommission, "die auch in der Öffentlichkeit durchgeführt werden könnte", sagte sie.
"Goldene Brücke" für Merkel

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(Foto: dpa)
Der langjährige Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, geht davon aus, dass die Bundesregierung zum rot-grünen Ausstiegsgesetz von 2002 zurückkehren wird. Im Gespräch mit n-tv.de verweist Renneberg drauf, dass schon damals alle Beteiligten davon ausgegangen seien, dass die ihnen zugewiesenen Restlaufzeiten ausreichen würden, um die Anfangsinvestitionen der Betreiber aufzufangen und ihnen darüber hinaus ein angemessener Gewinn zufließen würde. "Das heißt, wenn diese Restlaufzeiten abgelaufen wären, hätten diese Anlagen auch keinen Bestandsschutz mehr. Die acht alten Anlagen hätten damit ihren Bestandsschutz bereits verloren und können insofern jederzeit abgeschaltet werden." Bei den neueren Anlagen würde man Gefahr laufen, bei einem vorzeitigen Abschalten Entschädigungen zahlen zu müssen. Eine Rückkehr zum alten Ausstiegsgesetz wäre rechtlich unproblematisch. Man müsste es nur politisch umsetzen.
Die Union habe mit Fukushima und der breiten gesellschaftlichen Debatte eine Goldene Brücke, um den Weg wieder zurückzugehen, so Renneberg, der von 1998 bis 2009 Abteilungsleiter im Umweltministerium war. "Sie kann sich auch darauf berufen, dass man so etwas wie in Japan nicht habe erwarten können und dies zu einer Neubewertung der Risiken führe. Den Weg haben sie bereits eingeschlagen."
Fakten sind bereits bekannt
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bezeichnete die Ethikkommission als "hilfloses Instrument". Den Konsens, den dieses herbeiführen solle, habe es bereits gegeben. Ähnlich äußerte sich die umweltpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Eva Bulling-Schröter: "Die Fakten liegen auf den Tisch, die gesellschaftlichen Mehrheiten sind auch klar."
Die Fraktionen von Union und FDP wollen beim Thema Energiewende stärker mitreden. Nach Angaben aus Koalitionskreisen wird eine eigene Arbeitsgruppe der Fraktionen zu dem Thema eingesetzt. Ziel sei es, die Ethikkommission und die Reaktorsicherheitskommission mit den Koalitionsfraktionen zu verzahnen.
Kaufen oder Verkaufen?
Verwirrung gab es indes um die Folgen des Atommoratoriums auf die deutsche Stromimportbilanz. Seit der Abschaltung der älteren Akw sei die Bundesrepublik vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur geworden, erklärte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Hannover. Dem widersprach eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. Deutschland sei immer noch ein Netto-Stromexporteur.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP