Kreml-Flüssiggas sprudelt in EU Europa darf nicht länger Putins Kriegskasse füllen
17.11.2023, 07:26 Uhr
Der Gas--Terminal des belgischen Unternehmens in Zeebrugge: Russisches Gas kommt weiter in die EU und wird hier gehandelt.
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Die EU-Staaten importieren weiter russisches Erdgas in Form von LNG und helfen bei dessen Verschiffung in andere Weltregionen. Auch Deutschland ist beteiligt. Der Handel mit dem Flüssiggas, an dem europäische Unternehmen mitverdienen, könnte sogar noch zunehmen. Das muss dringend aufhören.
Seit dem Überfall Russlands kämpft die Ukraine um das Überleben ihres Staates, ihrer Nation, ihrer Kultur. EU und USA stehen fest an der Seite der Ukraine und unterstützen das Land wirtschaftlich, humanitär und mit umfangreichen Waffenlieferungen. Gleichzeitig setzte in der EU, allen voran in Deutschland, ein später aber umso schnellerer Lernprozess ein. Auf bittere Art und Weise haben wir erfahren: Wenn sich Europa einseitig von autokratischen Systemen abhängig macht, gefährden wir unsere eigene Sicherheit.

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Andrii Zhupanyn, Mitglied der Werchowna Rada der Ukraine, ist Vorsitzender des Unterausschusses für Erdgas im ukrainischen Parlament. Der 1989 geborene Politiker ist Mitglied der "Diener des Volkes", der Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj.
In einem enormen Kraftakt korrigierte die Bundesregierung die Fehlentscheidungen vergangener Jahrzehnte und machte Deutschland innerhalb kürzester Zeit unabhängig von russischem Erdgas. Während durch die Nord Stream Pipelines seit über einem Jahr kein Erdgas mehr fließt, liefert Russland allerdings weiterhin Erdgas nach Europa - als Flüssiggas per Schiff. Bereits im vergangenen Jahr hat Russland seine LNG-Exporte nach Europa um 30 Prozent gesteigert. Bis 2030 plant Russland seine Flüssiggaslieferungen zu verdreifachen, auf 100 Millionen Tonnen im Jahr.
Dafür baut Russland massiv Infrastruktur in der Arktis aus. Mithilfe des ehemaligen Dax-Konzerns Linde und dem französischen Unternehmen Technip wurde 2022 auch nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am Projekt Arctic LNG 2 gebaut. Die technische Unterstützung der beiden europäischen Unternehmen ermöglichte es, den ersten von drei russischen LNG-Exportterminalblöcken im Juli 2023 in Betrieb zu nehmen - kurz vor Inkrafttreten der westlichen Sanktionen. Putin selbst war bei der feierlichen Inbetriebnahme anwesend. Im Oktober gab der russische Präsident grünes Licht für den Bau eines weiteren großen LNG-Terminals in Murmansk.

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Der Bundestagsabgeordnete der Grünen ist Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Der 53-Jährige setzt sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine für eine konsequente Unterstützung des angegriffenen Landes durch Deutschland und die EU ein, auch mit militärischen Mitteln.
Das Geschäft mit dem russischen Flüssiggas wird größtenteils von Novatek betrieben, einem Konzern, der in den Händen der eng mit Putin verbundenen Oligarchen Leonid Wiktorowitsch Michelson und Gennadi Nikolajewitsch Timtschenko liegt. Novatek kontrolliert 50,1 Prozent des russischen LNG-Terminals Yamal und expandiert mit dem Bau des Terminals auf der westsibirischen Halbinsel Gydan weiter. Das Unternehmen, das sich gerade anschickt, auf die Weltmärkte zu expandieren, ist sogar direkt in den russischen Angriffskrieg involviert. Es gibt Berichte, das Wachpersonal des Unternehmens stelle eine eigene Söldnergruppe.
Russisches Gas fließt nach Deutschland
Umso bedenklicher ist es, dass trotz des Versprechens der EU, die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zu beenden, einige Länder, darunter Belgien, Frankreich und Spanien, ihre Einfuhren von russischem LNG deutlich gesteigert haben. Über Belgien gelangt zum Teil auch russisches Gas nach Deutschland. Doch Europa importiert nicht nur russisches LNG, es hilft auch dabei, russisches Flüssiggas in Nicht-EU-Staaten weiterzuverkaufen. Ein erheblicher Teil wird in europäischen Häfen umgeladen und in Länder wie Indien und China verschifft. Der belgische Gasnetzbetreiber Fluxys wickelte im Jahr 2022 72 Prozent aller russischen LNG-Umladungen in der EU ab, die hauptsächlich für Nicht-EU-Länder bestimmt waren.
Dass die Bundesrepublik Deutschland mithilfe des LNG-Tankers "Amur River" am Handel mit russischem Flüssiggas beteiligt ist, ist völlig inakzeptabel. Die "Amur River" gehört dem Unternehmen SEFE, das als Teil von Gazprom Germania im vergangenen Jahr verstaatlicht wurde. Aufgrund von Altverträgen fährt das Schiff weiter russisches Gas in die Welt. Diese Praxis muss so schnell wie möglich beendet werden. Wer Gasgeschäfte mit Russland im Jahre 2023 noch als privatwirtschaftliche Angelegenheit abtut, ist ein gefährlicher Realitätsverweigerer.
Europäisches Parlament fordert Import-Stopp
Der Handel mit russischem LNG läuft unseren ureigenen Sicherheitsinteressen zuwider. Die russischen Gasexporte füllen den russischen Staatshaushalt, von dem mittlerweile ein Drittel ins Militär und damit direkt in den Angriffskrieg fließt. Man muss es so klar aussprechen: Wer russisches Flüssiggas importiert und handelt, unterstützt Putins verbrecherisches Vorgehen in der Ukraine. Wir müssen uns in Europa klarmachen: Der russische Präsident hat seine Kriegsziele nicht aufgegeben. Er setzt darauf, den längeren Atem zu behalten. Wenn wir Frieden in Europa wollen, ist es entscheidend, Putin den Geldhahn zuzudrehen.
Es ist höchste Zeit, dass die Europäische Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen ergreifen, um das gemeinsame Ziel umzusetzen, alle Importe russischer fossiler Brennstoffe einzustellen. Die jüngste Entschließung des Europäischen Parlaments (EP) für einen Import-Stopp ist, wenn auch nicht rechtlich bindend, ein wichtiges Zeichen. Das EP hat klargemacht: Die Ankündigung von Energiekommissarin Kadri Simson aus dem September, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, russisches LNG individuell zu verbieten, reicht nicht aus. Wir müssen russisches LNG gemeinsam sanktionieren, kein Tropfen russisches Flüssiggas darf mehr in europäischen Häfen ent- oder umgeladen werden. Wenn es um unsere kollektive Sicherheit geht, müssen wir in Europa diese Maßnahmen auch gemeinsam ergreifen. Die jüngsten US-Sanktionen gegen die russische LNG-Infrastruktur geben die Richtung vor.
Wir können auch ohne
Wir sind in Europa nicht auf russisches LNG angewiesen. Die Gasnachfrage hat in diesem Jahr ein Rekordtief erreicht und unsere Gasspeicher sind mit einem Füllstand von 99 Prozent nahezu voll ausgelastet. Wir sind in der Lage, unsere Energiequellen zu diversifizieren, und können unsere Abhängigkeit von Erdgas weiter verringern, indem wir den Einsatz von Wärmepumpen beschleunigen und energieeffiziente Modernisierungen durchführen. Anstatt weiter Putins Kriegskassen zu füllen, müssen die Erneuerbaren in Europa noch schneller ausgebaut werden.
Das alles dient nicht nur unserer eigenen Sicherheit. Es schützt auch das Klima. Denn wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten und unsere natürlichen Lebensgrundlagen retten wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass das russische Gas im Boden bleibt.
Quelle: ntv.de