Politik

Großer Moment fürs Klima Europa wird konkret

Die EU-Kommission hat mit ihren Vorschlägen zum Klimaschutz den Startschuss zum Tauziehen um die Verwirklichung der ehrgeizigen Umweltziele der Europäischen Union gegeben. Die Kommission legte in Brüssel ein umfangreiches Gesetzespaket vor, mit dem der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid bis 2020 um zwanzig Prozent gegenüber 1990 sinken soll. Diese Vorgabe hatten die 27 EU-Länder im März 2007 beschlossen. Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso betonte, die EU müsse eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen.

Der Bundesverband der deutschen Industrie warnte vor einer Erosion der Industrie in Deutschland. Die Bundesregierung fand keine gemeinsame Linie zu den EU-Plänen: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte den Entwurf als ehrgeizig, aber machbar. Deutschland habe eine besondere Verpflichtung für die EU-Klimaschutzziele, weil diese unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr beschlossen wurden. "Wir unterstützen die Ziele und Maßnahmen der Kommission ausdrücklich", sagte er.

Zwar habe auch Deutschland noch an einigen Stellen Beratungsbedarf, sagte Gabriel. Allerdings sei das Paket insgesamt richtig. Die Kommission habe die deutschen Wünsche zur Förderung erneuerbarer Energien berücksichtigt, sagte Gabriel. Es bleibe möglich, die Einspeisung von Ökostrom nach dem deutschen System zu fördern. Gabriel akzeptierte ausdrücklich, dass Deutschland einen Teil der eigentlich Griechenland, Spanien und Portugal zugedachten Reduzierung des Treibhausgasausstoßes übernimmt.

Der größte Teil der EU-Auflagen werde bereits durch die Klimaschutzbeschlüsse der Regierung erreicht, sagte Gabriel. Allerdings müsse Deutschland noch nachlegen, falls es zum geplanten internationalen Klimaschutzabkommen kommen sollte. Deshalb müsse nach dem Motto "Kleinvieh macht auch Mist" das Tempolimit - nach den SPD- Plänen auf 130 Stundenkilometer - verstärkt in die Überlegungen einbezogen werden. Weitere Möglichkeiten zur Erreichung der Klimaschutzziele lägen im Bereich der Gebäudesanierung oder im weiteren Ausbau von Öko-Energien sowie bei Energieeinsparungen. Für den Fall will die EU den CO2-Ausstoß um bis zu 30 Prozent unter den Stand von 1990 senken. Gabriel sagte, für Deutschland würde dies eine Senkung um 42 Prozent bedeuten. Mit den derzeitigen Plänen würden 36 Prozent erreicht. Demnach bleibe noch eine Lücke von 60 bis 70 Millionen Tonnen. Er werde in den kommenden Monaten an Vorschlägen dazu arbeiten.

Berücksichtigung der Wirtschaft

Gabriel begrüßte die umstrittenen Pläne der Kommission, dass die Energiewirtschaft und Teile der Industrie von 2013 an für den Ausstoß von Treibhausgasen zahlen sollen, statt ihre Zertifikate für den Emissionshandel geschenkt zu bekommen. Für Deutschland sei wichtig, dass es eine kostenlose Zuteilung für solche stromintensive Unternehmen geben soll, die über modernste Anlagen verfügen. Zudem gebe es Vorkehrungen gegen Wettbewerbsbeschränklungen.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) kritisierte Belastungen für Bürger und Wirtschaft. Diese werden sich nach Schätzungen der Kommission auf 60 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Das wären drei Euro pro Person in der Woche, rechnete Barroso vor. Dem stehe ein massiver Einbruch des Wachstums gegenüber, wenn die Welt beim Klimaschutz die Hände in den Schoß lege.

Wissenschaftler warnen, dass die Erderwärmung zu einem höheren Meeresspiegel, Überflutungen und Dürren führen wird. Die Umweltverbände Greenpeace und Freunde der Erde forderten deshalb noch stärkere Einschnitte und wandten sich gegen die geplante stärkere Nutzung von Biosprit aus Getreide, weil diese neue Umweltprobleme schaffen könne.

Zu den EU-Vorschlägen gehört eine Reform des 2005 eingeführten Handels mit CO2-Verschmutzungsrechten, an dem künftig alle Energie- und Industrieunternehmen teilnehmen sollen. In Sektoren, die dabei nicht berücksichtigt werden können - wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft -, müssen die CO2-Emissionen bis 2020 um zehn Prozent sinken. Auf Deutschland entfallen dafür 14 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energie aus Quellen wie Sonne, Wasser oder Wind soll gleichzeitig auf 20 Prozent, in Deutschland auf 18 Prozent steigen.

Gabriel sagte, alle diese Auflagen seien mit den bereits getroffenen Klimabeschlüssen der Regierung erreichbar. Die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament müssen nun die Entwürfe beraten und verabschieden. Mehrere Regierungen hatten schon im Vorfeld versucht, die Vorgaben abzumildern.

Offene Punkte beim Emissionshandel

Für den meisten Konfliktstoff sorgte die Reform des Emissionshandels. Die Firmen dürfen nur so viel CO2 an die Umwelt abgeben, wie ihnen über eine Menge an Zertifikaten erlaubt ist. Die Zertifikate sollen bis 2020 um 21 Prozent im Vergleich zu 2005 verknappt werden. Die Verschmutzungsrechte wurden bisher größtenteils kostenlos ausgegeben. Doch die Energiekonzerne sollen nun ab 2013, wenn die dritte Handelsphase beginnt, die CO2-Zertifikate komplett ersteigern. Während E.ON den Plan begrüßte, lehnte RWE ihn ab. Die Chemie-Industrie beklagte steigende Energiepreise.

Der Chemieverband VCI und die Wirtschaftsvereinigung Stahl kritisieren außerdem, dass die Kommission erst 2010 entscheiden will, ob energieintensive Industrien wie diese Branchen 2013 für ihre Verschmutzungsrechte bezahlen müssen. Die Kommission will dies davon abhängig machen, wie stark die Unternehmen Konkurrenz im Ausland ausgesetzt ist, die keine entsprechenden Klimaauflagen erfüllen muss. Entscheidend dafür sind die Aussichten auf ein internationales Klimaabkommen, mit dem verhindert würde, dass die Produktion in Klimasünder-Länder verlagert würde und die Umwelt unter dem Strich noch mehr belastet würde.

"Wir wollen eine striktere Reduktion von Treibhausgas, aber wir wollen auch die Industrie in Europa halten", sagte Barroso. Die EU behält sich auch vor, Importeure zum Emissionshandel zu verpflichten. Ursprünglich sollten alle Branchen zumindest nach und nach für die Umweltbelastung zur Kasse gebeten werden.

EU-Industriekommissar Günter Verheugen hatte sich dafür eingesetzt, energieintensive Branchen wie Stahl oder Chemie zu verschonen. Er sei zwar dafür, der Welt ein Beispiel beim Klimaschutz zu geben, sagte er der ARD. "Aber ich bin dagegen, dass wir wirtschaftlichen Selbstmord begehen."

Kritik vom IPCC

Als nicht ausreichend hat der Vorsitzende des Weltklimarates und Nobelpreisträger Rajendra Pachauri die Pläne der EU-Kommission zum Klimaschutz bezeichnet. "Sie entsprechen nicht den Erwartungen", sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos. "Aus meiner Sicht handelt es sich bei dem, was die EU tut, um eine Aufgabe, die noch nicht fertiggestellt ist." Was jetzt noch akzeptiert werden könne, werde in drei bis vier Jahren schon nicht mehr ausreichen, sagte Pachauri. "Ich kann nicht sehen, warum diese Ziele über einen Zeitraum nicht stärker und energischer (formuliert) werden."

Pachauri appellierte an die Spitzenvertreter aus Wirtschaft und Politik in Davos, von denen sich rund 2.500 bis Samstag versammelt haben, in Forschung und Entwicklung für neue, klimaschonende Technologien zu investieren. Dieses Thema werde die Gesellschaft noch lange beschäftigen. "Wenn sich die Welt auf eine Zukunft mit niedrigen CO2-Werten zubewegt, werden die Unternehmen, die vor den anderen vorangehen... am meisten profitieren." Dabei müsse die Industrie nicht nur auf die Ursachen der Klimakrise einwirken, sondern auch ihre Auswirkungen mildern.

Quelle: ntv.de

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