Politik

Wissenschaftler prüfen Steuerpläne der Parteien Experten raten zur Großen Koalition

Bald ein Team? Wohl kaum. Peer Steinbrück und Angela Merkel.

Bald ein Team? Wohl kaum. Peer Steinbrück und Angela Merkel.

(Foto: picture alliance / dpa)

Grüne wettern gegen die "Klientelpolitik" der FDP. Liberale echauffieren sich über die "Wohlstandsvernichtungspläne" der "Öko-Partei". Auch Union und SPD haben nur Spott füreinander übrig. Wenn es um die Steuerpolitik geht, trennen Opposition und Regierung Welten. Dabei würde sich hier die Kooperation für alle lohnen.

Es gibt kein Thema, das Liberale derart in Rage bringt, wie die Steuerpläne der Opposition. Der Spitzenkandidat der FDP, Rainer Brüderle, nannte den Grünen-Chef Jürgen Trittin deswegen schon den "Graf Dracula" der deutschen Politik - einen finanzpolitischen Blutsauger also. Und seinen Widerpart von den Sozialdemokraten, Peer Steinbrück, bezeichnete er als "sozialistischen Zauberlehrling", der die Kontrolle über steigende Grundfreibeträge und neue Grenzsteuersätze verloren habe. Auch die Union kann mit den "Steuererhöhungsorgien" der Oppositionsparteien nichts anfangen. Eine Zusammenarbeit? Undenkbar! Oder?

Der finanzpolitische "Graf Dracula" Jürgen Trittin und Mister "Mehr Netto vom Brutto", Guido Westerwelle. Kann das gut gehen?

Der finanzpolitische "Graf Dracula" Jürgen Trittin und Mister "Mehr Netto vom Brutto", Guido Westerwelle. Kann das gut gehen?

(Foto: REUTERS)

Würden Regierungs-und Oppositionsparteien in der Steuerpolitik ihre Flügelkämpfe begraben, wäre das ein Gewinn - für alle. Ein schwarz-grünes oder rot-gelbes Steuerkonzept zum Beispiel bietet sich regelrecht an. Zu diesem Schluss kommen zumindest die Finanzexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die DIW-Mitarbeiter Stefan Bach, Peter Haan und Richard Ochmann haben die steuerpolitischen Vorhaben aller Bundestagsparteien ausgewertet und jetzt in einem Bericht veröffentlicht.

Nur die einkommensstärksten Haushalte werden belastet

Der erste bedeutsame Schluss der Wissenschaftler: Die Steuerpläne von SPD und Grünen sind gar nicht so brutal, wie es Union und FDP darstellen.

Zwar wollen die Grünen den Spitzensteuersatz von einem Einkommen jenseits der 60.000-Euro-Marke an auf 45 Prozent erhöhen und von 80.000 Euro an nochmals auf 49 Prozent steigern. Doch damit würden sie "in nennenswertem Umfang" nur die einkommensstärksten fünf Prozent der Haushalte belasten.

Ähnlich sieht es bei den Plänen der Sozialdemokraten aus. Auch die wollen den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent heben, allerdings erst von einem versteuernden Einkommen von 100.000 Euro an. Und auch bei den SPD-Plänen würde die Erhöhung dem Bericht zufolge nur die einkommensstärksten fünf Prozent der Haushalte wirklich mehr belasten.

Pläne wie das Auslaufen des Ehegattensplittings oder eine Renaissance der Vermögenssteuer klammerten die DIW-Experten bei ihren Berechnungen aus.

Mehreinnahmen in Milliardenhöhe

Die Grünen würden durch ihren Umverteilungskurs 7,5 Milliarden mehr in die Kassen des Staates spülen und könnten diese Summe wie angekündigt in den Ausbau der Infrastruktur stecken. Nach einem Jahr mit den Steuerplänen der SPD stünde ein Plus von 6,5 Milliarden Euro.

Allein die Linke disqualifiziert sich. Die geplante Mehrbelastung der Besserverdienenden reicht einfach nicht aus, um die von ihr geplante Entlastung der Geringverdiener zu finanzieren. Die Steuereinnahmen würden um 16 Milliarden Euro einbrechen.

Doch auch die Pläne von Grünen und SPD bergen ein Problem: Die Experten des DIW gehen davon aus, dass Besserverdienende versuchen, sich vor den Mehrbelastungen zu drücken. "Anpassungs- und Ausweichreaktionen können das Mehraufkommen einer Erhöhung der Spitzensteuersätze spürbar mindern", heißt es in dem Bericht. Einem Szenario mit moderaten Steuerflucht-Tendenzen zufolge dürften von dem Plus der Sozialdemokraten nur 60 Prozent (2,8 Milliarden) übrig bleiben, vom Überschuss der Grünen nur knapp die Hälfte (3,7 Milliarden).

Union und FDP wollen die Steuern anders als die Opposition auf keinen Fall erhöhen. Im Gegenteil: Sie setzten auf einen Abbau der kalten Progression - ein Phänomen, das bei leichten Lohnerhöhungen durch die Inflation und den Progressionsverlauf der Steuerkurve zu sinkenden Realeinkommen führt. Und auch hier gilt: Was die politischen Gegner behaupten, ist in der Realität nicht annährend so dramatisch. Von einer herzlosen Klientelpolitik zumindest kann keine Rede sein.

Laut DIW würden von den Regierungsplänen alle Steuerpflichtigen profitieren, die mit mittlerem und hohem Einkommen etwas mehr als die mit geringem oder sehr hohem Einkommen. Dieses ziemlich pauschale Steuergeschenk kostet allerdings. Am Ende stünde ein Minus von 3,7 Milliarden Euro. Von der oft beschworenen Haushaltskonsolidierung von Schwarz-Gelb kann vor diesem Hintergrund also nur bedingt die Rede sein.

Plausibel aber unwahrscheinlich

Weder die Konzepte der Opposition noch die der Regierungsparteien halten letztlich also restlos, was sie versprechen. Die Forscher des DIW kommen da zu einem überraschenden Schluss: "Es bietet sich an, die Steuerpläne der Regierungs- und Oppositionsparteien zu verbinden." Man könnte das eine tun, ohne das andere zu lassen: "Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen durch eine deutlich verringerte Progression im Eingangsbereich des Steuertarifs, kombiniert mit einer Erhöhung der Spitzensteuersätze in Richtung 49 Prozent und einer höheren Besteuerung von Kapitaleinkünften." Dem DIW zufolge würde so eine Steuerreform Steuerpflichtige mit geringem und mittlerem Einkommen entlasten und trotzdem nichts kosten. Allein die einkommensreichsten fünf Prozent müssten mehr zahlen.

Doch so plausibel das klingen mag, so unwahrscheinlich ist es: Wenn es um das Thema Steuern geht, verläuft zwischen Regierungsparteien und Opposition ein bislang unüberbrückbarer Riss. Denn während sich die Parteien inhaltlich in fast allen Politikfeldern deutlich angenähert haben, birgt die Steuerpolitik eine der wenigen verbliebenen Arenen, in denen es sich noch mit Inbrunst - und vor allem wahlkampfwirksam - streiten lässt. "Ungerechte und unseriöse Steuersenkungsvorschläge auf der einen, ein faireres und aufgabengerechtes Steuersystem auf der anderen Seite - das sind grundsätzlich unterschiedliche Stoßrichtungen", sagte der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick, n-tv.de kurz nach der Veröffentlichung des DIW-Berichts. "Mir ist schleierhaft, wie ein gemeinsames Konzept aussehen sollte."

Quelle: ntv.de

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