"Union im Stellungskrieg" FDP attackiert CDU und CSU
03.02.2010, 07:26 Uhr
Verbesserungswürdig erscheint auch vielen Politikern aus den eigenen Reihen das Erscheinungsbild der Regierungskoalition.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Bilanz des Regierungsstarts fällt auch in den eigenen Reihen dürftig aus - führende FDP-Politiker kritisieren das Koalitionsklima und warnen CDU und CSU, "den Bogen nicht zu überspannen". Einhellig ist auch die Kritik aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Sozialverbänden.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung steht 100 Tage nach ihrem Start massiv in der Kritik – auch aus ihren eigenen Reihen. Mehrere führende Landespolitiker aus Union und FDP kritisierten vor allem das Erscheinungsbild der Koalition, Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki warf der Union einen "Stellungskrieg" vor. Schlechte Noten erteilen auch Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und Sozialverbände der neuen Bundesregierung.
Kubicki rechnete in einem Gastbeitrag für das "Hamburger Abendblatt" mit der Politik der ersten 100 Tage ab. Die Bilanz sei negativ, schrieb der FDP-Politiker. Die Außenwirkung der Koalition sei "stark verbesserungswürdig". Vereinbarte Projekte wie die Neuordnung des Gesundheitssystems würden "zerredet". "Es wird allmählich anstrengend, insbesondere die Partner aus Bayern immer wieder an bestehende Vereinbarungen und gemeinsame Prinzipien zu erinnern", schrieb der liberale Fraktionschef. Teilen der Union fehle offenbar bislang das notwendige Vertrauen in diese Koalition.
In der "Bild"-Zeitung warnte Kubicki die Union zudem vor weiteren Angriffen auf die FDP. "Die Union im Bund hat sich für einen Stellungskrieg innerhalb der Koalition gerüstet." Die "Freunde von CDU und CSU dürfen den Bogen nicht überspannen. Die FDP wird die Attacken nicht länger einfach so hinnehmen." Um wieder in die Offensive zu kommen, werde sich die FDP in die Streitdebatten künftig "deutlich dynamischer und energischer einschalten".
"CSU in den Wechseljahren"
Der hessische FDP-Landeschef und Justizminister Jörg-Uwe Hahn forderte CDU und CSU in derselben Zeitung auf, es müsse "Schluss sein mit den Störfeuern". Vor allem die CSU solle "endlich konstruktiv" mitarbeiten. "Die Partei kommt mir vor, als wäre sie in den Wechseljahren. Statt die FDP zu attackieren, sollte die Union lieber zufrieden sein, wie zahm und freundlich die Liberalen etwa mit Frau Aigner umgehen", mahnte Hahn. FDP-Generalsekretär Christian Lindner warf der CSU vor, sie nutze die Probleme des Gesundheitssystems für Machtspiele.
Niedersachsens CDU-Chef David McAllister nannte die Berliner Politik "gut". Allerdings sei die Kommunikation "optimierbar". "Dauerhafte öffentliche Streitereien sind schädlich." Hamburgs CDU-Chef Michael Freytag, der mit den Grünen regiert, lobte die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik, die in der Krise "Arbeitsplätze nachhaltig gesichert" habe. Zugleich mahnte Freytag die Koalition im "Hamburger Abendblatt", den Haushalt "dauerhaft zu konsolidieren". Die Länder würden "darauf achten, dass sich vom Bund beschlossene Gesetze nicht überproportional zulasten der Länderhaushalte auswirken".
Kritik an Wirtschaftspolitik
Scharfe Kritik an der schwarz-gelben Koalition kommt von den Vertretern der Arbeitnehmer. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte der "Saarbrücker Zeitung", die FDP suche ihr Heil bisher nur in Klientelpolitik und verwechsele Ideologie mit Politik. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Peter Heesen, meinte: "Es kann eigentlich nur besser werden. Hauptsache, der Steuersenkungswahn der ersten Monate ist vorbei."
Auch nach Ansicht des Vorsitzenden des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Wolfgang Franz, war der Start von Schwarz-Gelb aus wirtschaftspolitischer Sicht unbefriedigend. "Zum Teil ist dies bereits im Koalitionsvertrag angelegt. Dort werden Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, ohne eine überzeugende Finanzierung darzulegen", so Franz. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher erklärte: "Die ersten 100 Tage waren sehr holprig."
Verhalten positiv äußerte sich dagegen der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. "Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat die gröbsten Schnitzer bei der Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform ausgebessert", sagte er. Klar sei aber auch, dass die Unternehmen sich weiterhin mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt wünschten. Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Handwerks, Holger Schwannecke, erwartet jetzt eine Einigung auf geeignete Schritte für Strukturreformen.
"Eklatante Fehlentscheidungen"
Massiv wird die Bundesregierung auch von sozialdemokratischen Landeschefs kritisiert. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering hielt Union und FDP im "Hamburger Abendblatt" vor, "das Prinzip Solidarität aus der Politik entfernen zu wollen". Am deutlichsten zeige sich die Gefahr der Entsolidarisierung in der Gesundheitspolitik. "Die Kopfpauschale, die FDP-Minister Rösler auf Biegen und Brechen durchzusetzen entschlossen ist, schwächt die Schwachen und stärkt die Starken", schrieb Sellering. "So entsteht ein Gesundheitswesen, das nicht solidarisch ist - und auch nicht solide."
Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen warf der Bundesregierung "eklatante Fehlentscheidungen" vor. Die beschlossenen Steuersenkungen seien "ein Skandal", schrieb Böhrnsen. "Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat den Anti-Schulden-Pakt aufgekündigt." Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse werde ad absurdum geführt. Die Hauptlast hätten Länder und Kommunen zu tragen.
Quelle: ntv.de, tis/AFP/dpa