Rösler und Lindner als Totengräber FDP hat "generell verschissen"
05.09.2011, 12:35 Uhr
Die FDP - eine Partei gähnender Leere.
(Foto: dapd)
Die Spatzen pfeifen es längst von allen Dächern: Die FDP versinkt in Bedeutungslosigkeit. Der Tiefenrausch der Liberalen bei der Landtagswahl im Nordosten verdeutlicht das nur noch. Vorstandsmitglied Kubicki sieht die Marke FDP als Auslaufmodell. SPD-Fraktionschef Steinmeier hält Westerwelle als seinen Nachfolger auf dem Außenministerposten für "einen Schaden".
FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki sieht nach dem Desaster der Liberalen bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern keine Perspektiven für die Liberalen. Die FDP habe "kein Westerwelle-Problem, sondern ein Marken-Problem", sagte der Fraktionschef in Schleswig-Holstein der "Leipziger Volkszeitung". Denn als Marke habe die FDP momentan "generell verschissen", das sei die Meinung der Bürger. Die fehlende Perspektive müsse Thema der FDP-Gremiensitzungen sein, forderte Kubicki. In Schleswig-Holstein wird im Mai kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt.
Wolfgang Kubicki, hier auf dem FDP-Bundesparteitag im Mai, ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Scharf kritisierte Kubicki die jüngste Personaldebatte in der FDP. Wer 14 Tage vor einer Landtagswahl eine solche Diskussion beginne "ohne Sinn und Verstand und damit dokumentiert, dass es vielen in der Partei nur um sich selbst geht und nicht um die gesellschaftliche Mitte, der muss sich dann nicht wundern über eine solche Blamage, bei der die FDP schwächer ist als Linke und Rechtsradikale". Auf die Frage, für welche Position denn der neue FDP-Chef Philipp Rösler stehe, sagte Kubicki: "Auf diese Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben."
"Steh auf, wenn du ein Liberaler bist"
FDP-Generalsekretär Christian Lindner gibt sich hingegen kämpferisch. "Gerade dann gilt: Steh auf, wenn Du ein Liberaler bist", sagte Lindner vor seinem Auftritt beim Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg. Den Streit der Parteispitze um und mit Außenminister Guido Westerwelle erklärte Lindner zum wiederholten Male für beendet: "Jetzt sind die Personaldebatten zu Ende, jetzt geht es an die Sacharbeit."
An der FDP-Basis ist die Stimmung jedoch denkbar schlecht: "Ihr Königsmörder seid die Totengräber der FDP", protestierte ein Gemeinderat der Liberalen auf einem Plakat gegen FDP-Chef Philipp Rösler und Lindner.
Bundesvize Holger Zastrow bezeichnete das desaströse Wahlergebnis als Weckruf. "Die FDP muss endlich aufwachen: Wir müssen endlich wieder den politischen Gegner angreifen und mit der Selbstbeschäftigung aufhören", sagte der sächsische Landeschef.
Bei der Wahl im Nordosten am Sonntag war die FDP zum vierten Mal in diesem Jahr aus einem Landesparlament geflogen. Der FDP-Parlamentsgeschäftsführer im Bundestag, Christian Ahrendt, war noch am Wahlabend als Landeschef der Liberalen zurückgetreten. Der FDP-Landesvorstand trifft sich in Rostock, um über die Nachfolge zu beraten. Ahrendts Rückzug kam für seine Parteifreunde überraschend, wie FDP-Fraktionschef Michael Roolf sagte. "Eigentlich sagt man so etwas erst einmal seiner Partei, ehe man an die Öffentlichkeit geht."
Westerwelle ist "ein Schaden"
Ex-FDP-Chef Guido Westerwelle sei die Parteipolitik immer wichtiger gewesen als die Außenpolitik, kritisierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seinen Nachfolger auf dem Außenministerposten. Steinmeier sagte der Hannoverschen "Neuen Presse", dies bleibe im Ausland nicht unbemerkt.
"Es ist kaum zu ertragen, wie wir als größtes Land in Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik Monat für Monat dramatisch an Einfluss und Respekt verlieren. Das ist von Schaden für unser Land", mahnte der SPD-Politiker, der bis 2009 Außenminister war.
"Deutschland ist ergrünt"
In Berlin sind die Führungsgremien von CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken zusammengekommen, um über das Vorgehen nach der Wahl im Nordosten zu beraten. Für sie ist nach der Wahl vor der Wahl: In zwei Wochen wird in der Hauptstadt bereits das nächste Landesparlament gewählt.
Die Grünen werten ihr Rekordergebnis in Mecklenburg-Vorpommern als Etappe zur Regierungsübernahme mit der SPD im Bund. Im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 sagte Parteichefin Claudia Roth vor einer Sitzung des Parteivorstands: "Ich sehe da große Chancen für Rot-Grün oder Grün-Rot." Die Grünen, die noch nie im Schweriner Landtag vertreten waren, sprangen auf 8,4 Prozent (+5 Punkte) und sitzen nun in allen Landesparlamenten. "Deutschland ist ergrünt", sagte Roth.
"Es wäre ein bisschen überheblich gewesen, eine Regierungsbeteiligung anzupeilen", sagte die Parteichefin und kündigte an: "Wir wollen Farbe reinbringen, wir wollen Bewegung reinbringen, wir wollen neue Ideen reinbringen." Angesichts des Wiedereinzugs der NPD mahnte Roth, es dürfe nicht zur Normalität werden, dass die Rechtsextremen im Landtag seien. Roth warf Familienministerin Kristina Schröder (CDU) schwere Versäumnisse vor, da sie Mittel zur Bekämpfung der Rechtsextremen gekürzt habe.
CDU will weiter mitregieren
In Schwerin will der Wahlsieger Erwin Sellering der SPD-Spitze Sondierungsgespräche mit CDU und Linken über die Bildung einer Koalition vorschlagen. Der Ministerpräsident, der bislang mit der CDU regierte, kann sich seinen Koalitionspartner aussuchen: Infrage kommt neben der zweitplatzierten Union auch die Linke. Sellering hielt sich am Wahlabend alle Optionen offen. Wichtige Kriterien seien Mindestlöhne und ein Nein zu neuen Schulden.
Spitzenvertreter der Bundes-CDU sprechen sich trotz Enttäuschung über das Abschneiden ihrer Partei für eine Fortsetzung der Großen Koalition in Schwerin aus. "Die Bürger möchten, dass die Große Koalition fortgesetzt wird", sagte CDU-Vize Volker Bouffier in Berlin. Ähnlich äußerten sich auch Bundestagspräsident Norbert Lammert und die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht.
Bouffier räumte ein, das Ergebnis der CDU könne "nicht befriedigen" könne. Wenn die Wahlbeteiligung bei nur rund 50 Prozent liege, bedeute das auch, dass viele Stammwähler der CDU ihrer Partei den Rücken gekehrt hätten. Als Antwort auf das schlechte Wahlergebnis rief Bouffier seine Partei zur Geschlossenheit auf. "Entscheidend ist, dass die Union klar hinter der Kanzlerin steht", sagte Bouffier vor der CDU-Präsidiumssitzung mit Hinweis auf die anstehenden Abstimmungen über den Euro im Bundestag. Es sei sehr wichtig, "dass wir bei diesen europapolitischen Entscheidungen eine klare Mehrheit haben".
Linke wittert Morgenluft
Nach dem Abschneiden als drittstärkste Kraft bei der Landtagswahl hofft die Linke auf eine Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern. Er schätze die Chancen dafür auf 50 zu 50 ein, sagte Linke-Spitzenkandidat Helmut Holter in Berlin. Die SPD habe sich zwar vor der Wahl nicht festgelegt, nun aber Gespräche angekündigt. Holter räumte ein, dass die Linke ihr Wahlziel, über 20 Prozent zu kommen, nicht erreicht habe. Er gab der Bundespartei eine Mitverantwortung. "Die ganzen Debatten, die 2011 meine Partei begleitet haben, waren nicht hilfreich im Wahlkampf."
Holter spielte damit unter anderem auf ein umstrittenes Glückwunschschreiben des Parteivorstandes an den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro und die Diskussion um die Haltung zum Mauerbau an.
Nach dem offiziellen vorläufigen Ergebnis legte Sellerings SPD auf 35,7 Prozent zu (+5,5 Punkte). Die CDU landete bei nur 23,1 Prozent (-5,7) - und das, obwohl die Bundesvorsitzende Merkel sich für ihren Landesverband im Wahlkampf massiv eingesetzt hatte. Auch die Linke konnte mit 18,4 ihr schwaches Ergebnis von 2006 nur wenig verbessern (+1,6). Die noch nie im Schweriner Landtag vertretenen Grünen sprangen auf 8,4 Prozent (+5). Die FDP stürzte auf 2,7 Prozent ab (-6,9). Die rechtsextreme NPD kam auf 6,0 Prozent (-1,3).
Die Wahlbeteiligung war mit 52 Prozent so niedrig wie nie zuvor. Das Endergebnis der Wahl wird erst in zwei Wochen vorliegen, weil in einem Wahlkreis in Rügen wegen des Todesfalls eines Kandidaten dort eine Nachwahl stattfinden wird. Auf das Landesergebnis hat die Abstimmung vermutlich keinen wesentlichen Einfluss.
Quelle: ntv.de, dpa