Politik

"Tiefgehende Krise" Flucht aus der Kirche

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(Foto: AP)

Die katholische Kirche wird von einer Austrittswelle erfasst. Besonders betroffen ist demnach Süddeutschland. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Glück, sieht die Kirche derweil in ihrer Funktion als moralische Institution gefährdet. Missbrauchsopfer müssten im Mittelpunkt stehen, nicht ein "falsch verstandener Schutz der Institution".

Mit einer Austrittswelle haben die deutschen Katholiken auf die anhaltenden Missbrauchsskandale reagiert. Recherchen der "Frankfurter Rundschau" zeigen, dass die Zahl der Kirchenaustritte im März und April vielerorts stark gestiegen ist, vor allem in den katholisch geprägten Regionen im Süden Deutschlands. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück, sieht derweil die Kirche in einer "tiefgehenden Krise". Glück beklagte diese Entwicklung beim Festakt zum 40-jährigen Bestehen des Augsburger Diözesanrates.

Viele Menschen seien in großer Sorge, die moralische Institution der Kirche könne so schwer geschädigt werden, dass sie diese Funktion verlieren könnte. Die Opfer müssten im Mittelpunkt stehen, nicht ein "falsch verstandener Schutz der Institution", sagte Glück. Von der Deutschen Bischofskonferenz, die an diesem Montag zusammenkommt, forderte er ein deutliches Signal, wie die verlorene Glaubwürdigkeit der Kirche wieder zurückgewonnen werden kann. Aus der entstandenen Verunsicherung müsse eine neue Offenheit für einen Neuanfang entstehen. Niemand in der Kirche dürfe einen Monopolanspruch erheben und zugleich andere ausgrenzen.

Mehr Zeit für zivilrechtliche Ansprüche

Nach Recherchen der "Frankfurter Rundschau" nahmen im März in Bayern die Austritte im Bistum Bamberg von sonst durchschnittlich 200 bis 300 pro Monat auf etwa 1400 Gläubige zu. Ebenfalls im Vergleich zum Vorjahresmonat stiegen die Austritte in Würzburg von 407 auf 1233. Regensburg hatte demnach in den ersten Monaten dieses Jahres jeweils etwa 40 Austritte beider Konfessionen zu verzeichnen. Im März, als sich Missbrauchsopfer der Regensburger Domspatzen meldeten, haben 193 Katholiken ihre Kirche offiziell verlassen. Im Bistum Augsburg gab es seit Jahresbeginn 4300 Austritte. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart stiegen die Austritte von durchschnittlich 1400 monatlich im März auf 2676, in Freiburg von 1058 auf 2711.

Alois Glück fordert klare Signale von der Kirchenführung.

Alois Glück fordert klare Signale von der Kirchenführung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will Missbrauchsopfern künftig mehr Zeit für zivilrechtliche Ansprüche gegen ihre Peiniger gewähren. "Ich bin offen für eine deutliche Verlängerung der Fristen", sagte die FDP-Ministerin der "Süddeutschen Zeitung". Die Frist läuft derzeit drei Jahre nach dem 21. Geburtstag der Opfer ab. Die Vorsitzende der Sozialministerkonferenz, Manuela Schwesig, sagte der "Mittelbayerischen Zeitung", auch wenn die Frage von Entschädigungen für die Opfer erst am Ende der Arbeit des Gremiums beantwortet werde, könne sich die Katholische Kirche diesem Anliegen nicht verschließen. Die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende verlangte, es müsse auch heute noch möglich sein, "solche verabscheuungswürdigen Verbrechen" an Kindern und Jugendlichen zu ahnden, "und zwar strafrechtlich und zivilrechtlich".

Nach dem Rücktrittsgesuch des Augsburger Bischofs Walter Mixa sind derweil in dem Bistum weitere mutmaßliche Fälle von sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt durch Kirchenvertreter bekanntgeworden. Der bischöfliche Beauftragte hatte bei der Vollversammlung erklärt, bis Mitte April hätten sich rund 50 Opfer gemeldet. Die meisten davon sollen zwischen 1950 und 2003 missbraucht oder misshandelt worden sein, einige Fälle reichten bis 1939 zurück. In 30 Fällen handle es sich um sexuellen Missbrauch. Unter den insgesamt 25 Beschuldigten seien 12 Ordensleute. Einige davon sollen schon gestorben sein. In zwei Fällen habe die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet.

"Es war ein Anfang, nicht mehr"

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (l), Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (m) und Bundesbildungsministerin Annette Schavan leiten den Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (l), Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (m) und Bundesbildungsministerin Annette Schavan leiten den Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch.

(Foto: dpa)

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, zeigte sich enttäuscht über das erste Treffen des Runden Tisches gegen sexuellen Kindesmissbrauch am Freitag. "Es war ein Anfang, nicht mehr", sagte Hilgers den "Ruhr Nachrichten". Er kritisierte, dass ein Zwischenbericht erst bis Ende des Jahres vorliegen soll. Hilgers kritisierte besonders den Zeitraum, bis zu dem erste Ergebnisse vorliegen sollen: "Bis Ende des Jahres soll ein Zwischenbericht vorliegen, wurde angekündigt. Mir dauert das viel zu lange." Es bestehe die Gefahr, dass bis dahin das Thema wieder "von der Tagesordnung" verschwinde. "Bis zur Sommerpause muss ein Abschlussbericht vorliegen."

Hilgers beklagte zudem die schlechte finanzielle Ausstattung der Beratungseinrichtungen. "Fast überall drohen Kürzungen. Die Beratung muss finanziell besser abgesichert werden", sagte er dem Blatt. Darüber hinaus sprach er sich für eine explizite Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz und für Entschädigungsleistungen für die Opfer aus. Der Staat, die Kirche und Schulträger seien gleichermaßen in der Verantwortung: "Wir brauchen hier eine freiwillige Selbstverpflichtung" zur finanziellen Hilfe für die Opfer.

Mehr als 1500 Gespräche bei Missbrauchs-Hotline

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, nannte den Runden Tisch eine Show. Der gesellschaftlichen Debatte solle die Spitze genommen werden, aber letztlich hätten sich die Arbeitskreise zunächst alle vertagt, sagte Künast den "Stuttgarter Nachrichten". Bei der konstituierenden Sitzung waren Unterarbeitsgruppen eingesetzt worden, die im Mai mit ihrer Arbeit beginnen sollen.

Die seit einem Monat geschaltete Hotline der katholischen Kirche für Missbrauchsopfer ist für mehr als 1500 Gespräche genutzt worden. Hinzu kamen gut 130 Online-Beratungen, wie der Leiter der Hotline, Andreas Zimmer, mitteilte.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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