"Brandstifter" Westerwelle Gabriel wirft Merkel Feigheit vor
16.02.2010, 17:13 UhrSPD-Chef Gabriel wirft der Kanzlerin im Streit um Hartz IV vor, sich zu verstecken. "Frau Merkel ist die Biederfrau, die den Brandstifter eingeladen hat und Westerwelle stapelt schon die Benzinfässer unter dem Dach." Der FDP-Chef lässt sich von der Kritik nicht beeindrucken. "Millionen Bürger" seien auf seiner Seite, sagt Westerwelle.

SPD-Chef Gabriel fordert von Merkel und Westerwelle konkrete Vorschläge im Streit um Hartz IV.
(Foto: DAPD)
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, in der Debatte um Hartz IV und die Äußerungen ihres Vizekanzlers Guido Westerwelle inhaltlich Position zu beziehen. Gabriel äußerte den Verdacht, dass Merkel zwar jetzt auf Distanz zur Wortwahl Westerwelles gehe, inhaltlich aber sehr wohl bereit sei, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai einen Teil der FDP-Forderungen zu erfüllen. "Frau Merkel ist die Biederfrau, die den Brandstifter eingeladen hat und Westerwelle stapelt schon die Benzinfässer unter dem Dach", sagte der SPD-Chef.
Er warf Merkel vor, in die Debatte nicht einzugreifen und die beklagten Missstände nicht zu lösen: "Die Bundeskanzlerin ist sogar zu feige, eine Regierungserklärung dazu abzugeben." Westerwelle hatte eine Generaldebatte zu dem Thema im Bundestag gefordert. Der FDP-Chef hat eine vermeintliche Überbetonung der Hilfen für Schwache kritisiert und "sozialistische Entwicklungen" ausgemacht. Von seinen Vergleichen "anstrengungslosen Wohlstands" mit "spätrömischer Dekadenz" hatte sich Merkel distanziert.
SPD für Mindestlöhne
Gabriel forderte FDP-Chef Westerwelle dazu auf, konkrete Vorschläge gegen die von ihm beklagte Schieflage bei den staatlichen Leistungen für Langzeitarbeitslose zu nennen. "Er muss sagen, was die gesetzgeberische Konsequenz ist, um die Missstände zu beheben." Der SPD-Chef erklärte, der von Westerwelle bemängelte zu geringe Einkommensunterschied zwischen den Empfängern staatlicher Leistungen und Geringverdienern können nur auf zwei Weisen behoben werden: entweder mit der Einführung eines Mindestlohns oder mit der Senkung der Hartz-IV-Sätze.
Es sei richtig, dass etwas dagegen getan werden müsse, dass jemand, der am Tag acht Stunden arbeitet, teilweise weniger verdiene als die Leistungen für einen Hartz-IV-Empfänger. Die SPD setze deshalb auf Mindestlöhne. Die Regierung müsse jetzt sagen, ob sie dies auch wolle oder stattdessen niedrigere Hartz-IV-Sätze. Letzteres würde allerdings voraussichtlich neue Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auslösen, aus dessen letztem Urteil sich eher höhere Regelsätze ergeben dürften.
Kritik aus der CSU
Mit Blick auf die Debatte über angeblichen Sozialbetrug bei Hartz IV sagte Gabriel: "Wenn es Sozialbetrüger in Deutschland gibt, dann sind es die, die die Finanzkrise verursacht haben und zum zweiten die, die einen Teil ihres Geldes in die Schweiz bringen und den anderen Teil auf die FDP-Spendenkonten." Dagegen wolle Westerwelle aber nichts unternehmen, denn "er will Klientelpolitik und er will einen Teil der Sozialbetrüger bei sich behalten".
Auch aus der CSU wird Westerwelle scharf kritisiert. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer warf dem FDP-Chef eine Spaltung der Gesellschaft vor. "Westerwelle spaltet, indem er eine Schieflage herbeiredet, die es nicht gibt", sagte Haderthauer. Statt einer "ziellosen Debatte" müsse Westerwelle sagen, ob er nur Stimmung vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen machen oder die Hartz-IV-Sätze senken wolle.
Westerwelle bleibt dabei
FDP-Chef Westerwelle bekräftige derweil noch einmal seine Äußerungen. "Nach 11 Jahren staatlicher Umverteilung droht der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall zu werden. Das kann nicht so weitergehen", sagte der Außenminister den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". "Wir müssen dafür sorgen, dass der Sozialstaat treffsicherer wird. Gerade auch im Interesse der Bedürftigen." In der Debatte, die auch die schwarz-gelbe Koalition spaltet, sehe er "Millionen Bürger" auf seiner Seite. Es dürfe "die Meinung mancher Kommentatoren" nicht verwechselt werden "mit der Meinung unseres Volkes", sagte Westerwelle auch dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Westerwelle wiederholte auch seinen Vorwurf einer "sozialistischen" Debattenkultur. "Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus." Die Diskussion über das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe sozialistische Züge - von seiner Kommentierung habe er keine Silbe zurückzunehmen.
Aus seiner Partei erhielt Westerwelle breite Unterstützung. "Uns geht es darum, dass die Balance, die Statik des Sozialstaats stimmt", sagte FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger der "Südwest Presse". Zwar seien soziale Hilfen notwendig, es müssten aber auch "diejenigen, die diese Hilfe erarbeiten, fair behandelt werden". Von einer "Mitnahmementalität" bei sozialen Leistungen sprach der FDP-Finanzexperte Volker Wissing.
Quelle: ntv.de, tis/AFP/rts/dpa