Ein deutscher Wirt in Athen "Griechenlands Regierung ist in der Pubertät"
17.04.2015, 12:21 UhrErich Lickert hat eine deutsche Kneipe im Athener Stadtteil Melíssia. Seine Gäste sind Griechen. Wenn sie über Politik sprechen, ist Lickert hin- und hergerissen.
n-tv.de: Kommen Griechen in Athen überhaupt noch in eine deutsche Kneipe?
Erich Lickert: Ja, natürlich. Hier in der Gegend leben viele Griechen, die in Deutschland studiert oder gearbeitet haben. Die kommen nach wie vor zu mir. Wobei sie wegen der Krise nicht mehr so viel essen und trinken wie früher.

Erich Lickert lebt seit 1993 in Griechenland. Mit seiner griechischen Frau, mit der er seit 1994 verheiratet ist, hat er drei Kinder.
(Foto: privat)
Haben Sie manchmal Streit mit Ihren Gästen über die Griechenland-Politik der Bundesregierung?
Ich streite mit beiden Seiten: Ich streite mit meinen Griechen und mit meinen Deutschen. Ich lebe jetzt seit 22 Jahren in diesem wunderschönen Land, ich kann verstehen, wenn sich Deutsche über die griechische Politik aufregen. Trotzdem stelle ich fest, dass die meisten Deutschen absolut keine Ahnung haben, was hier abgeht. Auf der anderen Seite sage ich den Griechen, dass sie auch die Deutschen verstehen müssen.
Dann erklären Sie doch bitte, was in Griechenland passiert.
Meine Frau ist Direktorin einer öffentlichen Schule in einem sehr armen Viertel hier in Athen. Da gibt es viele Kinder, die morgens ausgehungert zur Schule kommen. Ich kann total verstehen, dass die Griechen sauer sind auf die Sparpolitik, die diese humanitäre Katastrophe ausgelöst hat. Wenn man so etwas sieht, kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Und gleichzeitig sieht man hier auf der Straße noch immer die Porsche Cayennes rumfahren. Da fragt man sich schon, ob nicht deren Besitzer für die Krise zahlen könnten. Die Griechen sagen dann, an den ganzen Problemen seien die alten Regierungen von der konservativen Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok schuld.
Da ist ja auch was dran.
Natürlich ist da was dran, die haben das Land 40 Jahre lang regiert. Jetzt ist eine neue Regierung da, die endlich aufräumen will - aber der gibt man nicht die Zeit, ihre Pläne umzusetzen. Mich erinnern Ministerpräsident Tsipras und seine Minister an meine Kinder: Mein mittlerer Sohn ist in der Pubertät - egal, was man mit ihm macht, für ihn ist es falsch. So ist das auch mit der griechischen Regierung. Die müssen da einfach noch reinwachsen.
Nach der Wahl im Januar gab es in Griechenland große Begeisterung für die neue Regierung. Wie ist die Stimmung jetzt?
Mittlerweile gibt es auch Kritik an ihrem Auftreten, vor allem an Finanzminister Varoufakis und seinem Gehabe. Ihm wird Selbstverliebtheit vorgeworfen und dass er sich lieber selbst präsentiert, als das Land zu repräsentieren. Das stört viele Griechen. Im Prinzip sind sie mit der Politik einverstanden, aber nicht mit der Art und Weise. Sie vermissen die Diplomatie.
Was halten Sie von den Reparationsforderungen der griechischen Regierung an Deutschland?
Das ist Quatsch, und das sehen auch viele Griechen so. Das ist vor allem Propaganda. Das gilt aber nicht für die Zwangsanleihe, die den Griechen von den Deutschen in der Zeit der Besatzung aufgezwungen wurde. Da sagen die Griechen: Komisch, Banken vergessen doch nie etwas. Warum soll ausgerechnet diese Anleihe vergessen sein?
Ist den Griechen klar, dass das Massaker von Distomo in Deutschland ziemlich unbekannt ist?
Ich glaube nicht. Aber hier ist eine Folge der ZDF-Sendung "Die Anstalt" extrem bekannt, in der es genau darum geht.
Sie meinen die Folge, in der Argyris Sfountouris auftritt, dessen Eltern in Distomo ermordet wurden.
Davor wird gezeigt, wie die Troika in eine griechische Taverne kommt und Speisen, Getränke, Tische und Stühle wegkürzt. Vor allem viele junge Griechen haben sich das angeguckt - auf Youtube gibt es eine Fassung mit griechischen Untertiteln. Diese Sendung bringt die Probleme zwischen Deutschland und Griechenland auf den Punkt. Bei den Griechen ist das sehr gut angekommen.
Haben Sie Angst davor, dass Griechenland den Euro verlässt oder verlassen muss?
Angst? Als die Krise anfing, habe ich gesagt: Macht einen Schuldenschnitt, geht raus aus dem Euro, fangt mit der Drachme neu an. Dieses Hinauszögern dient doch nur dem Zweck, die Finanzinstitute zu retten. Für Griechenland ist das keine Rettung, das ist ein langsamer Tod.
In Umfragen sind die Griechen mehrheitlich für den Euro.
Das stimmt. Aber nicht unter diesen Voraussetzungen.
Was gefällt Ihnen am besten am Leben in Griechenland?
Die Sonne (lacht). Und meine Frau natürlich.
Und was geht Ihnen am meisten auf die Nerven?
Der Mangel an Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Hier gibt es ein Sprichwort: Wenn in Griechenland einer eine Mauer hochziehen kann, ist er gleich ein Meister. Was hier fehlt, ist nicht nur Geld. Natürlich brauchen wir Geld. Aber in erster Linie brauchen wir Reformen, wir brauchen eine Regierung, die im Beamtenapparat aufräumt, die einen wirklichen Neuanfang wagt.
Warum heißt Ihre Kneipe eigentlich "München", Sie kommen doch aus Freiburg?
Freiburg kennt hier kein Mensch. Deshalb hatten wir auch überlegt, sie "Schwarzwald" zu nennen. Aber da denken hier alle nur an Schwarzwälder Kirschtorte. Bei "München" denken alle an Bier und Wurscht. Das passt.
Mit Erich Lickert sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de