Politik

Grabesstille nach dem Hype Grüne Woche: BSE kein Thema mehr

Die Bombe platzte rund zwei Monate vor Beginn der Grünen Woche 2001: Am 26. November 2000 wurde erstmals bei einem in Deutschland geborenen Rind BSE diagnostiziert. Schlagartig brach das Vertrauen der Verbraucher in deutsche Fleisch- und Wurstwaren zusammen. Und verunsichert nahm man zur Kenntnis, dass die bundesrepublikanische Landwirtschafts- und Gesundheitspolitik alles andere als Sicherheit gewährleistete.

Klar, dass die Grüne Woche im Januar 2001 - ausgerechnet die 75. Auflage der internationalen Lebensmittelschau - massiv vom BSE-Skandal überschattet war. (Wenngleich der Besuch von knapp einer halben Million Menschen eine andere Sprache zu sprechen schien.) Plötzlich drehte sich hier nicht mehr alles ums Essen, sondern um Rinderwahn, Übertragungswege, Etikettenfälschung und Creutzfeld-Jakob, jene Erkrankung des Menschen, die mutmaßlich auf BSE zurückzuführen ist.

Ein Jahr ist seither vergangen. Die Grüne Woche 2002 öffnet in Kürze in Berlin ihre Pforten. Und deren Veranstalter können aufatmen, denn BSE ist seit Monaten kein Thema mehr - weder in den Medien noch bei den Konsumenten. Grabesstille nach dem Hype.

Keine Entwarnung

Dabei scheint jede Entwarnung verfrüht: Bis heute sind allein in Deutschland 134 BSE-Fälle bekannt geworden, so das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Allein Anfang Januar 2002 ergaben Tests zwei BSE-Befunde - einen in Niedersachsen und einen in Schleswig-Holstein. Die Dunkelziffer verseuchter Tiere dürfte weitaus höher liegen. Experten rechnen mit bis zu 500.

Das Problem: Die verwendeten Schnelltests können den Erreger erst wenige Monate vor Ausbruch der Gehirn- und Rückenmarkskrankheit nachweisen. Die Tiere müssen zudem älter als 30 Monate sein. Bei jüngeren Tieren spricht der Test nicht an, weil die Testverfahren noch nicht empfindlich genug sind. Mehr als 60 Prozent des in Deutschland verzehrten Fleisches stammen von Rindern, die jünger als 30 Monate sind.

Erst Panik - jetzt Gleichgültigkeit?

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals war der Rind- und Kalbfleisch-Markt in der Bundesrepublik zusammengebrochen. Der Verbraucher-Rückgang lag bei 70 Prozent. Viele Konsumenten verzichteten ganz auf Fleisch, andere wichen auf Schwein und Geflügel aus. Auch die Nachfrage nach der in aller Regel teureren Öko-Nahrung stieg an.

Diese Panikreaktion ist längst großer Gelassenheit gewichen, die alten Absatzzahlen sind fast wieder erreicht. Wie die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft (ZMP) in Bonn auf Anfrage von n-tv.de mitteilte, lag der Verbrauch von Rind- und Kalbfleisch der privaten Haushalte 2001 nur noch etwa 14 Prozent unter dem im Jahr 2000. Allerdings wurde, wie die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) erklärte, im Jahr 2001 erstmals mehr Geflügel als Rindfleisch aufgetischt. Der Pro-Kopf-Verzehr stieg im Vorjahresvergleich um 1,1 Kilogramm auf 10,4. Im gleichen Zeitraum sackte der Rindfleischkonsum um 1,5 Kilogramm auf im Schnitt 8,2 pro Kopf ab. Alles in allem ist der Rindfleischmarkt eindeutig über den Berg - auch wenn die Erzeugerpreise sich noch immer nicht vollständig erholt haben.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Dass diese Trendwende innerhalb weniger Monate möglich war, dürfte mit einer Reihe vertrauensbildender Maßnahmen von Seiten der Politik zusammenhängen: Bereits Anfang Dezember 2000 hatten Bundestag und Bundesrat das Gesetz zum Verbot der Tiermehlverfütterung - einer der mutmaßlichen Hauptübertragungswege - auf den Weg gebracht. Und das innerhalb von nur vier Tagen. Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) und Gesundheitsministerin Andrea Fischer (B90/Grüne) mussten im Januar 2001 ihren Hut nehmen.

Als besonders BSE-gefährlich gelten die Rinderteile Hirn, Rückenmark, Milz, Bries, Augen, Mandeln und Teile des Darms. In diesem so genannten Risikomaterial finden sich 90 Prozent der Erreger, deshalb darf es nicht mehr in die Nahrungskette gelangen. Das Verbot gilt europaweit und bezieht sich auch auf Futtermittel.

Seit dem 1. Januar 2001 sieht eine EU-Verordnung Mindestanforderungen für das Rindfleisch-Etikett vor. Darauf sind Angaben zu den Orten der Rindgeburt, der Aufzucht, der Schlachtung und der Zerlegung zwingend. Verbraucher können sich so vermeintlich selbst vergewissern, dass das Fleisch BSE-frei ist.

Unvermeidliche Restrisiken

Trotz all dieser Maßnahmen ist und bleibt der Verzehr von Rind- und Kalbfleisch nicht ohne Risiko - und dies macht die beinahe vollständige Rückkehr der Deutschen zu ihrem alten Konsumverhalten psychologisch nur bedingt nachvollziehbar: Es gibt nach wie vor keine absolut sicheren Erkenntnisse über die Übertragung von BSE. Die Infizierung eines Jungen durch seine Mutter kurz vor der Geburt wird von Wissenschaftlern nicht ausgeschlossen. Unklar ist auch, ob der Erreger in Weideböden gelangt ist und von hier aus Ansteckungen verursachen kann. Eine Ansteckung von Tier zu Tier, etwa über die Milch, kann ebenfalls nicht restlos ausgeschlossen werden.

Und last but not least: Auch beim Verzehr von Lamm-, Hammel- und Schaffleisch besteht nach Expertenmeinung ein Restrisiko, das noch nicht klar abgeschätzt werden kann. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin schließt nicht mehr aus, dass auch Schweine und Geflügel an der Rinderseuche erkranken können - zumal sie in der Europäischen Union bis Ende 2000 mit Tiermehl gefüttert werden durften.

Quelle: ntv.de

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