Gerangel um die Plätze Grüne rüsten für Europa
25.01.2009, 08:30 UhrDie Grünen wollen mit einer Mannschaft aus erfahrenen Kandidaten und neuen Hoffnungsträgern ihr Rekordergebnis der Europawahl 2004 verteidigen. Die Vize-Chefin der Europa-Fraktion, Rebecca Harms, und der Ex-Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer erhielten nach eindringlichem Werben für eine stärkere EU satte Mehrheiten als Spitzenkandidaten für die Wahl Anfang Juni. Der Ex-DDR-Bürgerrechtler und -Bundestagsabgeordnete Werner Schulz riss die Parteibasis mit einer Brandrede für Bürgerrechte mit - er wurde mit 68,4 Prozent und dem als sicher geltenden Platz acht belohnt und steht damit vor einem Comeback.
In teils dramatischen Kampfabstimmungen wählte der Bundesparteitag in Dortmund Attac-Mitbegründer Sven Giegold und Amnesty-Generalsekretärin Barbara Lochbihler auf vordere Listenplätze. Die frühere Parteichefin Angelika Beer erlitt im Kampf um vordere Plätzen bittere Schlappen.
Zweistelliges Ergebnis soll her
Mit großer Mehrheit beschlossen die rund 700 Delegierten ein ökologisch-soziales Reformprogramm unter dem Motto "Europa klar machen". Europaweit wollen die Grünen mit einem grünen "New Deal" aus Investitionen und Reformen Rezession und Klimawandel bekämpfen. Mit diesem Kurs wollen die Grünen an ihr fulminantes 11,9-Prozent-Ergebnis von 2004 anknüpfen. Parteichef Cem Özdemir gab für die Europawahl am 7. Juni ein zweistelliges Resultat als Ziel aus.
Schlappe für Angelika Beer
Harms erreichte auf Platz eins der Europa-Liste 80,4 Prozent der Stimmen, Bütikofer auf Platz zwei 81,7 Prozent. Es folgte Heide Rühle. Die langjährige Europapolitikerin konnte sich auf Platz drei (50,79 Prozent) gegen Lochbihler und die EU-Abgeordnete Beer durchsetzen, die nur 6 Prozent erhielt und später dennoch erneut antrat. Ex-Grünen-Kritiker Giegold schaffte es nach einem sachlichem Bekenntnis zur grünen Programmatik unangefochten auf Platz vier (73,2 Prozent), Lochbihler folgte mit 82,3 Prozent. Der EU-Verkehrspolitiker Michael Cramer und die 27-jährige Brandenburger Grünen-Landeschefin Ska Keller schafften es ebenfalls auf die heftig umkämpften sicheren Plätze.
Der langjährige Vorsitzende Bütikofer hatte sich im November aus der Parteispitze zurückgezogen und seinem Nachfolger Cem Özdemir Platz gemacht, der nun aus dem Europaparlament ausscheidet. 2004 hatte - neben Harms - Daniel Cohn-Bendit die deutsche Liste angeführt. Er kandidiert auch diesmal wieder - in Frankreich.
Plädoyer für Europa
Bütikofer betonte seine Leidenschaft für Europa: "Wir brauchen Europa, wenn wir unsere großen Versionen verwirklichen wollen." Er schwor die Grünen auf einen offensiven Wahlkampf ein: "Ändern wir die Mehrheiten in Europa, damit Europa besser werden kann." Harms sagte: "Es ist dringend nötig, dass die Europäische Union eine andere Politik macht und überzeugenderer Politik für ihre Bürger macht."
Die Europawahl soll nach dem Willen der Grünen die "große Koalition" von Konservativen und Sozialdemokraten im EU-Parlament beenden, "die so viel dem Götzen des Neoliberalismus geopfert haben". Die Grünen fordern eine Regulierung der Finanzmärkte und massive Investitionen in Klimaschutz. Die Weltwirtschaft brauche "an allen Ecken und Enden" Veränderungen, sagte Bundestags-Fraktionschef Fritz Kuhn. Spätestens bis 2050 soll die Energie in Europa komplett ohne Kohle, Öl und Atomkraft produziert werden, Strom möglichst 2030. Mindestlöhne in jedem EU-Land sollen europaweit vor Armut schützen. Ausdrücklich bekennen sich die Grünen zum Ziel einer EU-Verfassung, zu europaweiten Referenden und Bürgerbegehren.
Bundespolitik ändern
Kuhn erneuerte die Kritik am Konjunkturpaket der Bundesregierung und sprach von einem "hektischen, schnell gestrickten Sammelsurium-Programm". Forderungen nach einem aufgeweichten Euro-Stabilitätspakts erteilten die Delegierten eine Absage. Die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Renate Künast, forderte einen Umbau der EU-Agrarsubventionen zugunsten von Öko-Betrieben. Geschäfte mit riskanten Wertpapieren sollten verboten werden. Künast: "Wir müssen sicherstellen, dass in Zukunft solche Abzockverträge, wie sie die Banken gemacht haben, nicht mehr abgeschlossen werden dürfen."
Quelle: ntv.de