Bundeswehr außer Kontrolle? Guttenberg wird Affären-Manager
20.01.2011, 19:05 Uhr
Guttenberg ist beliebt - aber ist er auch ein Aufklärer?
(Foto: picture alliance / dpa)
Eine angebliche Meuterei, sexuelle Übergriffe, Waffenspiele mit tödlichem Ausgang, geöffnete Privatpost - was ist los bei der Bundeswehr? Antworten muss Dienstherr Guttenberg geben. Und zwar auch der Mutter einer tödlich verunglückten Gorch-Fock-Kadettin. Sie will das Schulschiff eingemottet und den Kommandanten gefeuert wissen.
In der Bundeswehr reiht sich zurzeit Affäre an Affäre, Vorfall an Vorfall. Die Besatzung des Segelschulschiffs "Gorch Fock" muss Ermittlern der Marine Rede und Antwort stehen, was es mit dem Verdacht auf Meuterei, sexuelle Übergriffe und Bedrohungen auf sich hat. Und im Fall eines Soldaten, der vor Weihnachten erschossen in Nordafghanistan aufgefunden worden war, ermittelt die Staatsanwaltschaft die wahren Umstände des Unfalls, bei dem möglicherweise ein Kamerad den tödlichen Schuss abgegeben hatte. Weiter unklar ist, wer hinter der heimlich geöffneten Feldpost in Afghanistan steckt.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verwahrte sich gegen Pauschalurteile über Soldaten der Bundeswehr. "Es ist die ganz überwältigende Mehrzahl, die einen erstklassigen Dienst leistet." Die SPD sieht nun aber den Fachminister in der Pflicht. "Guttenberg muss die drei Vorgänge zur Chefsache machen", sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Der Minister müsse vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestags umfassend Auskunft geben.
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warf dem Minister vor, die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben. "Im Gegensatz zur sonstigen Eloquenz ist der Minister bei den aktuellen Vorfällen in der Bundeswehr in eine erstaunliche Sprachlosigkeit verfallen", sagte Oppermann. Zu Guttenberg erwecke den Eindruck, er habe sein eigenes Ministerium "nicht unter Kontrolle". Sogar FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff erhob den Vorwurf des "Führungsversagens" in der Truppe und forderte zu Guttenberg zum Handeln auf.
Der versprach eine vollständige Aufklärung des tödlichen Sturzes einer Offiziersanwärterin auf der "Gorch Fock" im vergangenen November. Die 25-Jährige war aus der Takelage gestürzt. Gegen vier Kadetten steht der Vorwurf der Meuterei im Raum. Die trauernden Kameraden sollen gedrängt worden sein, wieder in die Masten zu klettern, obwohl sie das nach dem Unglück nicht mehr wollten. Die "Gorch Fock", Stolz der Marine und Botschafterin Deutschlands in der Welt, unterbrach inzwischen eine Südamerika-Reise und fuhr zurück in den Hafen Ushuaia in Argentinien. Der Dreimaster wird in der südlichsten Stadt Argentiniens erwartet. Dort soll ein Ermittler-Team an Bord gehen.
Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, nahm die Offiziersanwärter in Schutz: "Es gab keine Meuterei", sagte er. "Es gab einige, die dort gesagt haben: Vor dem Hintergrund dieses tragischen Unfalls möchten wir nicht zum Tagesbetrieb übergehen. Das wurde von der Schiffsführung nicht gutgeheißen."
"Staatsbürgerliche Pflicht"
Nach dem Tod der Kadettin hatten Mitglieder der Besatzung Vorgesetzten Versagen vorgeworfen. Zudem sei das Vertrauen zwischen der Stammmannschaft und den Offiziersanwärtern gestört gewesen. Der SPD-Abgeordnete Arnold sagte: "Mit Meuterei hat das Sperrigsein der Offiziersanwärter nichts zu tun. Sie haben ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllt - nach dem Prinzip der inneren Führung unsinnige oder gar rechtswidrige Befehle infrage zu stellen." Arnold kritisierte zudem, dass nur zwei Tage nach dem Unfall am 7. November auf dem Schiff Karneval gefeiert worden sei.
Kritik kam auch von der Linken. "In der Bundeswehr scheint sich ein bedenklicher Trend auszubreiten, die parlamentarische Kontrolle zu unterlaufen", erklärte deren verteidigungspolitischer Sprecher Paul Schäfer. Während der Aufarbeitung der Meuterei-Vorwürfe auf der Gorch Fock sei Betroffenen angeblich befohlen worden, Dokumente zu vernichten.
Auch die Eltern der gestorbenen Soldatin meldeten sich zu Wort. Die Mutter forderte eine Wiederaufnahme der Untersuchungen. "Ich möchte, dass die Ermittlungen im Fall Jenny noch mal aufgenommen werden", sagte Marlis Böken. "Und ich frage mich natürlich, ob bei den Ermittlungen zum Todesfall unserer Jenny nicht auch Druck ausgeübt und den Soldaten gesagt worden ist: 'Ihr sagt nur das, was wir möchten.'" Sie fordere, dass der Kommandant Schatz seinen Hut nimmt und das Schiff eingemottet wird. In den vergangenen zwölf Jahren habe es darauf insgesamt sechs Tote gegeben. "Meine Tochter fällt da nicht einfach runter", so die Mutter weiter. Die Führung auf der "Gorch Fock" habe versagt. Sie sei den Kollegen ihrer gestorbenen Tochter "richtig dankbar, dass sie den Mut gefunden haben, sich aufzulehnen gegen das, was da auf dem Schiff alles passiert".
Der Vater verlangte ebenfalls neue Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft Kiel und die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig hätten das jedoch abgelehnt, sagte Uwe Böken. Aus seiner Sicht enthält der Bericht der Staatsanwaltschaft Unstimmigkeiten.
Inzwischen gibt es zudem Berichte, ein Soldat in Afghanistan habe bei Spielereien mit seiner Pistole auf den Hauptgefreiten gezielt und abgedrückt. Der 21-Jährige war kurz vor dem Weihnachtsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ums Leben gekommen. Die Bundeswehr hatte damals mitgeteilt, der Mann sei mit einer Schusswunde gefunden worden. Der SPD-Politiker Arnold warf dem Verteidigungsministerium vor, nach dem Tod des Soldaten den Bundestags-Ausschuss falsch informiert zu haben. Arnold verlangte auch Auskunft darüber, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Soldaten und der Öffnung der Feldpostbriefe gebe.
Umschläge ohne Inhalt
Möglicherweise wurde Post von Soldaten sogar in großem Stil und systematisch geöffnet. Guttenberg hat bereits Ermittlungen eingeleitet. Zahlreiche Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons hatten bei ihm über geöffnete Post geklagt. Umschläge seien ohne Inhalt zu Hause angekommen.
Im Falle des toten Afghanistan-Soldaten geht die Staatsanwalt nun dem Verdacht der fahrlässigen Tötung nach. "Aus der Waffe eines anderen Soldaten soll sich ein Schuss gelöst haben", sagte der leitende Oberstaatsanwalt aus Gera, Thomas Villwock. Wie es zu dem Unglück gekommen ist, sei unklar. Die Akte liege der Staatsanwaltschaft Gera noch nicht vor, die Bundeswehr wolle sie aber schicken. In einem Feldjäger-Bericht heißt es, dass es sich "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" um einen Unfall handelte.
Quelle: ntv.de, jmü/AFP/dpa