Politik

Schräge Buch-Koalition Gysi schenkt Brüderle 13 Minuten

"Ich hör mir den Rest nachher an", sagt Gysi nach 13 Minuten und 43 Sekunden und verlässt die Buchvorstellung Brüderles.

"Ich hör mir den Rest nachher an", sagt Gysi nach 13 Minuten und 43 Sekunden und verlässt die Buchvorstellung Brüderles.

(Foto: dpa)

Er ist bissig, schlagfertig und völlig anderer Meinung. Ausgerechnet der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, stellt das neue Buch von Rainer Brüderle vor. Bei der Präsentation wird es schmutzig, doch am Ende haben der Linke und der Liberale Grund, sich zu freuen.

In einer Passage seines neuen Buches macht Rainer Brüderle deutlich, wie fremd ihm Gregor Gysi sein muss. Der FDP-Politiker schildert darin die düsteren Stunden nach der Wahlniederlage seiner Partei. "Kondoliert zu bekommen tut manchmal mehr weh, als wenn einer gar nichts sagt", heißt es da. "Mein Freund Volker Kauder meldete sich in der Wahlnacht per SMS, ebenso Gregor Gysi." Mitleidsbekundungen vom politischen Gegner tun richtig weh.

Ausgerechnet Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linken, sitzt nun trotzdem neben Brüderle – und  ausgerechnet er soll das neue Buch des Liberalen vorstellen. Das kann doch nicht gutgehen, oder?

Als der Chef des Verlages, der Brüderles Buch publiziert, behauptet, es sei in unserer modernen Demokratie etwas vollkommen Normales, dass der politische Gegner das Buch seines Widersachers vorstellt, lässt Gysi seinen Kopf schaukeln. Ganz so normal ist das nicht, soll das wohl heißen. Und was dann folgt, als Gysi zu Wort kommt, ist auch nicht ganz normal.

Brüderles "Büchlein"

Zunächst einmal spricht Gysi nicht von einem Buch. Er nennt das Werk mit dem Namen "Jetzt rede ich" lieber "Büchlein". Was angesichts des Umfangs nicht ganz unberechtigt ist. Das "Büchlein", das aus einem langen Interview des Journalisten Hugo Müller-Vogg mit Brüderle besteht, umfasst zwar 150 Seiten, die sind allerdings derart groß und luftig bedruckt, dass es sich ohne allzu große Anstrengungen in zwei oder drei Stunden lesen lässt.

Dann täuscht Gysi so etwas wie Verständnis für die knappe Form vor. Er hätte sich zwar eine richtige Biografie gewünscht, aber natürlich hätte Brüderle es schnell aufschreiben müssen. "Ich versteh das, da war so viel Frust da, das musste raus." Wie es so Gysis Art ist, setzt er ein freundliches Lächeln auf, während er seine Spitzen setzt. Vielleicht lächelt er diesmal aber auch, weil ihm die Stänkerei auf Einladung besondere Freude bereitet.

Nächste Spitze: Zu den interessantesten Kapiteln habe für ihn das Kapitel über das liberale Innenleben, die Personalquerelen in der FDP, gehört, sagt Gysi, obwohl man nicht so viel Neues erfahre. Man kommt nicht umhin, sich bei diesen Worten vorzustellen, wie Gysi mit einem Glas Wein in der einen und dem "Büchlein" in der anderen Hand auf der Couch liegt und sich die Bösartigkeiten, mit denen sich die FDP-Politiker in den vergangenen Jahren gegenseitig gequält haben, wieder und wieder einverleibt. Gysi kommt dann schnell auf Brüderle zu sprechen. Der musste in diesen Jahren schließlich seinen Traumjob, den des Wirtschaftsministers, aufgeben, weil eine Riege junger FDP-Politiker rund um Philipp Rösler die Führung in der Partei an sich riss. Gysi kommentiert diese schmerzhafte Erfahrung für Brüderle so, als ob der eine Wahl gehabt hätte: "Ich weiß nicht, ob ich mir das bieten lassen würde", kokettiert Gysi.

Wenn die Abgeordnetenpflicht ruft

Das "Spannendste" an "Jetzt rede ich", ist für den Linksfraktionschef allerdings das Kapitel "Die FDP wird noch gebraucht".  Selbstredend ist Gysi da ganz anderer Meinung. "Die FDP hatte mal zwei Standbeine", sagt der Linke. Er meint den Wirtschaftsliberalismus und den politischen Liberalismus. Die Partei sei deshalb von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gewählt worden. Neben Mittelständlern und Wohlhabenden unter anderem auch von Schwulen und Zuwanderern. Schon unter Otto Graf Lambsdorff, dem früheren FDP-Wirtschaftsminister, hätte sie das Standbein des politischen Liberalismus allerdings verloren. Gysis Fazit: "Wenn die Zeit des Neoliberalismus zu Ende geht, bekommt man dann nur noch vier Komma irgendwas Prozent." Er räumt zwar ein, dass libertäres Gedankengut wichtig sei in der deutschen Gesellschaft. Die Lücke beim politischen Liberalismus, die entstanden ist, haben laut Gysi aber andere gefüllt, die Grünen zum Beispiel.

Nach 13 Minuten und 43 Sekunden, mittlerweile spricht Brüderle und reagiert auf die Anmerkungen Gysis, steht der Linke auf. "Ich hör mir den Rest nachher an", sagt er. Gysi möchte an einer namentlichen Abstimmung im Bundestag teilnehmen. Das geht vor. Es klingt nicht gerade wie eine Geste der Höflichkeit, dass er hinzufügt, dass man ihm eine SMS schicken könnte, wenn es sich noch lohnen sollte, nach der Abstimmung zurückzukommen.

Spitze folgt auf Spitze bei Gysis kurzem Auftritt, ein Desaster ist die Buchvorstellung trotzdem nicht. Fernsehen und Rundfunk, privat und öffentlich, Zeitungen und Onlinemedien - der Raum platzt vor Journalisten. Ohne Gysi wäre das Interesse kaum so groß gewesen, vor allem, weil Brüderle das öffentlichkeitswirksamste Thema seines Buches, die Sexismusvorwürfe, schon zuvor in einem Interview abgehandelt hat. Das zeigt sich auch daran, dass die Buchvorstellung nach Gysis Abgang keine zehn Minuten mehr dauert und die Fragen an den früheren Spitzenkandidaten der FDP ausgesprochen überschaubar bleiben. Durch die linksliberale Buchvorstellungskoalition allerdings war die Aufmerksamkeit zumindest am Anfang groß – und Brüderle stand am Ende ziemlich mutig und humorvoll da. Auf so etwas lässt sich nicht jeder ein.

Quelle: ntv.de

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