Experten sind sich sicher Hat eine High-Tech-Rakete MH17 getroffen?
18.07.2014, 11:43 Uhr
Neben der russischen ist auch die ukrainische Armee im Besitz von sogenannten Buk-M2-Raketensystemen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wer ist für den Abschuss der malaysischen Zivilmaschine in der Ukraine verantwortlich? Russen, Ukrainer oder Rebellen? Noch ist die Frage offen. Aber bereits jetzt ist klar: Nur mit einem High-Tech-Waffensystem ist ein Flugzeuge in einer Höhe von 9000 Metern zu treffen.
Das Geschoss, das nach US-Angaben ein Passagierflugzeug der Malaysia Airlines über der Ukraine abstürzen ließ, dürfte Teil eines hochmodernen Boden-Luft-Raketensystems gewesen sein. Offen ist allerdings, wer die Rakete abgeschossen hat. Sowohl das ukrainische als auch das russische Militär besitzt derart fortschrittliche Waffensysteme. Jüngst aber behaupteten auch einige prorussische Rebellen, im Besitz solcher Raketen zu sein.
Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums bezichtigte am Donnerstag prorussische Separatisten, das Flugzeug abgeschossen zu haben, begründete seine Anschuldigungen jedoch nicht. Der ukrainische Präsident hielt sich mit seinen Äußerungen stärker zurück. Er sagte, das Flugzeug sei abgeschossen worden, beschuldigte aber niemanden.
Schultergestützte Raketenwerfer fliegen nicht so weit
Einige Rebellen sagten vor Kurzem, sie hätten solche fahrzeuggestützten Flugabwehr-Waffen in ihren Besitz gebracht. Diese sind in der Lage, einen Jet aus einer typischen Reiseflughöhe von mehr als 9000 Metern abzuschießen. Am Donnerstag aber nahmen die Rebellen ihre Aussagen zurück.
Im Krieg in der Ukraine sind bisher vor allem schultergestützte Raketenwerfer zum Einsatz gekommen, die eine derartige Flughöhe nicht erreichen. Doch nach Angaben der ukrainischen Regierung hat Russland immer schlagkräftigere Waffen in die Ostukraine geschleust, um die Rebellen in ihrem Unabhängigkeitskampf zu unterstützen. Die Aufständischen gerieten gegen die ukrainischen Soldaten jüngst in die Defensive.Rebellensprecher haben jedoch gesagt, sie hätten sich ihre Waffen - darunter auch Panzer und gepanzerte Truppenfahrzeuge - aus den Beständen der ukrainischen Armee besorgt.
Sind Rebellen verantwortlich?
Am 29. Juni griffen die Rebellen nach eigenen Angaben einen ukrainischen Militärstützpunkt an und beschafften sich ein Boden-Luft-Raketensystem namens Buk-M2, das auf einem Lastwagen montiert wird und auch in der Lage ist, ein Flugzeug aus der Reiseflughöhe abzuschießen. Wie der stellvertretende ukrainische Innenminister mitteilte, hätten die Rebellen eine solche Geschoss-Batterie nahe der Grenze stationiert und sie zum Abschuss eines vermeintlichen Transportflugzeugs verwendet. Rebellen übernahmen die Verantwortung für den Abschuss eines Flugzeugs in der Nähe der Absturzstelle des Malaysia-Airline-Jets. Eine Webseite, die dem Militärkommandeur der Separatisten Igor Girkin - alias Igor Strelkow - zugerechnet wird, verkündete den Abschuss eines ukrainischen Transportflugzeugs. Dies sei eine Warnung: "Fliegt nicht in unserem Himmel".
"Der Vogel fiel hinter eine Schlackehalde", hieß es auf der Webseite. "Ein Anwohnergebiet wurde nicht getroffen. Zivilisten sind nicht verletzt." Der Eintrag enthielt den Zusatz, dass es "auch Informationen über ein zweites Flugzeug" gebe. Später wurde dieses Bekennerschreiben von der Webseite gelöscht.
Ausbildung für Spezialraketen notwendig
Das ukrainische Militär besitzt 435 selbstfahrende Luftverteidigungssysteme, belegt die jährliche Erhebung des International Institute for Strategic Studies zu den weltweiten militärischen Waffenbeständen, die allerdings vor Beginn der Ukraine-Unruhen Anfang des Jahres erstellt wurde. Selbstfahrende Flugabwehrsysteme zählen zu den schlagkräftigsten, um Flugzeuge in großer Flughöhe zu treffen.
Zum ukrainischen Bestand gehören 60 Buk-Systeme unter dem Nato-Code "SA-11 Gadfly" sowie etwa 150 Systeme vom Typ "SA-13 Gopher", 125 fahrzeuggestützte Flugabwehrraketen-Systeme des Typs "SA-8 Gecko" und 100 Systeme vom Typ "SA-4 Ganef". Außerdem setzt die Ukraine das "S-300" ein - eines der modernsten Flugabwehrsysteme, das während der Sowjetzeit entwickelt wurde.
Um diese Systeme zu bedienen, bedarf es jedoch eines Trainings und eines technischen Wissens, das sich die Rebellen schwerlich angeeignet haben dürften, wenn sie die Waffen erst jüngst in ihren Besitz gebracht hätten - es sei denn, sie wären bereits zuvor militärisch für diese Systeme ausgebildet worden.
"Wenn es ein Buk war, dann ist das ein ziemlich ausgeklügeltes System, das ein gewisses Wissen über dessen Funktionsweise voraussetzt", sagt Douglas Barrie, ein leitender Militärforscher am International Institute for Strategic Studies in London. "Das ist kein System, das man mal eben mitnimmt und anwendet."
Das Flugabwehrsystem Buk wurde in der Sowjetunion entwickelt und Ende der 1970er-Jahre erstmals in Betrieb genommen. Schon Geschosse aus der allerersten Serie dieser Buk-Systeme fliegen drei Mal so schnell wie der Schall und können Ziele auf einer Flughöhe von mehr als 12.000 Metern treffen, zeigen Daten des Forschungsverbands Federation of American Scientists. Jedes Geschoss trägt einen Sprengkopf von rund 55 Kilogramm.
Typischerweise besteht ein solches System aus drei Fahrzeugen: Eines schießt die Raketen ab; ein anderes transportiert das Radargerät, um mögliche Ziele auszumachen; und ein drittes dient als Kommandozentrale. Das Raketentransport-Fahrzeug allein reiche aus, um ein Geschoss abzufeuern, sagt Doug Richardson, Redakteur beim Militärmagazin IHS Jane.
Zahlreiche Zwischenfälle in der Luftfahrt
Im Jahr 2001 schoss die Ukraine bei verkorksten Militärübungen versehentlich ein Passagierflugzeug über ihrem Territorium ab. Alle 66 Passagiere und 12 Besatzungsmitglieder an Bord des Jets von Tel Aviv nach Nowosibirsk starben damals.
Bei anderen Zwischenfällen in der Luftfahrt waren schultergestützte Waffen mit kürzerer Reichweite im Einsatz. So geriet eine Boeing 757 der Arkia Israeli Airlines im Jahr 2002 beim Start im kenianischen Mombasa unter Beschuss. Die Rakete verfehlte jedoch ihr Ziel. Und im Jahr 2003 traf ein Flugabwehrgeschoss einen Airbus A300 des Frachtkonzerns DHL beim Start in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Die Piloten schafften es jedoch, das Flugzeug sicher zu landen.
Einige Fluggesellschaften - vor allem jene, die in Gefahrenzonen operieren oder als anfällig für Terrorismus gelten - schützen ihre Jets bereits mit eingebauten Verteidigungssystemen. Israel hat angewiesen, dass alle Linienflugzeuge mit Systemen ausgestattet sein müssen, die schultergestützte Flugraketen abwehren können. In der Regel sind das Verteidigungssysteme, die auf Wärme reagieren. Auch einige Präsidentenmaschinen - etwa die Air Force One des US-amerikanischen Staatschefs - haben solche Systeme eingebaut.
Darüber hinaus gibt es Abwehrsysteme gegen Lenkflugkörper, die zwar in größerer Flughöhe Ziele treffen können, aber nicht für Geschäftsflugzeuge verfügbar sind.
Was hat Russland mit dem Absturz zu tun?
Laut Anton Geraschenko, einem Berater im ukrainischen Innenministerium, versuchten die ukrainischen Behörden, die Flugschreiber des abgestürzten Malaysia-Airlines-Jets zu bergen. Das Gebiet werde jedoch von den Rebellen kontrolliert. "Bald wird es in russischer Hand sein und das wird der Beweis sein, dass [die Russen] in der Sache Komplizen sind", sagte er.
Das ukrainische Militär habe am Donnerstag von Informanten hinter der Rebellenfront erfahren, dass Rebellen eine Flugabwehrbatterie aus der Buk-Serie nahe der russischen Grenze eingesetzt haben, sagte Geraschenko. Die Rebellen würden zwar die ukrainische Regierung für den Absturz verantwortlich machen, aber das Flugzeug sei zum Tatzeitpunkt außerhalb der Reichweite der ukrainischen Flugabwehrsysteme gewesen, sagte Geraschenko. Die Rebellen hätten "auf das Flugzeug geschossen, weil sie dachten, es wäre ein Militärtransport".
An Bord der abgestürzten MH17 waren nach Angaben der Fluggesellschaft insgesamt 298 Insassen, darunter 154 Niederländer und mindestens vier Deutsche.
Quelle: ntv.de, Robert Wall, DJ