Irans möglicher Gegenschlag "Hisbollah-Raketen können jeden Ort in Israel erreichen"


Kämpfer der Hisbollah im Libanon.
(Foto: dpa)
Der Iran, Hamas und Hisbollah - sie alle kündigen mit markigen Worten Vergeltung für den Tod mehrerer hochrangiger Terroristen an. Sie wollen Israel angreifen - doch wie? Experten schildern Szenarien und Gefahren - denn eine Reaktion ohne Eskalation ist ein Drahtseilakt.
Der Iran hat Rache geschworen. Die Terrorgruppe Hamas kündigt eine "massive Eskalation" an. Und die Hisbollah plant bereits einen Gegenschlag. Die selbsternannte "Achse des Widerstands" will Vergeltung für die gezielte Tötung mehrerer hochrangiger Terroristen durch Israel: Hamas-Auslandschef Ismail Hanija starb in der Nacht auf Mittwoch mutmaßlich durch eine Bombe in Teheran. Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr wurde kurz zuvor durch einen israelischen Luftangriff auf einen Vorort von Beirut getötet. Und Hamas-Militärchef Mohammed Deif kam bereits Mitte Juli im Gazastreifen ums Leben, wie Israel nun bestätigt.
Darauf wollen der Iran und verschiedene Terrorgruppen reagieren. Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei selbst kündigte Vergeltung an - und erteilte den Befehl, den Erzfeind anzugreifen. Berichten zufolge beraten führende Vertreter des Regimes bereits mit Verbündeten im Libanon, Irak und Jemen über einen Gegenschlag. Doch wie könnte dieser aussehen?
"Ich gehe davon aus, dass es eine abgestimmte Aktion geben wird", sagt Nahost-Experte Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die Hamas ist sicherlich eingeschränkt in ihren Möglichkeiten. Aber wahrscheinlich wird es eine Reaktion der Hisbollah sowie der Huthi im Jemen geben. Unklar ist, ob der Iran noch einmal direkt Israel angreifen wird", sagt Lintl ntv.de.
Bereits im April gab es eine iranische Reaktion: Nach dem Tod hochrangiger Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden im syrischen Damaskus feuerte das Land mehr als 300 Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper auf Israel ab. Die Luftabwehr Israels sowie seiner Verbündeten konnten davon nach eigenen Angaben 99 Prozent abfangen. Experte Lintl hält es für möglich, dass der Iran einen solchen Angriff wiederholt. "Es gibt dann aber keine Garantie, dass erneut so viele Geschosse abgefangen werden können."
"Die Situation ist brandgefährlich"
Auch Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Uni Köln erwartet einen ähnlichen Gegenschlag wie im April. "Der Iran wird reagieren, um die Abschreckungsfähigkeit herzustellen", sagte er ntv. Das Land habe aber kein Interesse an einem großen Regionalkrieg. "Es kann damit gerechnet werden, dass es einen harten Schlag gibt, der aber abgefangen werden kann." Es gehe darum, die Gewalt so in der Balance zu halten, dass der Funke nicht zur Explosion führt.
Reaktion ohne Eskalation - das ist ein Drahtseilakt. Als Grundproblem sieht Lintl, dass Israel mit dem Massaker am 7. Oktober 2023 einen Teil seiner Eskalationsdominanz verloren habe. "Der Iran und seine Verbündeten sind immer davon ausgegangen, dass Israels Reaktion auf einen Angriff viel härter ausfallen wird. Sie hatten also mehr zu verlieren und haben sich deshalb zurückgehalten", erklärt er. Dieser Zustand sei verloren gegangen. "Mit den gezielten Tötungen und den Reaktionen darauf wird die Eskalationsdominanz derzeit neu verhandelt", so Lintl. "Die Situation ist brandgefährlich, weil sie massiv eskalieren kann."
Das gilt vor allem für das Grenzgebiet zum Libanon. Im Schatten des Krieges im Gazastreifen liefert sich Israel dort seit Oktober heftige Kämpfe mit der vom Iran unterstützten Terrorgruppe Hisbollah. Wegen des andauernden Raketenbeschusses mussten Zehntausende Zivilisten das Gebiet auf beiden Seiten der Grenze verlassen. Experten erkennen in diesem Konflikt eine ständige Gefahr der Eskalation.
Zumal die Hisbollah militärisch weitaus mächtiger ist als die Hamas im Gazastreifen. Lintl sieht eine "immense Gefahr" in deren Raketenpotenzial. "Man spricht von 120.000 oder mehr Raketen. Und auch qualitativ ist die Hisbollah stärker als die Hamas: Ihre Raketen können jeden Ort in Israel erreichen", sagt er. Mehr noch: Durch die Masse an Raketen könne die Hisbollah die israelischen Schutzschirme überfordern und überwinden.
"Auf Krieg mit Hisbollah nicht gut vorbereitet"
In Israel gibt es ohnehin immer wieder Diskussionen darüber, die Hisbollah anzugreifen oder zumindest aus dem direkten Grenzgebiet zu vertreiben. "Ich glaube aber nicht, dass Israel aktuell ein Interesse an einer größeren Eskalation hat. Das gilt auch für die Hisbollah und den Iran", sagt Lintl. "Ich hoffe daher immer noch, dass es zwischen Hisbollah und Israel keinen so umfangreichen Krieg gibt wie zwischen der Hamas und Israel."
Solch ein Krieg wäre für Israel wegen der Stärke der Hisbollah weitaus gefährlicher. "Israel ist auf einen Krieg mit der Hisbollah nicht gut vorbereitet", sagte der Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik den "Tagesthemen" der ARD. Er verweist auf den Krieg gegen die Hisbollah im Libanon 2006 - Israel musste damals abziehen, weil es die Terrorgruppe nicht besiegen konnte. "Wenn sich ein ähnlicher Krieg jetzt wiederholen sollte, dann ist überhaupt nicht zu sehen, wie Israel den erfolgreich führen soll." An eine Zerschlagung der Hisbollah - wie es für die Hamas das Ziel Israels im Gazastreifen ist - sei überhaupt nicht zu denken.
Steinbergs Ausblick ist pessimistisch: "Wenn man sich die Ereignisse der letzten Monate anschaut, dann ist es schwer vorstellbar, dass die Ereignisse rund um Gaza nicht zu einer Eskalation führen", sagte er der Deutschen Welle. Israel werde nicht dulden, dass die Hisbollah weiterhin eine Drohung an der Nordgrenze darstellt. "Da wird es irgendeine Art der Auseinandersetzung geben. Und diese Auseinandersetzung wird es spätestens geben, bevor Iran sich nuklear bewaffnet."
Quelle: ntv.de