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Landtag streitet über Aiwanger "Ich halte dich nicht für einen Antisemiten"

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Aiwanger war nur zum Zuhören erschienen.

Aiwanger war nur zum Zuhören erschienen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Pool)

So eine Sondersitzung hat es in Bayern seit 15 Jahren nicht gegeben: Inmitten des Wahlkampfs streiten die Parteien über die antisemitische Hetzschrift, die einst in Aiwangers Schulranzen entdeckt wurde, sowie über Söders Umgang mit der Affäre. Der Ministerpräsident und sein Vize aber sagen lieber nichts.

Es sind nur wenige Abgeordnete, die sich am Donnerstagmittag im bayerischen Landtag in München zu einer Sondersitzung treffen. Denn es tagt der "Zwischenausschuss". Der "kleine Landtag", wie er auch genannt wird, ersetzt das bayerische Parlament zwischen der letzten Sitzung der alten und der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode; am 8. Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag. Das Übergangsparlament besteht aus 51 Abgeordneten und kam zum letzten Mal vor 15 Jahren zusammen.

Anlass des Treffens ist der Fall von Bayerns Wirtschaftsminister und stellvertretendem Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, der mit einem antisemitischen Hetzblatt in Verbindung gebracht wird. Das war vor 35 Jahren im Schultornister des damals 16-Jährigen gefunden worden. Die Flugblattaffäre hatte zu einer Regierungskrise in Bayern geführt, das Krisenmanagement des Freie-Wähler-Vorsitzenden Aiwanger war scharf kritisiert worden: Er habe sich zu spät für den Besitz des Flugblatts entschuldigt, nicht umgehend ehrlich aufgeklärt und auch keine Reue gezeigt, sagen seine Kritiker. Bayerns Oppositionsparteien hatten kurz nach Bekanntwerden der Affäre die Einberufung des Zwischenausschusses verlangt.

"Ich halte dich nicht für einen Antisemiten"

Es ist eine verhaltene Debatte an diesem Mittag im bayerischen Landtag. Die Parteien nutzen sie für den Wahlkampf, aber nicht übermäßig. Ausnahme: Die AfD, die mit Kritik an CSU und Ampelregierung nicht spart. Ihr Abgeordneter Ulrich Singer wittert in seiner Rede gar eine Verschwörung sozialdemokratischer Lehrer, die Schülerakten sammeln, um sie später politisch instrumentalisieren zu können. Die AfD-Redner sind auch die einzigen, die den Inhalt der antisemitischen Hetzschrift nicht ausdrücklich verurteilen.

Denn darin sind sich die demokratischen Landtagsparteien einig: "Wir distanzieren uns maximalst von den Inhalten dieses Flugblattes", sagt der Landtagsfraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn nennt das Pamphlet ein "übles und menschenverachtendes neonazistisches Flugblatt". Der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen am 8. Oktober betont: "Für die Jüdinnen und Juden in Deutschland ist wichtig zu wissen, dass wir Deutsche nach 1945 die richtigen Lehren für ein besseres Deutschland gezogen haben, und es ist wichtig für sie zu wissen, dass sie hier in Deutschland sicher und willkommen sind."

Die Grünen-Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen, Katharina Schulze, geht noch weiter. Die Grünen und die SPD hatten vergeblich die Entlassung Aiwangers aus seinem Amt gefordert, die Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag abgelehnt hatte. "Ich finde es schade, dass Sie es nicht geschafft haben, Haltung zu zeigen, sondern sich für Taktik entschieden haben", wirft sie Söder vor. "Es geht um die Frage: Wie halten wir es mit dem demokratischen Grundkonsens, wie halten wir es mit der Erinnerungskultur? Diesen Grundkonsens haben Sie gefährdet", sagt sie.

Als eine Art Mittler zwischen der Opposition und den Regierungsparteien tritt FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen auf. Jedem Menschen müsse man das Recht zubilligen, sich zu ändern. "Entscheidend ist, ob man glaubwürdig darlegt, dass man dem Gedankengut von damals nicht mehr nachhängt und dass man sich geläutert hat. Ich halte dich nicht für einen Antisemiten", so der FDP-Politiker in Richtung Aiwanger.

Heftige Kritik von der CSU

Kritik an dem Verhalten Aiwangers nach Bekanntwerden des Flugblatts kommt von allen Parteien - außer der AFD. "Es geht nicht nur um Sie, es geht um das Amt und um das Ansehen des Freistaates Bayern", sagt zum Beispiel Sozialdemokrat von Brunn.

Überraschend heftig fällt die Kritik der CSU aus. Aiwangers Glaubwürdigkeit habe durch sein Krisenmanagement Schaden genommen, sagt deren Landtagsabgeordneter Tobias Reiß. "Mutig und direkt heraus sein muss man nicht nur im Bierzelt." Aiwangers "Zurückhaltung" bei der Aufklärung der Angelegenheit sei für "viele aus der CSU irritierend" gewesen. Zugleich macht Reiß klar: "Wir, die CSU, sind die Brandmauer gegen Antisemitismus und gegen Rechts." Das jüdische Leben in Bayern sei vielfältig und lebendig. "Wir pflegen bei antisemitischen Straftaten eine Null-Toleranz-Grenze", betont er. Zu der Entscheidung von Ministerpräsident Söder, Aiwanger im Amt zu lassen, sagt Reiß: "Er hat richtig entschieden. Das Thema ist für uns beendet."

Das sieht auch Florian Streibl von den Freien Wählern so. Die Partei stehe hinter ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger, sagt er, und: "Wir stehen an der Seite der jüdischen Mitbürger. Sie sind Teil von uns, und Bayern wäre nicht Bayern, wenn sie nicht wären." Dergleichen Beteuerungen waren weder von Söder noch von Aiwanger an diesem Tag zu hören. Im Sinne des von Söder am Sonntag verkündeten Schlussstrichs verfolgten beide die Debatte schweigend.

Quelle: ntv.de

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