"K21 ist besser und billiger" Immerhin "Chaosbahnhof" verhindert
01.12.2010, 16:02 Uhr
Boris Palmer ist ein Gegner von Stuttgart 21.
(Foto: picture alliance / dpa)
In seiner Empfehlung zum milliardenschweren Bahnhofsprojekt plädierte Unionspolitiker Heiner Geißler für eine Fortführung von Stuttgart 21. Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, repräsentierte in den Schlichtungsgesprächen die Gegner. Im Gespräch mit n-tv.de sieht der Grünen-Politiker vor allem in der Verhinderung eines Stuttgarter „Chaosbahnhofs“ den großen Erfolg der Verhandlungen und sagt, dass er durchaus Vertrauen in die Deutsche Bahn hat. K21 sei jedoch nach wie vor die effektivere Lösung.
n-tv.de: Wie bewerten Sie das Schlichtungsverfahren und Heiner Geißlers Schlichterspruch?
Boris Palmer: Die Schlichtung war ein echter Erfolg. Statt Wasserwerfern und Pfefferspray haben wir nun wieder Frieden in der Stadt. Es kamen viele Fakten auf den Tisch, die für die Projektträger reichlich peinlich sind, insbesondere, dass eine halbe Milliarde Euro an Kosten unterschlagen wurde und dass der Tiefbahnhof nach bisherigen Planungen gar nicht in der Lage wäre, den Fahrplan abzuwickeln, für den er gedacht war. Der Schlichterspruch stellt in jedem Fall sicher, dass kein Chaosbahnhof gebaut werden kann. Wenn überhaupt, wird ein funktionierender Bahnhof gebaut. Das ist schon mal ein Minimalfortschritt.
Ihr Wunsch wäre aber natürlich noch immer die Beibehaltung und Modernisierung des Stuttgarter Kopfbahnhofs.
Wir sind der Meinung, dass eine Modernisierung des Kopfbahnhofs besser und billiger ist als der Tunnelbau. Der Schlichter hat ja gesagt, dass der Kopfbahnhof 21 den Test bestanden habe und lediglich die Planung und Finanzierung unklar sei. Damit ist unsere Alternative als vollwertig anerkannt.
Wie zufrieden sind Sie mit der Rolle Heiner Geißlers als Schlichter? Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann meinte ja, Geißler habe sich letztlich auf die Seite der Befürworter geschlagen.
Ausnahmsweise teile ich Winfried Hermanns Meinung hier nicht. Herr Geißler hat sich nicht auf die Seite der Befürworter geschlagen, sondern lediglich akzeptiert, dass diese Seite nicht zu einem Baustopp und schon gar nicht zur Aufgabe von Stuttgart 21 bereit ist. Auf dieser Grundlage hat er einen Schlichterspruch gefällt. Davon unabhängig war seine Leistung herausragend. Seine humorvollen Bemerkungen und seine Autorität haben diese Schlichtung überhaupt erst zum Erfolg geführt.
Der Schlichter hat einen Volksentscheid für schwer realisierbar erklärt, auch wenn er ihn für eine angemessene Lösung hält. Die Grünen und sogar die SPD sind für ein Referendum. Wie würden Sie es rechtfertigen?
Geißlers Begründung war, dass sich der Landtag gegen einen Volksentscheid ausgesprochen hatte. Ein neuer Landtag kann sich jedoch ebenso gut dafür aussprechen. Bei den entsprechenden Mehrheitsverhältnissen könnte der von der SPD vorgeschlagene Weg begangen werden. Und Wege zum Volksentscheid sind rechtlich vorhanden. Auf jeden Fall ist ein Volksbegehren, das heißt das Einbringen einer bürgerlichen Gesetzesinitiative im Landtag, zulässig.
Denken Sie, dass nach dem Schlichterspruch das Mitbestimmungsrecht der Bürger bei Großprojekten gestärkt wird?
Unbedingt. Dafür besteht dringender Bedarf. Unsere Planungsverfahren sind aus der Zeit vor dem Internet und man unterstellt den Bürgern, dass sie die Sachverhalte sowieso nicht verstehen können. Deswegen begrenzt man die Beteiligung allenfalls auf die Wahl der Farbe von Lärmschutzwänden. Die Menschen wollen jedoch über den Grundsatz mitreden, in diesem Fall, ob man einen Tiefbahnhof braucht oder nicht. Dies war ihnen verwehrt. So wird man in Zukunft keine Projekte mehr planen können. Ich bin mir sicher, dass die Politik die Lektion von Stuttgart 21 versteht, Gesetze ändern und ihre Diskussionskultur anpassen wird. Es wird nicht mehr gelingen, mit unklaren und vernebelten Aussagen Großprojekte durchzusetzen und den Leuten erst danach die Rechnung zu präsentieren.

Volker Kefer soll aus dem Stresstest die richtigen Schlüsse ziehen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Volker Kefer, Technikvorstand der Deutschen Bahn, hat gestern gesagt, dass sein Unternehmen von nun an mehr Transparenz zeigen wolle. Haben Sie Vertrauen, dass die Bahn dem gerecht wird?
Das Schlichtungsverfahren hat auch persönliche Kontakte entstehen lassen. Zu Herrn Kefer habe ich in der Tat Vertrauen gefunden. Ich glaube, dass er sehr ernsthaft prüfen wird, was die Konsequenzen des Stresstests und des Schlichterspruchs für die Bahn sind. Natürlich hat das Verhalten der Bahn auch Einfluss darauf, ob weiterhin Montagsdemonstrationen stattfinden. Wenn die Bahn erst die Planungen macht und dann baut, können wir sicher zu einer wesentlich friedlicheren Situation kommen. Etwas anderes ist meiner Meinung auch nicht möglich – man kann kein Haus bauen, bevor man nicht weiß, wie stark die Fundamente sein müssen.
Mit Boris Palmer sprach Michael Kreußlein
Quelle: ntv.de