Politik

Massenendspurt im Parlament In dieser Nacht fallen die Entscheidungen

Die gesamte Sitzung sollte 20 Stunden dauern.

Die gesamte Sitzung sollte 20 Stunden dauern.

(Foto: picture alliance / dpa)

In der letzten Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause bringen die Abgeordneten noch einmal ein Intensivprogramm hinter sich. In dieser Nacht steht die wohl längste Sitzung des Plenums in der zu Ende gehenden Wahlperiode an. Mehr als ein Dutzend Gesetze sollen abschließend beraten werden. Einige sind schon beschlossen.

Mit lebhaften Debatten über die Wahlversprechen der Union und die Europapolitik der Bundesregierung haben sich die Parteien im Bundestag kurz vor der Sommerpause in Wahlkampfstimmung gebracht. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf Bundeskanzlerin Angela Merkel Ideenlosigkeit in der Europa-Politik vor. Merkels CDU wehrte sich in einer aktuellen Stunde gegen den Vorwurf der Opposition, sie täusche mit ihrem Wahlprogramm die Bürger.

Merkel gab im Bundestag zum Auftakt einer mehr als 20-stündigen Marathon-Sitzung eine Regierungserklärung zum EU-Gipfel ab. Darin signalisierte sie unter anderem Zustimmung zu einem Solidaritätsfonds für die Euro-Zone, knüpfte dies aber an Vereinbarungen für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum.

Steinbrück antwortet auf die Kanzlerin.

Steinbrück antwortet auf die Kanzlerin.

(Foto: dpa)

Steinbrück griff die Kanzlerin im Anschluss scharf an. "Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist eine direkte Folge der völlig einseitigen Sparpolitik, die Sie hier in Europa betrieben haben". Er warf Merkel vor, "keine Idee von Europa" zu haben. "Man hat den Eindruck, dass man diese Regierungserklärung schon drei- bis viermal gehört hat."

Steinbrück kritisierte auch die milliardenschweren Versprechen im Unions-Wahlprogramm. Von den 28 Milliarden Euro, die mit dem Unionsprogramm verabschiedet worden seien, sei "nicht ein einziger Euro durch irgendeine Einnahme" gedeckt, kritisierte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin mit Blick auf den am Mittwoch im Kabinett verabschiedeten Haushaltsentwurf. Linken-Chef Gregor Gysi pochte auf eine höhere Besteuerung von Unternehmen sowie großer Einkommen und Vermögen, um mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen.

Mit dem Wahlprogramm von CDU und CSU befasste sich das Parlament auf Antrag der SPD in einer Aktuellen Stunde. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Union in der Debatte "Wahlbetrug mit Ansage" vor. Entgegen der Prognosen der Regierung würden die Steuereinnahmen in den kommenden Jahren "nicht hoch, sondern runtergehen". Darauf müsse Politik die Menschen vorbereiten, "aber das wäre Verantwortung und die haben Sie nicht". Die Linken kritisierten das Unionsprogramm als "einziges Märchen". Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar bekundete den Willen seiner Fraktion zur Fortsetzung des schwarz-gelben Bündnisses und betonte zugleich, dass nur die Liberalen der Garant dafür seien, "dass es keine Steuererhöhungen gibt".

Dutzende Punkte in der Nachtsitzung

Aufmerksam folgen die Teilnehmer die Diskussion.

Aufmerksam folgen die Teilnehmer die Diskussion.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zum Auftakt der langen Nachtsitzung fielen im Parlament dann erste Entscheidungen. Mehr als ein Dutzend Gesetze sollen abschließend beraten werden. Dazu gehörte der Anti-Abzocke-Beschluss. Verbraucher sollen besser vor unseriösen Geschäftspraktiken im Internet und am Telefon geschützt werden. Verabschiedet wurde ein Gesetzespaket, das unter anderem Massenabmahnungen gegen private Internetnutzer eindämmen soll. Anwälte dürfen für eine erste Abmahnung wegen illegalen Herunterladens von Bildern oder Musik künftig höchstens 155,30 Euro berechnen. Bisher sind es teils mehrere hundert Euro.

Drei Wochen nach dem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts beschloss der Bundestag die steuerliche Gleichstellung vom homosexuellen Paaren. Das bislang Eheleuten vorbehaltene Ehegattensplitting gilt künftig auch für die eingetragenen Lebenspartnerschaften von Schwulen und Lesben. Anfang Juni hatten die Karlsruher Richter geurteilt, dass die bisherige Ungleichbehandlung verfassungswidrig ist. Das Ehegattensplitting senkt die Steuerbelastung verheirateter Paare. Die Ausweitung dieser Regelung auf die rund 34.000 gleichgeschlechtlichen Partnerschaften kostet den Staat pro Jahr etwa 55 Millionen Euro.

Verwirrend mutete die Abstimmung über die sogenannte Mietpreisbremse an. Dabei lehnte die Union das im eigenen Wahlprogramm geplante Vorhaben mehrheitlich ab. Mit den Stimmen der Koalition wurde ein Antrag der Grünen-Fraktion abgewiesen. Dieser sah eine Ermächtigung an die Länder vor, in Gebieten mit Wohnraummangel bei Neuvermietungen nur noch Erhöhungen bis zu zehn Prozent im Vergleich zur ortsüblichen Miete zuzulassen - genau dies fordert auch die Union im Wahlprogramm. Sie will das jetzt erst nach der Wahl einführen.

Mit ihrer eigenen Mehrheit lehnten es Union und FDP ab, schärfere Regeln gegen die Bestechung von Abgeordneten einzuführen. SPD und Grüne hatten eine namentliche Abstimmung erzwungen, damit die Koalition für oder gegen schärfere Korruptionsregeln Farbe bekennt. Rot-Grün wollte eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, wenn sich Abgeordnete für eine Gegenleistung in bestimmter Weise verhalten. Die Koalition argumentierte, es gebe bereits ausreichend Regeln.

Mit großer Mehrheit verlängerte der Bundestag zwei Auslandseinsätze der Bundeswehr. Demnach wird die Überwachung an der libanesischen Grenze ebenso um ein weiteres Jahr verlängert wie der Einsatz zur Stabilisierung des westafrikanischen Staates Mali. Die internationale Unifil-Mission im Mittelmeer hat vor allem das Ziel, den Waffenschmuggel in den Libanon zu verhindern. Die UN-Truppe in Mali, die ab Juli die afrikanische Eingreiftruppe Afisma ersetzt, soll den Kampf gegen islamistische und separatistische Aufstände im Norden des Landes unterstützen.

Ein Gesetzentwurf der SPD zur Aufnahme von Doping ins fiel wie erwartet durch. Die Unionsfraktion stimmte gegen den Entwurf, Bündnis 90/Die Grünen und die Links-Fraktion enthielten sich. Zuvor hatte bereits der Sportausschuss des Bundestages die Empfehlung ausgesprochen, den Gesetzentwurf abzulehnen. Dem Entwurf zufolge sollte der Besitz von Dopingmitteln künftig grundsätzlich strafbar sein. Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen sollen dann dem drohen, der "Dopingmittel erwirbt, besitzt, einführt oder sich sonst verschafft". Vorangegangen war eine teils hitzige Debatte.

Hochkarätige Abstimmungen am Freitag

Am Freitag will der Bundestag noch den Hilfsfonds für die Flutopfer in Höhe von acht Milliarden Euro beschließen. Dabei wird erwartet, dass alle Parteien im Parlament dem entsprechenden Gesetzentwurf zustimmen. Am Freitag nächster Woche soll dann auch der Bundesrat grünes Licht geben. Für den Fonds streckt der Bund die acht Milliarden Euro vor.

Zudem soll nach über 35 Jahren Konzentration auf den Salzstock Gorleben ein Gesetz für eine neue, bundesweite Atommüll-Endlagersuche beschlossen werden. Bund und Länder hatten bereits im November 2011 mit Verhandlungen über das Gesetz begonnen. Der nach hartem Ringen erzielte Kompromiss sieht vor, dass bis Ende 2014 eine 33-köpfige Kommission die Grundlagen und Kriterien für die Suche erarbeitet und vorschlägt. Die neue Suche könnte über zwei Milliarden Euro kosten - bis Ende 2031 soll ein Lager gefunden sein.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa

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