Kämpfe im Irak Isis bietet Kurden Waffenruhe an
17.06.2014, 01:01 Uhr
Kurdische Kämpfer bei Kirkuk - ihre Rolle könnte entscheidende Bedeutung für den Verlauf des Konflikts haben.
(Foto: REUTERS)
Die Kurden spielen eine entscheidende Rolle im aktuellen Irak-Konflikt. Die Isis respektiert die Schlagkraft ihrer Armee, die Regierung in Bagdad ist dringend auf sie angewiesen. Jetzt machen die Dschihadisten den Kurden ein verlockendes Angebot.
Die Isis-Dschihadisten machen den Kurden im Norden des Irak ein Angebot. "Wenn ihr uns nicht angreift, greifen auch wir nicht an", soll ein Kurier am Sonntagabend den Kurden gesagt haben. Seitdem beäugen sich beide Armeen - deren Stützpunkte bei dem Dorf Tus Churmatu keine 500 Meter voneinander entfernt liegen. Tus Churmatu liegt 160 Kilometer nördlich von Bagdad.
Das Gebiet ist zwischen den Kurden und der irakischen Regierung umstritten. Die Peschmerga - die Armee der kurdischen Autonomieregion im Nordirak - hält dort die Stellung. Gingen die Kurden auf das Angebot ein, würden sie die Regierung im Bagdad im Stich lassen. Möglicherweise kämen sie dann jedoch ihrem alten Ziel näher, einen eigenen Staat zu gründen. Das hat auch die neue Regierung in Bagdad stets zu verhindern gewusst.
Peschmerga sicherte Rückzug nach Bagdad
Die Kurden könnten so oder so zum Gewinner des aktuellen Konflikts werden. Die Isis respektiert die Schlagkraft ihrer Armee, die Regierung in Bagdad ist dringend auf sie angewiesen. Bei der Massenflucht irakischer Soldaten vor den Dschihadisten sicherten die Kurden deren Rückzug nach Bagdad. Auf Bitten der Armee übernahm die Peschmerga auch deren Stützpunkte in Kirkuk. Auch für Flüchtlinge ist das kurdische Autonomiegebiet ein vergleichsweise sicherer Hafen. Hunderttausende Menschen flohen in den vergangenen Tagen dorthin.
Die kurdische Armee sichert auch die Provinzen Nineve und Dijala gegen Isis-Kämpfer. Dort wohnen zwar mehrheitlich Kurden, die Gebiete gehören aber offiziell zu Bagdad.
Insgesamt hat die Peschmerga so in kürzester Zeit ihren Einflussbereich nahezu verdoppelt. So stieg auch das Selbstbewusstsein: Das kurdische Verteidigungsministerium will das neue Gebiet behalten. "Wir sind gekommen und werden bleiben." Ein Referendum wird gefordert: Die Bevölkerung in den umstrittenen Gebieten solle selbst über ihre Zugehörigkeit entscheiden.
Die Kurden hoffen schon lange auf ihre Unabhängigkeit - oder zumindest auf mehr Autonomierechte. Kurden leben in der Osttürkei, im Norden Syriens und des Irak sowie im westiranischen Bergland. Einen eigenen Staat hatten sie nie. Nach dem Einmarsch der US-Truppen 2003 in den Irak beteiligten sich kurdische Kämpfer an der Zerschlagung von Saddams Truppen. Doch einen eigenen Staat im Nordirak konnten die gut drei Millionen Kurden in dieser Region auch nach Ende des Krieges nicht aufbauen.
Kurdistan entwickelt sich besser
Bagdad behielt seinen Einfluss auf die ölreichen Provinzen rund um Kirkuk, nur ein Bruchteil des Kurdengebietes wurde zur Autonomieregion. Doch anders als der Rest des Landes kam das autonome Kurdistan rasch auf eigene Beine. Universitäten und Schulen wurden gebaut, Einkaufszentren und Autohäuser wurden in vielen Städten eröffnet.
Die Autobahnen und Schnellstraßen sind auf kurdischer Seite frisch geteert, auf irakischer Seite zerbricht der Belag. Während Bagdad fast täglich Selbstmordattentate vermeldet, beschreibt das Auswärtige Amt die Sicherheitslage im kurdischen Norden als "vergleichsweise besser". Viele ausländische Firmen beschränken ihre Irak-Geschäfte auf diese Gebiete.
Anders als in Syrien - wo Dschihadisten mehrfach Massaker in kurdischen Dörfern verübten - scheinen die Isis-Kämpfer die Souveränität der Kurden im Irak anzuerkennen. Im Gegensatz zu den Soldaten der irakischen Armee werden die Peschmerga-Streitkräfte von den Dschihadisten mit Samthandschuhen angefasst - vermutlich weil Isis nicht an zwei Fronten kämpfen will. Während im Internet Videos von Massenexekutionen irakischer Soldaten verbreitet werden, taucht nichts dergleichen über die Peschmerga auf. Zwei kurdische Soldaten, die an einem Checkpoint in Gefangenschaft von Isis gerieten, durften mit kurdischen Journalisten telefonieren. "Man behandelt uns gut", sagten sie.
Quelle: ntv.de, Marc Röhlig und Mey Dudin, dpa