Politik

Regierung in Ägypten droht mit "eiserner Faust" Islamisten kündigen neue Protestmärsche an

Panzerfahrzeuge der Regierung bewachen die Zufahrtsstraßen zum Ramses-Platz.

Panzerfahrzeuge der Regierung bewachen die Zufahrtsstraßen zum Ramses-Platz.

(Foto: REUTERS)

Der Druck auf die Muslimbrüder wächst. Die ägyptische Regierung erwägt ein Verbot der Bruderschaft und kündigt an, hart gegen Terroristen vorzugehen. In Kairo dringen Sicherheitskräfte gewaltsam in eine von Islamisten besetzte Moschee ein. Die kündigen an, weiter auf die Straße gehen zu wollen. UNO-Generalsekretär Ban mahnt.

In Ägypten nimmt die Gefahr eines Bürgerkriegs weiter zu. Die ägyptische Regierung erwägt ein Verbot der Muslimbruderschaft. Der Vorschlag, die Islamisten-Organisation für illegal zu erklären, kommt von Übergangsministerpräsident Hasim al-Biblawi. Es könne keine Aussöhnung mit denen geben, die "Blut an den Händen" oder gegen das Gesetz verstoßen hätten, sagte er. Der Kandidat der Muslimbrüder, Mursi, war 2012 zum Präsidenten gewählt worden. Am 3. Juli 2013 setzte ihn das Militär nach Massenprotesten ab.

Die Islamisten wollen auch nach den blutigen Konfrontationen der vergangenen Tage ihre Proteste gegen die Übergangsregierung und das Militär fortsetzen. Für Sonntag kündigten sie neue Protestmärsche in Kairo an.

Am Samstag wurde eine von Hunderten Islamisten besetzte Moschee in Kairo nach Feuergefechten zwischen den Belagerern und der Polizei zwangsgeräumt. Es gab zahlreiche Festnahmen. Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena meldete, Bewaffnete hätten vom Minarett aus das Feuer eröffnet. Danach begannen die Sicherheitskräfte, die Menschen einzeln aus dem Gotteshaus zu holen.

Wütende Anwohner

Sicherheitskräfte räumten das Gotteshaus.

Sicherheitskräfte räumten das Gotteshaus.

(Foto: REUTERS)

Beim Verlassen der Moschee griffen wütende Anwohner teils mit Stöcken und Eisenstangen die Islamisten an. "Das sind Terroristen", rief die aufgebrachte Menge. Auch in anderen Teilen Kairos griffen Zivilisten mutmaßliche Islamisten an - oft nur, weil sie einen Bart trugen. Die ägyptische Bevölkerung ist seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär Anfang Juli tief gespalten.

Die Islamisten hielten sich seit Freitag in der Al-Fath-Moschee auf dem zentralen Ramses-Platz verschanzt. Das Gotteshaus diente ihnen auch als Leichenhalle - Dutzende bei den Protesten am "Freitag der Wut" getötete Demonstranten lagen aneinandergereiht auf dem Boden.

Die ägyptische Regierung kündigte nach den blutigen Unruhen der vergangenen Tage an, sie wolle "mit eiserner Faust" gegen den Terrorismus vorgehen. Das sagte ein Sprecher der Übergangsregierung. Seinen Angaben zufolge kamen bei Zusammenstößen mit Demonstranten und Angriffen militanter Islamisten seit dem vergangenen Mittwoch 57 Polizisten ums Leben. 563 Polizisten seien verletzt worden. Im selben Zeitraum wurden nach Angaben von Ärzten und Polizisten mehr als 750 Zivilisten getötet.

Der Sohn des Chefs der ägyptischen Muslimbrüder, Mohammed Badie, wurde bei den jüngsten Zusammenstößen in Kairo offenbar getötet. Ammar Badie sei am Freitag auf dem Ramses-Platz erschossen worden, erklärte die Partei der Freiheit und der Gerechtigkeit, der politische Arm der Muslimbrüder. Auf dem Ramses-Platz hatte die zentrale Kundgebung nach den Freitagsgebeten stattgefunden. Danach kam es zu Straßenschlachten.

Bruder von Al-Kaida-Chef festgenommen

Der Konflikt forderte schon Hunderte Tote.

Der Konflikt forderte schon Hunderte Tote.

(Foto: dpa)

Die Polizei setzte in Kairo einen Bruder des Anführers des Terrornetzwerks Al-Kaida, Eiman al-Sawahiri, fest. Mohammed al-Sawahiri sei an einer Straßensperre im Bezirk Giza identifiziert worden, hieß es aus Sicherheitskreisen in der ägyptischen Hauptstadt. Mohammed al-Sawahiri gehört einer Bewegung radikaler Salafisten mit Verbindungen zu militanten Gruppen an. Während der Amtszeit des inzwischen entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi hatte er angeboten, zwischen militanten Salafisten auf der Sinai-Halbinsel und der Regierung zu vermitteln. Mohammed al-Sawahiri wird die Unterstützung Mursis vorgeworfen.

Trotz des grünen Lichts der Übergangsregierung für die Sicherheitskräfte, auf gewaltbereite Demonstranten zu schießen, riefen die Islamisten zu neuen Protesten auf. Gehad al-Haddad, ein Sprecher der Muslimbruderschaft, schrieb auf Twitter: "Die Demonstrationen werden täglich von denselben Orten aus durch alle Provinzen Ägyptens weitergehen, bis wir den Putsch gebrochen haben". Erklärtes Ziel der Muslimbrüder ist Mursis Wiedereinsetzung.

Westerwelle empört

Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte von der Regierung in Kairo eine Rückkehr zum Dialog. Westerwelle habe am Samstagnachmittag "in einem ernsten" Telefongespräch mit dem ägyptischen Außenminister Nabil Fahmi "insbesondere Deeskalation und ein besonnenes Vorgehen angemahnt", erklärte eine Sprecherin den Auswärtigen Amtes. Westerwelle appellierte an Kairo, "den Weg zu einer politischen Lösung nicht zu verbauen und einen Dialog mit allen politischen Kräften wiederaufzunehmen." Zuvor hatte Westerwelle bereits vor einem "Bürgerkrieg" in dem Land gewarnt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande forderten ebenfalls ein Ende des Blutvergießens und mahnten eine enge Abstimmung der EU-Staaten an. Die Gewalt müsse "sofort" enden, erklärten Merkel und Hollande. Die Ägypter müssten wieder einen "Dialog" aufnehmen und "so schnell wie möglich auf den Weg der Demokratie zurückkehren".

Zudem müsse mit Blick auf die Gewalt "dringend" eine gemeinsame Haltung der EU-Staaten gefunden werden, erklärten Merkel und Hollande. Die EU-Außenminister sollten sich kommende Woche treffen, um über die "Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Ägypten" zu beraten und "gemeinsame Antworten" zu finden. Für kommenden Montag ist in Brüssel ein Treffen der 28 EU-Botschafter angesetzt. EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton rief die Mitgliedsstaaten auf, "angemessene Maßnahmen" zu ergreifen.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist beunruhigt über die wachsende Gewalt in Ägypten. In einer in New York veröffentlichten Erklärung verurteilte Ban Angriffe auf Kirchen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen. Dies sei inakzeptabel. Ban rief die Konfliktparteien zu äußerster Zurückhaltung auf. Sie sollten sich um Deeskalation bemühen. Die Regierung und die politischen Führer sollten einen glaubhaften Plan zur Eindämmung der Gewalt annehmen und den politischen Prozess wiederbeleben. Angesichts der politischen Polarisierung der ägyptischen Gesellschaft trügen die Regierung und die politischen Führer Mitverantwortung bei der Beendigung der Gewalt.

Keine neuen Waffenexporte

Dutzende Kirchen wurden seit Beginn der Demonstrationen in Brand gesetzt - wie hier in Malawi.

Dutzende Kirchen wurden seit Beginn der Demonstrationen in Brand gesetzt - wie hier in Malawi.

(Foto: AP)

Deutschland will zudem laut Merkel seine Beziehungen mit dem Land "auf den Prüfstand stellen". So will die schwarz-gelbe Bundesregierung zunächst keine neuen Waffenexporte in das Land genehmigen. Die deutsche Rüstungsexportpolitik sei ohnehin restriktiv, sagte Westerwelle dem "Focus". "Und das wird so bleiben, gerade mit Blick auf diese aktuellen Entwicklungen." Dem Bericht zufolge prüft die Bundesregierung derzeit, wie mit bereits genehmigten, aber noch nicht erfolgten Waffenexporten umgegangen werden soll.

"Die Bundesregierung hat alle Entscheidungen über Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Ägypten zurückgestellt", teilte das Wirtschaftsministerium mit. Im ersten Halbjahr 2013 lieferten deutsche Unternehmen dem Bericht zufolge Rüstungsgüter im Wert von rund 13,2 Millionen Euro an Ägypten. Es habe sich vor allem um Ausrüstungsgegenstände für die ägyptische Marine und um Telekommunikationstechnik gehandelt.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Katja Keul, rief die Bundesregierung auf, eine Initiative der italienischen Regierung zu unterstützen und bis auf weiteres keine Rüstungsexporte mehr nach Ägypten zu genehmigen. Die EU-Außenminister sollten bei ihrem Dringlichkeitstreffen in der kommenden Woche einen Rüstungsexportstopp bekräftigen. Die Gewalt, die das ägyptische Militär mit Waffen aus den USA und Europa gegen die Muslimbrüder ausübe, zeige "einmal mehr, wie kurzsichtig westliche Regierungen ihre angeblich strategischen Partner aussuchen", kritisierte die Grünen-Politikerin.

Die Militärpräsenz in Kairo ist allgegenwärtig.

Die Militärpräsenz in Kairo ist allgegenwärtig.

(Foto: AP)

Die Bundesregierung fror 25 Millionen Euro Fördergelder für Ägypten ein. Entwicklungsminister Dirk Niebel stoppte ein Kooperationsprogramm für Klima- und Umweltschutz, für das entsprechende Hilfsmittel vorgesehen waren. 15 Millionen Euro davon werden nun für syrische Flüchtlinge in Jordanien zur Verfügung gestellt. Neue Zusagen für Entwicklungsprojekte in Ägypten soll es vorerst nicht geben.

AA: "Sehr zugespitzte Lage" in Kairo

Das Auswärtige Amt rät wegen der "Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen" von Reisen nach ganz Ägypten ab. Es gebe eine "sehr zugespitzte Lage" in der Hauptstadt Kairo, während in den Touristenzentren am Roten Meer die Situation "derzeit noch anders sei", sagte Außenamtssprecher Andreas Peschke. Er betonte, dass es sich um einen Reisehinweis und keine Reisewarnung handele. Das Ministerium geht davon aus, dass sich derzeit eine fünfstellige Zahl von Deutschen in Ägypten aufhält.

Verschiedene Reiseunternehmen sagten für die kommenden Wochen alle Reisen in das Land ab. Urlauber, die sich derzeit in den Baderegionen am Roten Meer befinden, können ihren Urlaub jedoch fortsetzen, da es dort unverändert ruhig sei, teilte der Reiseveranstalter Tui mit. Wer seinen Urlaub dennoch abbrechen möchte, soll sich laut Tui an die Reiseleitung vor Ort wenden. Bereits gebuchte Reisen können nach Angaben des Deutschen Reiseverbands umgebucht oder storniert werden. Der Stopp der Reisen hat auch Folgen für die Flugbranche: Lufthansa-Aktien sackten ab. Der Chemiekonzern BASF stellt seine Produktion in dem Land vorerst ein. Auch der Handelsriese Metro schloss Büros.

Amnesty fordert Untersuchung

Am Mittwoch hatten Sicherheitskräfte zwei zentrale Protestlager der Muslimbrüder in Kairo gewaltsam geräumt. Dabei wurden nach offiziellen Angaben mindestens 578 Menschen getötet und 3000 verletzt. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurde über mehrere Landesteile der Notstand verhängt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangte eine unabhängige Untersuchung des Blutbades vom Mittwoch. Die Reaktion der Behörden auf die Proteste sei "extrem unverhältnismäßig", erklärte die Organisation. Die Sicherheitskräfte hätten offenbar nicht zwischen friedlichen und gewaltbereiten Demonstranten unterschieden und auch keine Versorgung von Verletzten zugelassen.

Wenige Tage vor der jüngsten Gewalteskalation in Ägypten standen die verfeindeten Lager einem Medienbericht zufolge offenbar kurz vor einem Friedensabkommen. Die von den USA und ihren Partnern aus Europa und den Golfstaaten vermittelte Lösung hätte das neuerliche Blutvergießen mit Hunderten Toten möglicherweise vermeiden können, berichtete die US-Zeitung "Washington Post". Der inzwischen zurückgetretene ägyptische Vize-Präsident Mohamed ElBaradei habe Militärchef Abel Fattah al-Sisi aber offenbar nicht dazu bewegen können, dem Friedensabkommen zuzustimmen.

Quelle: ntv.de, rpe/ghö/dpa/AFP

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